Mobilität:So will die Deutsche Bahn Autofahrer von der Straße locken

Lesezeit: 3 min

Die Bahn hat es mit ihrem neuen Konzept auch auf Pendler abgesehen, die normalerweise mit dem Auto zur Arbeit fahren. (Foto: dpa)
  • Die Deutsche Bahn baut ihre Angebote aus, unter anderem mit einem Shuttle-Service von Tür zu Tür, der zunächst in Hamburg startet.
  • Der Konzern tut das jedoch aus einem Zwang heraus: Konkurrenten wie Uber, Google oder VW bedrohen das Geschäftsmodell der Bahn.
  • Hinzu kommt, dass der Stadtverkehr immer dichter und langsamer zu werden droht - erst recht bei einer wachsenden Zahl von Autos.

Von Markus Balser, Berlin

Wie stark digitale Unternehmen Mobilität verändern werden? Dara Khosrowshahi ahnt das, wie kaum ein anderer. Der neue Chef von Uber löst mit seinem Konzern in den USA gerade einen ganzen Berufsstand ab. In New York fahren inzwischen mehr Passagiere mit den Autos der Digitalplattform als mit den gelben Traditionstaxis. Und Uber will noch mehr umkrempeln. "Für uns ist das Auto das, was das Buch für Amazon war: erst der Anfang", sagt Khosrowshahi. Man denke über eine Mobilitäts-Plattform nach, auf der alles zusammenläuft - Taxis, Carsharing, Fahrräder, Busse und Bahnen. Und das auch in Europa.

Nachdenklich wird man angesichts solcher Angriffslust bei Deutschlands größtem Mobilitätskonzern. Führende Manager der Deutschen Bahn fragen sich, ob digitale Plattformen wie Uber, Moia von Volkswagen oder auch IT-Konzerne wie Google dem Bahn-Geschäft gefährlich werden können. Alle wollen Kunden künftig Reisen von Tür zu Tür erleichtern. Setzen sich die Konkurrenten durch, würde die Bahn zum Zulieferer degradiert. Ihre Tickets würden andere verkaufen. Dem Konzern mit weltweit 300 000 Beschäftigten käme teils die Hoheit über den Bahnverkehr abhanden. Nur wenn man schnellere Angebote schaffe als digitale Konkurrenten und Verkehrsdienste, könne man am Ende gewinnen, heißt es bei der Bahn.

Leserdiskussion
:Mit welchem Angebot könnte die Deutsche Bahn Sie locken?

Aus Konkurrenzdruck baut die Deutsche Bahn ihre Angebote aus. Der Konzern will Autofahrer zum Umsteigen bewegen - unter anderem mit einem Shuttle-Service, einem erweiteren Fernverkehrsangebot sowie Kooperationen mit anderen Verkehrsverbünden.

Was der digitale Wettbewerb für Kunden auslöst, wird diesen Mittwoch in Hamburg offensichtlich. Zunächst in den Stadtteilen Lurup und Osdorf startet die Deutsche Bahn über ihre Digital-Tochter Ioki und mit dem Verkehrsverbund HVV ein für eine Millionenstadt bislang einzigartiges Pilotprojekt: Per Handy-App können sich Kunden des Nahverkehrs von Shuttles zu Hause abholen und zu einer Haltestelle bringen lassen - nicht zu Taxikosten, sondern zum Preis eines Nahverkehrstickets. Fahrgäste mit ähnlichen Routen werden automatisch zu Fahrgemeinschaften gebündelt und gemeinsam befördert.

Los geht es mit dem neuen öffentlichen Verkehrsmittel ohne Fahrplan oder Linie im kleinen Stil mit zehn Elektroautos. Bald aber können es schon deutlich mehr Fahrzeuge sein. Auch ÖPNV-Nutzer anderorts sollen den Shuttle-Dienst nutzen können. "Solche Angebote werden bald in anderen Städten folgen", sagt Bahn-Personenverkehrsvorstand Berthold Huber. Die Nachfrage sei auch international groß. "Wir stehen etwa im Gespräch mit Liverpool."

