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Fehlende Stellplätze:Wohin bloß mit dem Fahrrad?

Lesezeit: 5 Min.

Es gibt immer mehr Fahrräder, doch in vielen Wohnhäusern fehlen die nötigen Abstellplätze. Wer sein Rad unterstellen will, muss oft improvisieren. Ein unterschätztes Problem.

Von Andreas Remien

Mehr als 75 Millionen Fahrräder, schätzt der Industrieverband ZIV, gibt es mittlerweile in Deutschland. Und in jedem Jahr werden es mehr. Darunter viele Rennräder, Mountainbikes, Lastenfahrzeuge - der Trend geht eindeutig zum Zweit- und Drittrad. Genug Platz gibt es dafür aber oft nicht. Vor allem nicht in Wohnhäusern.

"Das Problem wird oft unterschätzt", sagt Jan Lange vom Verkehrsclub Deutschland (VCD). Er ist Regionalkoordinator Nord für das Projekt "Wohnen leitet Mobilität" und berät Wohnungsunternehmen, wie sie in ihren Quartieren den Fuß- und Radverkehr fördern können. Die neue Mobilität funktioniert nur, wenn auch die Immobilie mitspielt. "Geeignete Abstellplätze sind dabei sehr wichtig", sagt Lange.

Dabei kommt es nicht nur auf die Anzahl, sondern auch auf die Qualität an. Der alte Fahrradkeller, oft nur über eine Treppe zu erreichen, tut es schon lange nicht mehr. "Die Ansprüche an die Abstellplätze sind stark gestiegen", betont Lange. Fahrradparkplätze sollten stufenfrei erreichbar und die Durchgänge breit genug sein, sagt der Verkehrsexperte, "wichtig ist auch, dass sie einer Wohnung zugeordnet werden." Das verhindert, dass irgendwann alles mit alten Schrotträdern zugemüllt ist. "Idealerweise gibt es noch zusätzliche Flächen, zum Beispiel für Anhänger, Lastenräder und Fahrradparkplätze für Gäste", sagt Lange. Und: Die Räume sollten abschließbar sein. "Sicherheit spielt eine immer größere Rolle", berichtet Lange.

Kein Wunder: Hochwertige Modelle kosten häufig mehrere Tausend Euro. Der Durchschnittspreis der verkauften Fahrräder steigt seit Jahren stark an. Auch deshalb sollten Vermieter oder Eigentümergemeinschaften nicht an der Ausstattung sparen, empfiehlt Lange. Ein abschreckendes Beispiel sind Ständer, die das Velo nur am Vorderrad halten. Unter Bikern sind sie als "Felgenkiller" bekannt. Kippt das Fahrrad zur Seite (was leicht passieren kann), verbiegt das Vorderrad.

Die Vorschriften von Ländern und Kommunen sind oft nur vage

Zuständig für Regelungen sind die Länder und die Kommunen. Die Vorschriften sind aber oft nur vage. Manche Länder legen in ihren Bauordnungen fest, dass in Neubauten ausreichend viele und gut zugängliche Stellplätze vorhanden sein müssen, andere Länder machen Vorgaben zu notwendigen Abstellräumen, andere überlassen die Regelungen weitgehend den Kommunen. "Ein guter Richtwert ist ein Stellplatz pro 30 Quadratmeter Wohnfläche", sagt Lange. Präzise Vorgaben macht bisher nur Baden-Württemberg. Dort sieht die Landesbauordnung vor, dass pro Wohnung zwei wetterfeste Stellplätze errichtet werden müssen. Allerdings: Auf Wunsch der CDU sollen die Kommunen in der novellierten Bauordnung mehr Mitspracherecht bekommen, also auch weniger Fahrradständer vorschreiben dürfen. Weil das weder dem grün geführten Verkehrsministerium noch dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann sonderlich gefällt, haben die Vorschriften zu den nötigen Fahrradstellplätzen einen veritablen Streit in der schwarz-grünen Landesregierung ausgelöst.

Welche gesetzlichen Mindestanforderungen gelten, spielt für manche Unternehmen keine Rolle. Sie machen deutlich mehr, als sie müssten. "Als Wohnungsbaugenossenschaft ist es unser satzungsmäßiger Auftrag, unsere Mitglieder zu fördern. Hierzu gehört auch die Förderung der Mobilität", berichtet Uwe Jentz, Vorstand der Hamburger Genossenschaften Gartenstadt Farmsen. Die Genossenschaft hat ein Mobilitätskonzept entwickelt, mit dem den Bewohnern auch das Fahrradfahren - und Abstellen - leicht gemacht werden soll. Geräteschuppen, Garagen, Fahrradbügel, Boxen, Plätze in Tiefgaragen: Für die Räder ist in der Gartenstadt viel Platz.

Außerdem habe man die Wege fahrradfreundlich gestaltet, berichtet Jentz, "wir haben zum Beispiel Stufen durch Rampen ersetzt oder bei größeren Treppen Rinnen eingebaut". Die Genossenschaftsmitglieder können sich außerdem E-Bikes leihen und ihre eigenen Räder in der Werkstatt reparieren lassen. In Deutschland gebe es noch viel zu wenig Leuchtturm-Projekte, bedauert Verkehrsexperte Lange. "Viele Wohnungsunternehmen denken beim Thema neue Mobilität vor allem an Elektroautos", sagt Lange. Vor lauter Begeisterung für Stromer und Carsharing fällt das Thema Fahrrad oft unter den Tisch.

