Mehr als 75 Millionen Fahrräder, schätzt der Industrieverband ZIV, gibt es mittlerweile in Deutschland. Und in jedem Jahr werden es mehr. Darunter viele Rennräder, Mountainbikes, Lastenfahrzeuge - der Trend geht eindeutig zum Zweit- und Drittrad. Genug Platz gibt es dafür aber oft nicht. Vor allem nicht in Wohnhäusern.
"Das Problem wird oft unterschätzt", sagt Jan Lange vom Verkehrsclub Deutschland (VCD). Er ist Regionalkoordinator Nord für das Projekt "Wohnen leitet Mobilität" und berät Wohnungsunternehmen, wie sie in ihren Quartieren den Fuß- und Radverkehr fördern können. Die neue Mobilität funktioniert nur, wenn auch die Immobilie mitspielt. "Geeignete Abstellplätze sind dabei sehr wichtig", sagt Lange.
Dabei kommt es nicht nur auf die Anzahl, sondern auch auf die Qualität an. Der alte Fahrradkeller, oft nur über eine Treppe zu erreichen, tut es schon lange nicht mehr. "Die Ansprüche an die Abstellplätze sind stark gestiegen", betont Lange. Fahrradparkplätze sollten stufenfrei erreichbar und die Durchgänge breit genug sein, sagt der Verkehrsexperte, "wichtig ist auch, dass sie einer Wohnung zugeordnet werden." Das verhindert, dass irgendwann alles mit alten Schrotträdern zugemüllt ist. "Idealerweise gibt es noch zusätzliche Flächen, zum Beispiel für Anhänger, Lastenräder und Fahrradparkplätze für Gäste", sagt Lange. Und: Die Räume sollten abschließbar sein. "Sicherheit spielt eine immer größere Rolle", berichtet Lange.
Kein Wunder: Hochwertige Modelle kosten häufig mehrere Tausend Euro. Der Durchschnittspreis der verkauften Fahrräder steigt seit Jahren stark an. Auch deshalb sollten Vermieter oder Eigentümergemeinschaften nicht an der Ausstattung sparen, empfiehlt Lange. Ein abschreckendes Beispiel sind Ständer, die das Velo nur am Vorderrad halten. Unter Bikern sind sie als "Felgenkiller" bekannt. Kippt das Fahrrad zur Seite (was leicht passieren kann), verbiegt das Vorderrad.
Die Vorschriften von Ländern und Kommunen sind oft nur vage
Zuständig für Regelungen sind die Länder und die Kommunen. Die Vorschriften sind aber oft nur vage. Manche Länder legen in ihren Bauordnungen fest, dass in Neubauten ausreichend viele und gut zugängliche Stellplätze vorhanden sein müssen, andere Länder machen Vorgaben zu notwendigen Abstellräumen, andere überlassen die Regelungen weitgehend den Kommunen. "Ein guter Richtwert ist ein Stellplatz pro 30 Quadratmeter Wohnfläche", sagt Lange. Präzise Vorgaben macht bisher nur Baden-Württemberg. Dort sieht die Landesbauordnung vor, dass pro Wohnung zwei wetterfeste Stellplätze errichtet werden müssen. Allerdings: Auf Wunsch der CDU sollen die Kommunen in der novellierten Bauordnung mehr Mitspracherecht bekommen, also auch weniger Fahrradständer vorschreiben dürfen. Weil das weder dem grün geführten Verkehrsministerium noch dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann sonderlich gefällt, haben die Vorschriften zu den nötigen Fahrradstellplätzen einen veritablen Streit in der schwarz-grünen Landesregierung ausgelöst.
Welche gesetzlichen Mindestanforderungen gelten, spielt für manche Unternehmen keine Rolle. Sie machen deutlich mehr, als sie müssten. "Als Wohnungsbaugenossenschaft ist es unser satzungsmäßiger Auftrag, unsere Mitglieder zu fördern. Hierzu gehört auch die Förderung der Mobilität", berichtet Uwe Jentz, Vorstand der Hamburger Genossenschaften Gartenstadt Farmsen. Die Genossenschaft hat ein Mobilitätskonzept entwickelt, mit dem den Bewohnern auch das Fahrradfahren - und Abstellen - leicht gemacht werden soll. Geräteschuppen, Garagen, Fahrradbügel, Boxen, Plätze in Tiefgaragen: Für die Räder ist in der Gartenstadt viel Platz.
Außerdem habe man die Wege fahrradfreundlich gestaltet, berichtet Jentz, "wir haben zum Beispiel Stufen durch Rampen ersetzt oder bei größeren Treppen Rinnen eingebaut". Die Genossenschaftsmitglieder können sich außerdem E-Bikes leihen und ihre eigenen Räder in der Werkstatt reparieren lassen. In Deutschland gebe es noch viel zu wenig Leuchtturm-Projekte, bedauert Verkehrsexperte Lange. "Viele Wohnungsunternehmen denken beim Thema neue Mobilität vor allem an Elektroautos", sagt Lange. Vor lauter Begeisterung für Stromer und Carsharing fällt das Thema Fahrrad oft unter den Tisch.