Bei einer wachsenden Zahl von Autos droht möglicherweise der Kollaps

Zum Einsatz kommen Elektroautos aus Großbritannien, die aussehen wie Londoner Taxis. Bis zu sechs Passagiere können mitfahren, auch Kinderwagen und Rollstuhlfahrer. Die sogenannten "On Demand"-Dienste sollen vor allem Autofahrer in den großen Städten zum Umsteigen bewegen. "Es geht uns um mehr Mobilität, aber weniger Verkehr. Unser Ziel: Den öffentlichen Verkehr so komfortabel zu machen wie den individuellen", sagt Huber. "Wir wollen neue Kunden gewinnen."

Denn die Ballungsräume werden größer. Damit droht der Stadtverkehr dichter und langsamer zu werden. "So, wie es bisher funktioniert hat, geht es nicht weiter", sagt der Berliner Verkehrsforscher Andreas Knie. Bei einer wachsenden Zahl von Autos drohe der Kollaps. "Wir müssen uns Gedanken machen, wie der Verkehr der Zukunft aussieht."

Das machen inzwischen viele. Immer neue Anbieter stoßen in das Geschäft mit Mobilität vor. Autohersteller fürchten angesichts des Abschieds vieler junger Leute vom eigenen Auto um den Absatz. Sie bieten selbst neue Dienste an. "Moia holt dich ab", lautet etwa der Slogan der neuen VW-Tochter mit Sitz in Berlin, die ebenfalls in Hamburg noch dieses Jahr einen Shuttle-Dienst aufnimmt. Elektroautos sollen Kunden künftig wie Sammeltaxis durch die ganze Stadt fahren. Das Unternehmen denkt längst an das ganz große Geschäft. Moia solle bis 2025 "einer der weltweit führenden Mobilitätsdienstleister werden", heißt es bei der VW-Tochter.

Bei der 180 Jahre alten Bahn hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Digitalisierung das Geschäft mit Mobilität auf den Kopf stellen kann. Auch ganz große IT-Konzerne mischen mit. So sammelt Google über die Handynutzer seines Betriebssystems Android Verkehrsdaten über Staus, den Bahntakt oder auch den U-Bahn-Verkehr. Die Handys erkennen etwa anhand der Beschleunigung, welches Verkehrsmittel ihr Besitzer nutzt. Damit könnte auch Google Nutzern Angebote zu Verkehrsmitteln machen. Die Bahn will sich das Geschäft nicht nehmen lassen. Und so entwickelt der Konzern etwa einen Alltagsbegleiter, der beispielsweise weiß, wo die Kunden sind, welches Wetter sie haben, wie sie sich am liebsten fortbewegen und am schnellsten zum Ziel kommen.

Auto, Fahrrad oder Roller? "Ziel ist ein Navigator durch die Stadt. Einer, der ständig dazulernt, was Kunden wollen", kündigt Huber an. Die Plattformtechnologie entwickelt die Bahn gerade mit der Verkehrsbranche. Erste Verkehrsverbünde würden die neue Technik den Kunden vom nächsten Jahr an anbieten. Beim Verkauf von Nahverkehrstickets wollen sich Bahn und Verkehrsverbünde zusammentun. Die Fahrkarten von 21 Verbünden bietet die Bahn bereits über ihre App an. Acht weitere sollen 2018 dazukommen.

Ob das reicht? Um die Kunden auf langen Strecken im öffentlichen Verkehr zu halten, will der Konzern das Fernverkehrsangebot ausbauen. "Wir wollen in den nächsten Jahren zwischen den Metropolen vom Stunden- auf den Halbstundentakt kommen", sagt Huber. "Wir betreiben dann fast schon eine bundesweite S-Bahn." Bei der Bahn gibt man lieber keine Prognose dazu ab, wer im digitalen Geschäft künftig den Ton angibt. Der Start-up-Fonds der Deutschen Bahn machte kürzlich aber immerhin klar, dass der Konzern Uber die Straße nicht kampflos überlässt. Die DB Digital Ventures stieg beim New Yorker Unternehmen Go Kid ein - einer App, die in den USA Mitfahrgelegenheiten für den Schulweg der Kinder organisiert. Ein bisschen wie bei Uber eben - nur billiger.

© SZ vom 18.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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