Autos sind laut, schädigen mit ihren Abgasen die Umwelt und verbrauchen zu viel Sprit. Immer mehr Menschen empfinden sie - und mit ihnen den Motorsport - als nicht mehr zeitgemäß. Dabei gibt es in der Rennszene längst die Gegenbewegung zur alten, lauten und umweltfeindlichen Welt. Gemeint ist nicht die Formel 1, die sich seit einiger Zeit mit hochkomplexen Hybridantrieben ein grün angehauchtes Image verpassen möchte - bislang vergeblich. Nein, es geht um die Formel E.
Die Serie bietet Motorsport mit einsitzigen Boliden, die denen aus anderen Rennserien ähneln - und doch eigenwillig aussehen. Boliden, eingesetzt von namhaften, im Rennsport gut bekannten Teams. Und pilotiert von Fahrern mit klangvollen Namen, darunter Nick Heidfeld, Nelson Piquet jr. oder Jean-Eric Vergne. Boliden, die eben nicht laut sind, Abgase in die Umwelt blasen oder Sprit verbrauchen. Die Autos werden ausnahmslos von Elektromotoren angetrieben.
Immer mehr Größen aus der Autoindustrie steigen ein
Die Formel E formiert sich zunehmend als Zukunftsfeld mit Potenzial. Nicht umsonst nehmen immer mehr Größen aus der Autoindustrie daran teil. Renault und der fränkische Zulieferer Schaeffler waren von Beginn an dabei. Dann kam Audi hinzu, dass das Abt-Team von dieser Saison an auch offiziell unterstützt. BMW und Jaguar steigen nun ebenfalls ein. Die Technik diversifiziert sich, aus dem Einheitsauto der ersten Saison werden von den Teams und ihren Partnern selbst konstruierte Rennwagen.
Alles begann 2014 mit einem von jedem Team verwendeten Einsitzer namens Spark-Renault SRT_01 E. Renault war für das technische Gesamtpaket verantwortlich, die einzelnen Komponenten kamen von Spezialisten aus der weitläufigen Rennsportwelt: Das Chassis und die aerodynamischen Teile stammten von Dallara, der Antrieb und die Elektronik von McLaren. Die Getriebeexperten von Hewland steuerten die Fünf-Gang-Schaltbox bei. Williams lieferte die Batterie.
Die Technik wird sich rasant weiterentwickeln
Motorsport und Elektromobilität sind zwei Welten, die bis dahin kaum Berührungspunkte hatten. Sie zusammenzubringen, führte zu einigen Besonderheiten. So war die Leistung der 200 kW / 272 PS starken Elektromotoren nur im Qualifikationstraining komplett abrufbar. Im Rennen wurde sie auf 170 kW / 231 PS gedrosselt. Natürlich zum Zweck, Energie zu sparen, denn die Kapazität der zentral im Auto installierten Lithium-Ionen-Batterie betrug lediglich 28 Kilowattstunden (kWh). Zum Vergleich: Ein Tesla Model S verfügt je nach Modellvariante über 60 bis 90 kWh. Folgerichtig reicht der Strom der Formel-E-Autos nicht für ein komplettes Rennen, weshalb zur Rennmitte die Autos gewechselt werden. Diese Eigenwilligkeit folgt aus den technischen Zwängen: Ein Batterietausch wäre zu aufwändig, die Akkus aufzuladen würde etwa 40 Minuten dauern - eine Zwangspause, die dauerhaft kein actionbegeisterter Rennsportfan akzeptieren würde. Aber diese Skurrilität soll von 2018 an hinfällig werden. Dann liefert McLaren leistungsfähigere Batterien.
Als die Formel E ins Leben gerufen wurde, legten die Verantwortlichen einen Fahrplan fest, der die technische Entwicklung für die nächsten fünf Jahre vorgeben sollte. Zum Beispiel, in welchen Schritten die Leistung der Motoren steigt. Dieser Plan ist längst überholt, revolutionäre Entwicklungen sind vom Veranstalter inzwischen ausdrücklich erwünscht: "In den nächsten fünf Jahren wird es bei den Autos in Sachen Antrieb, Elektrik und Elektronik eine technische Explosion geben", sagte Alejandro Agag, der spanische Chef der Rennserie, kürzlich im SZ-Gespräch.
