Junge Eltern schieben den Kinderwagen gemütlich die Straße hoch und wieder runter, einmal um den Block oder gleich zum nächsten Park. Dabei beobachten sie etwas ähnliches: Egal, wann sie eine Fußgängerampel überqueren, sie springt immer währenddessen auf Rot. Selbst wenn sie zu Beginn der Grünphase starten. Seltsamerweise geht das auch Passanten so, die schneller unterwegs sind als die Eltern mit dem Kinderwagen. Das hat einen einfachen Grund: Es ist gar nicht vorgesehen, dass Fußgänger bei Grün von einer Seite auf die andere kommen.
Die Verkehrstechnik unterteilt die Ampelschaltung in zwei Phasen: "Grünzeit" und "Schutzzeit". In der ersten Phase können Fußgänger die Straße betreten. Die "Grünzeit" ist so berechnet, dass mindestens die Hälfte der Fahrbahn überquert werden kann, auch wenn sie erst spät in der Phase betreten wird. Dann beginnt die Schutzzeit. In der sind sowohl Fußgänger- als auch Auto-Ampel rot. Sie ist in der Regel länger als die eigentliche Grünphase und soll es Fußgängern erlauben, noch die Straße zu überqueren.
Das Problem ist nur: Die meisten Verkehrsteilnehmer wissen davon nichts. Und wer langsamer als das statistische Mittelmaß ist, etwa Senioren oder Eltern mit Kinderwagen, gelangt nicht schnell genug auf die andere Seite. Sie sehen sich schnell hupenden Autofahrern ausgesetzt. Immer wieder passieren so Unfälle. Wie viele, ist unklar. Die Statistiken weisen solche Vorfälle nicht gesondert aus.
Verschiedene Ampelprogramme für verschiedene Uhrzeiten
Berechnet wird der Ampelzyklus von der Forschungsstelle Straßen- und Verkehrswesen in Köln. Sie hat in Zusammenarbeit mit dem Bundesverkehrsministerium die sogenannte "Richtlinie für Lichtsignalanlagen" (RiLSA) entworfen. Nach ihren Vorgaben richten sich die Ampelphasen in Deutschland.
"Zunächst werden die Stärken aller Verkehrsströme im Kreuzungs- bzw. Einmündungsbereich ermittelt", erklärt Alfred Overberg vom Landesbetrieb Straßenbau NRW. Dazu gehören neben Autos und Fußgängern auch Radfahrer oder öffentlicher Nahverkehr.
Aus diesen und weiteren Faktoren ergeben sich unterschiedlich lange Grünphasen für die einzelnen Verkehrsteilnehmer, die wiederum über den Tag verteilt in verschiedenen Programmen ablaufen. So sind zum Beispiel morgens und abends Ampeln für Autofahrer länger grün, um einen möglichst reibungslosen Verkehrsfluss zu ermöglichen. Dabei werde berücksichtigt, "dass die Wartezeiten aller auf ein Minimum beschränkt sind", sagt Overberg.
Im Falle der Fußgänger geht die RiLSA davon aus, dass die sich im Schnitt mit 1,2 bis 1,5 Meter pro Sekunde bewegen. Je nach Breite der Straße ergeben sich so Grün- und Schutzphase. Bei einer mehrspurigen Straße, die durch eine Verkehrsinsel unterteilt wird, gilt das in den meisten Fällen für den ersten Abschnitt. In einem Rutsch kommt man hier nur im Sprint auf die andere Seite. Befindet sich zum Beispiel ein Altenheim oder eine Schule in der Nähe, kann die zu Grunde gelegte Schrittgeschwindigkeit auf einen Meter pro Sekunde heruntergesetzt werden.
Durch in die Straße eingelassene Induktionsplatten, die von Autos ausgelöst werden können, kann der Rhythmus beeinflusst werden. So stehen Fußgänger mitunter länger, als ihnen lieb ist. Auch Straßenbahnen, Busse und die Feuerwehr können per Funk Vorfahrt erhalten.
So weit, so logisch. Interessensvertretungen wie der Fachverband Fußverkehr (FUSS e.v.) oder die Grünen fordern aber schon seit Jahren, dass sich der Verkehr an den Schwächsten orientieren müsse, also an Kindern, Senioren und Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen. Denn die hätten mit der vorhandenen Regelung kaum Chancen, rechtzeitig auf die andere Straßenseite zu gelangen.
Die Bedürfnisse aller Verkehrsteilnehmer einbeziehen
Die Umsetzung ist allerdings schwierig. Gerda Weigel-Greilich, Bürgermeisterin in der hessischen Universitätsstadt Gießen, gab auf eine Bürgerbeschwerde hin erstaunlich offen zu, dass sich die Schaltung der Ampeln "nicht an den Langsamsten" orientieren könne, da sonst "kein Verkehrsfluss zu gewährleisten" sei. Alfred Overberg vom Landesbetrieb Straßenbau NRW stimmt zu. Man müsse die Bedürfnisse aller Verkehrsteilnehmer einbeziehen, "was in manchen Fällen nach Abwägung aller Interessen auch zu einem Kompromiss führen kann oder muss, der nicht jeden ausreichend befriedigen kann".
Sicherer macht das die Straße für Fußgänger nicht. Dabei wäre die Lösung so einfach. Länder wie die USA oder Dänemark verwenden seit Jahren sogenannte Countdown-Ampeln, die runterzählen, wie lange die Ampel noch grün ist. Und auch in einer deutschen Stadt gibt es eine Alternative. In Düsseldorf leuchten Ampeln für Fußgänger nicht nur Rot und Grün sondern auch Gelb. So wissen Fußgänger, wann sie die Straße bequem überqueren können - und wann es knapp wird.