Auch der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) sieht die Wohnungswirtschaft und die Politik in der Pflicht. "Ein Umdenken zeichnet sich immerhin punktuell ab", sagt ADFC-Sprecherin Stephanie Krone. In Berlin sei das Fahrradparken zum Beispiel Bestandteil des Mobilitätsgesetzes. Viele gesetzliche Vorgaben gelten in Deutschland allerdings nur für Neubauten. "Dicht besiedelte Altbau-Lagen sind daher fast immer ein Problem für das Fahrradparken", sagt Krone. Besonders schwierig sei die Situation für die zunehmende Zahl von Lastenrädern. "Für sie gibt es kaum extra-große Parkplätze", bedauert Krone, "in den Niederlanden oder in dänischen Großstädten sind Parkplätze für Spezialräder schon gang und gäbe." Im Vergleich zu manchen europäischen Nachbarn hinkt Deutschland noch deutlich hinterher. "In den Niederlanden gibt es in Wohnvierteln zum Beispiel auch Quartiers- und Sammelgaragen, das bräuchten wir in Deutschland auch viel häufiger", sagt Krone.

Manchmal scheitern neue Lösungen aber nicht an Politik oder Unternehmen, sondern an den Nachbarn. Das musste zum Beispiel ein Wohnungsbesitzer erfahren, der auf seinem Tiefgaragenplatz einen Ständer für zwei E-Bikes installieren wollte. Ein anderes Mitglied der Eigentümergemeinschaft klagte dagegen - und bekam recht (LG Hamburg, Az. 318 S 167/14). Zweck des Tiefgaragenstellplatzes ist laut dem umstrittenen Urteil das Abstellen von Kraftfahrzeugen, außerdem sei der Ständer eine bauliche Veränderung, der alle Eigentümer zustimmen müssten.

Auch in anderen Fällen, wenn etwa vor dem Haus ein Fahrradschuppen gebaut werden soll, kann das Wohnungseigentumsgesetz (WEG) zu einem Problem werden. Bei baulichen Veränderungen oder Installationen, die als störend oder als optische Beeinträchtigung empfunden werden könnten, müssen alle Eigentümer zustimmen. "Wenn nur einer dagegen ist, dann ist die Sache vom Tisch", sagt Birgitt Faust-Füllenbach, Rechtsreferentin beim Verband Wohnen im Eigentum. Wollen Bewohner ihr Rad auf ihrem Stellplatz abstellen, ohne darauf einen Ständer zu installieren, haben sie bessere Karten. Das Amtsgericht Potsdam sah jedenfalls kein Problem darin, dass die Eigentümer auf ihrem Stellplatz statt Autos ihre Fahrräder parken (AG Potsdam, Az. 31 C 37/17). Fahrradfreundlicher könnte die Rechtsprechung durch moderne Landesbauordnungen werden. So hat Nordrhein-Westfalen zum Beispiel in die Definition von Garagen neben Kraftfahrzeugen explizit auch Fahrräder mit aufgenommen. Das könnte in Zukunft Gerichten erleichtern, zugunsten von Fahrradfahrern zu urteilen.

Besonders häufig beschäftigt die Stellplatzfrage Mieter und Vermieter. Wenn es andere Möglichkeiten gibt, darf der Vermieter in der Hausordnung verbieten, dass Fahrräder im Flur und Treppenhaus abgestellt werden. "In keinem Fall dürfen Mieter andere Hausbewohner behindern oder mit den Fahrrädern gar Fluchtwege versperren", sagt Faust-Füllenbach.

Das Rad in der Wohnung als die letzte Notlösung

Für manchen liegt es da nahe, das Fahrrad mit in die Wohnung zu nehmen oder auf den Balkon zu stellen. Abgesehen von den E-Bikes sind neue Räder oft nicht nur teuer, sondern auch vergleichsweise leicht. Kein Problem also, möchte man meinen - wäre da nicht das etwas kuriose Gebaren einer Eigentümergemeinschaft und das dazu passende Urteil des Landgerichts München. "Ein Transport in die Wohnungen ist nicht zulässig", schrieb die Eigentümergemeinschaft aus Angst vor Schmutz in Aufzug und Treppenhaus in ihre Hausordnung hinein.

Ein Miteigentümer, der sein gut 3000 Euro teures Rad mit in die Wohnung nehmen wollte, klagte gegen den Beschluss - und scheiterte vor Gericht (Az. 36 S 3100/17). Das Abstellen von Fahrrädern gehöre nicht zum Kernbereich des Eigentums, so das Landgericht. Ob auch Mietern verboten werden kann, das Rad mit in die Wohnung zu nehmen, ist umstritten. "Das ist Unfug", sagt Mieterbund-Geschäftsführer Ulrich Ropertz, "dann kann man ja auch gleich verbieten, mit dreckigen Schuhen in die Wohnung zu gehen".

Bei manchen Rennrad-Enthusiasten hängt das teure Bike zwar durchaus auch mal als Schmuckstück an der Wohnzimmerwand. Für den Normalgebrauch dürfte das Rad in der Wohnung aber eher die letzte Notlösung sein. "Generell brauchen wir bei Wohnungsunternehmen, Vermietern und Bauträgern ein neues Bewusstsein, dass eine fahrradfreundliche Wohnumgebung ein echter Standortfaktor ist", fordert Krone. Das Fahrrad sei Teil eines modernen, urbanen Lebensstils, "und dazu gehören auch gute, komfortable Fahrradparkplätze".

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Quelle:
SZ vom 08.06.2019
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