E-Van von Mercedes:Das Ei des Christophorus

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Die Daimler-Studie Vision Urbanetics soll sowohl Menschen als auch Waren transportieren. (Foto: Daimler AG)

Daimler zeigt mit seiner Studie "Vision Urbanetics", wie das Unternehmen sich den Minibus der Zukunft vorstellt. Er fährt autonom, kommuniziert mit Passanten und transportiert als eine Art herrenloses Skateboard Waren.

Stefan Mayr

Das Ei auf vier Rädern hat keinen Fahrersitz, kein Lenkrad und keine Pedale. Autonom fahrende Autos brauchen so etwas nicht, der Platz kann sinnvoller genutzt werden. Dieses Fahrzeug aus dem Hause Mercedes geht aber noch einen Schritt weiter: Es hat keine Windschutzscheibe und auch kein Heckfenster, keine A- oder B-Säule. Stattdessen viele horizontale Glasschlitze, die in einem Geflecht von Querstreben stecken und sich nach hinten verjüngen. Im Fond gibt es nur ein einzigen engen Sehschlitz, Herausschauen muss ja keiner mehr und reinschauen soll auch keiner, wenn man es sich innen auf der Rückbank gemütlich macht.

Am Montag hat der Stuttgarter Autobauer Daimler in Kopenhagen eine neue Designstudie für den Van der Zukunft präsentiert. Oder besser gesagt: für den Doppel-Van der Zukunft. Denn das Konzept besteht aus einer elektrisch angetriebenen und vollautomatisiert fahrenden Plattform, auf der man entweder einen Fahrgastkabine für zwölf Personen installiert oder eine Transportfläche für zehn Kubikmeter Fracht. Der Wechsel vom Pkw zum Lkw soll in weniger als zwei Minuten von statten gehen.

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Daimlers Chef-Designer Gorden Wagener spricht von einer "bionischen Struktur", die aber viel mehr sei als eine optische Spielerei: "Das ist schön und stabil." Es soll die Fahrgäste auf ihren acht Sitzplätzen und vier Stehplätzen also nicht nur ansprechen, sondern auch behüten. Der Schutzheilige der Reisenden lässt grüßen, hier kommt das Ei des Christophorus.

Kommunikation mit Passanten

"Vision Urbanetics" nennt Daimler seine Studie für ein Stadtfahrzeug der Zukunft. Sie ist 5,14 Meter lang und 2,40 Meter hoch. Man kann die Fahrgastkabine aufrecht besteigen, ohne den Kopf einziehen zu müssen. Das Ei kommuniziert auch mit Passanten: Wenn jemand vorbeigeht, zeigt ihm das Auto mit einem mitlaufenden Lichtsignal, dass er gesehen wird. Und wenn ein Fußgänger vor dem Wagen die Straße überqueren will, dann weist das Fahrzeug mit einem Licht den Weg. Der Cargo-Aufbau ist viel kantiger, er wirkt wie eine Mischung aus Übersee-Container und Rimowa-Koffer. In ihm sind Platz für zehn Europaletten, Nutzlast eine Tonne.

Zunächst soll das Urbentics-Ei in abgegrenzten Arealen eingesetzt werden, zum Beispiel auf Firmenparks oder Rollfeldern. Dabei soll das Auto lernen, im öffentlichen Linienverkehr oder vollkommen frei umherfahren zu können. Irgendwann soll die Plattform auch ohne Aufbau zu ihrem Ziel gelangen wie eine Art herrenloses Riesen-Skateboard. Dann kann ein voller Container aufgeladen und wegtransportiert werden.

Software und Dienstleistung aus Stuttgart

"Es sind noch viele andere Aufbauten denkbar", sagt Daimlers Van-Chef Volker Mornhinweg. "Da können Aufbau-Hersteller ihrer ganze Fantasie ausleben." Mornhinweg sieht hier auch ein neues Geschäftsfeld für Daimler: Der Konzern könnte ein Rechenzentrum im Stadtzentrum betreiben, das die Fahrzeuge steuert und nach dem Prinzip "Pay-per-use", also pro Fahrt bezahlen, verleiht. Daimler entwickele sich vom reinen Hersteller zum Anbieter "ganzheitlicher Mobilität". Aus Stuttgart soll künftig also nicht nur die Hardware kommen, sondern auch Software und Dienstleistung.

Mornhinwegs Vision: Auch private Besitzer können die Fahrgastzelle abends abmontieren und mitsamt Cargo-Aufbau für die Nacht an Spediteure verleihen. Geld verdienen im Schlaf statt Parkplatzgebühren zu zahlen. Mit freundlicher Unterstützung von Daimler, das den Verleih vermittelt.

Ein ähnliches Aufbau-Wechsel-dich-Fahrzeug hatten im Juni der Aachener Elektroauto-Pionier Günther Schuh (Streetscooter) und der Zuliefer ZF in Friedrichshafen vorgestellt. Daimler kommt im Vergleich viel schnittiger daher als der rollende Zauberwürfel aus Aachen. Allerdings hat der tüftelnde Professor bereits für 2019 eine erste Kleinserie von 400 Fahrzeugen angekündigt, das Werk wird derzeit gebaut. So weit ist Daimler offenbar noch nicht: Wann das Ei erstmals über die Straße rollen soll, verrät Daimler noch nicht.

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