Motorsportkenner zweifeln kaum daran, dass sich Agags Prognose bewahrheitet. Die Geschichte lehrt: Sobald Autohersteller in eine Rennserie einsteigen, wollen sie sich größtmöglich einbringen. Zwar bleibt den Teams das Dallara-Chassis in modernisierter Form erhalten. Aber den Wechselrichter zur Umwandlung von Gleich- in Wechselstrom sowie den Motor, das Kühlsystem und das Getriebe können sie nach eigenen Vorstellungen verändern. Neueinsteiger Jaguar hat Agag zufolge sogar einen völlig eigenständigen Antriebsstrang entwickelt. Selbst an der Batterie, dem mit 200 Kilogramm gewichtigsten Teil des insgesamt 880 Kilo schweren Autos, dürfen die Mannschaften herumexperimentieren. Dennoch bleiben die Kosten überschaubar. Die offizielle Budget-Obergrenze liegt bei 3,5 Millionen Dollar, etwa 3,1 Millionen Euro. Zum Vergleich: Die führenden F1-Rennställe geben in dieser Saison zwischen 400 und 500 Millionen Euro aus.
Das Kalkül der Werke? Natürlich: Rennsiege einfahren, die sich von den PR- und Marketingspezialisten in verkaufte Straßenautos mit E-Antrieb umwandeln lassen. Die Hersteller erhoffen sich in der Formel E aber auch etwas, das ihnen in Rennserien wie der Formel 1, der DTM oder der Rallye-WM kaum noch gelingt: einen funktionierenden Techniktransfer hin zu den Serienautos. Die in der Formel E gewonnenen Erkenntnisse sollen rasch in künftige, für jedermann käufliche Elektroautos einfließen: "Was wir hier erleben, ist der Brückenschlag zur Serie. Und zwar in Bezug auf ganz essenzielle Themen wie Kühlung, Ansprechverhalten, Software und Antriebsmanagement", sagt Hans-Jürgen Abt, Chef des gleichnamigen Teams.
Weitere Hersteller klopfen an
Entsprechend hoch ist der Aufwand, den Hersteller und Zulieferer betreiben. Beispiel BMW: "Wir werden Leute vor Ort an der Strecke haben, unsere Mitarbeiter werden bei uns zu Hause die Daten auswerten und die entsprechenden Schlüsse ziehen", sagt Motorsportdirektor Jens Marquardt. Davon werde die Serienentwicklung profitieren, genau wie das Wissen, das BMW mit seinen Elektroautos für die Straße gesammelt hat, dem Formel-E-Partnerteam Andretti zugute kommen soll.
Wie BMW, das von 2018 an als Werksteam dabei sein möchte, denken auch andere Hersteller. Mercedes hat seinen Einstieg ebenfalls für 2018 fest zugesagt, Nissan zeigt ernsthaftes Interesse, Honda denkt zumindest über eine Teilnahme nach. Mit dem US-Start-up Faraday Future und Venturi aus Monaco engagieren sich bereits heute zwei Firmen in der Formel E, die den Straßenverkehr schon bald mit Elektroautos revolutionieren wollen. In der Rennserie wollen sie den Fans beweisen, dass ihre Technik funktioniert - und im Idealfall künftige Kunden gewinnen.
Sollte das gegenseitige Profitieren wie gewünscht klappen, käme die Rennerei endlich zurück zu einer ihrer Kernaufgaben: Mit leisen und sauberen Rennwagen, von deren Technologien auch Serienautos profitieren, würde die Formel E ihre Daseinsberechtigung langfristig sichern - und mit ihr der gesamte Motorsport. Dass sie enge Meisterschaftskämpfe und spannende Rennen auf fahrerisch hohem Niveau bieten kann, hat sie in ihren ersten beiden Saisons bereits bewiesen.