Mehr Service bei der Bahn:Neben dem Gleis

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Mit Projekten wie der Hamburg-Box sollen Bahnhöfe attraktiver werden. (Foto: Georg Wendt/dpa)

Abholfächer für Gemüse, Kurzzeit-Büros, Fahrrad-Reparatursäulen: Wie die Deutsche Bahn ihre Stationen aufpeppen will.

Von Joachim Göres

Die Blattfrisch GmbH ist ein junges Hamburger Unternehmen, bei dem Kunden Bio-Gemüse und andere Lebensmittel aus der Region bestellen können. Die Waren werden dann einmal die Woche zwischen 15 und 19 Uhr zum Kunden gebracht. Wer will, kann die Bio-Erzeugnisse aber auch abholen - und zwar aus Schließfächern der besonderen Art, die es bislang nur auf Hamburger Bahnhöfen gibt. "Die Hamburg-Box ist eine tolle Möglichkeit, denn der Kunde muss nicht auf uns warten, sondern kann die Bestellung jederzeit dort abholen, wo er ohnehin unterwegs ist", sagt Kathrin Lenz, die bei Blattfrisch die Belieferung organisiert.

Die Hamburg-Box - das sind große grün-weiße Kästen auf 20 Bahnhöfen der Hansestadt, die an die gelb leuchtenden Paketabholstationen der Post erinnern. Jede Box hat bis zu 150 Fächer in vier verschiedenen Größen. Seit einem Jahr können Unternehmen dort Produkte ablegen, die der Kunde zuvor bestellt hat. Er bekommt per Mail oder Mobiltelefon einen Code, mit dem er das Fach öffnen kann.

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Kontaktlose Zustellung und Abholung in Zeiten der Corona-Pandemie, günstig gelegene Standorte an stark frequentierten Bahnhöfen, größere zeitliche Flexibilität bei der Zustellung und Abholung - mit diesen Punkten wirbt die Deutsche Bahn (DB) für die Hamburg-Box, die je nach Standort auf dem Bahnsteig, in der Bahnhofshalle oder vor dem Bahnhofseingang platziert ist.

Genutzt wird sie vor allem von Paketdiensten und Online-Lebensmittelhändlern. Für ein fundiertes Fazit sei es aktuell noch zu früh, auch weil die Corona-Pandemie einiges durcheinander gebracht habe, sagt Carolin Kallenbach von der Deutschen Bahn. "Der kontinuierliche Anstieg der Sendungen in den letzten Monaten deutet jedoch darauf hin, dass Abholmöglichkeiten an Stationen im öffentlichen Nahverkehr einen wichtigen Beitrag zu einer effizienteren und nachhaltigeren logistischen letzten Meile leisten können."

Trinkwasserspender in Ahrensburg

Aber die Hamburg-Box ist nur eine von viele Ideen, die die Bahn derzeit testet, um ihren Kundenservice zu verbessern. Mit den Städten Berlin, Hamburg und Köln hat sie dazu sogenannte Smart-City-Partnerschaften abgeschlossen. In diesem Rahmen wurden neben der Hamburg-Box zum Beispiel im Berliner Hauptbahnhof sogenannte Coworking-Arbeitsplätze geschaffen, die von Fahrgästen genutzt werden können, wenn sie unterwegs sind und in Berlin einen Zwischenstopp einlegen. Außerdem hat der Konzern das Programm Zukunftsbahnhöfe aufgelegt, bei dem die Reisenden in 16 Städten zwischen Cottbus und Münster nach ihren Wünschen befragt wurden, bevor die Umgestaltung der Stationen startete.

Die Umfrage im Bahnhof Ahrensburg in Schleswig-Holstein ergab beispielsweise, dass er vor allem von Pendlern nach Hamburg genutzt wird, und dass diesen das Thema Nachhaltigkeit am Herzen liegt. Im dortigen Bahnhof gibt es jetzt einen Trinkwasserspender, der kostenlos genutzt werden kann. Demnächst soll eine digitale Anzeige auf dem Vorplatz darüber informieren, wie viele Minuten noch bleiben, bis die nächste Regionalbahn abfährt.

Und um noch mehr Berufspendler dazu zu motivieren, zum Bahnhof mit dem Rad und nicht mit dem Auto zu fahren, wurde erstmals die Smartphone-App Rad+ gestartet - bei eingeschaltetem GPS erkennt die App, dass sich der Reisende in Ahrensburg auf einem Fahrrad fortbewegt. Für jeden geradelten Kilometer gibt es ein Guthaben von zehn Cent, das dann beim Kauf einer Fahrkarte oder in Läden in Bahnhofsnähe eingelöst werden kann. An anderen S-Bahn-Stationen wird mehr Platz für das Fahrradparken geschaffen. Bis zum Jahr 2022 sollen so bundesweit bis zu 100 000 neue Fahrradabstellplätze an Bahnhöfen entstehen, verspricht die Deutsche Bahn.

Mehr Platz fürs Fahrrad

"Fahrradparkplätze sind ein sehr wichtiges Thema, es besteht ein großer Bedarf in Bahnhofsnähe", sagt Klaus-Peter Naumann vom Fahrgastverband Pro Bahn. Er verweist auf positive Beispiele von Fahrradparkhäusern, etwa in Göttingen und Lüneburg. Viele Radaktivisten in anderen Städten und Gemeinden berichten dagegen davon, dass sie immer wieder am Kompetenz-Wirrwarr zwischen Bahn und Kommune scheitern, wenn sie sich für bessere Fahrradabstellmöglichkeiten einsetzen. Wem gehört der Grund, auf dem eine solche Anlage errichtet werden kann? Wer zahlt für den Bau, wer für den Unterhalt und den Betrieb?

Wichtig sei auf jeden Fall, findet Fahrgastvertreter Naumann, dass unterschiedliche Angebote gemacht würden - mal genüge es, einfache Bügel zum kostenlosen Anschließen eines Rades zu installieren; mal seien aufwendigere Fahrradkäfige nötig, in denen man gegen Gebühr sein teures E-Bike sicher abstellen kann. Oder eben ein richtiges Fahrrad-Parkhaus in Bahnhofsnähe, wie es zum Beispiel auch in Ludwigsburg, 15 Kilometer nördlich von Stuttgart, existiert.

Den Service für Radfahrer will die Deutsche Bahn außerdem durch Fahrrad-Reparaturstationen mit Luftpumpe und Werkzeug für den Fall einer Panne verbessern, die sich außer in Ahrensburg auch in anderen Zukunftsbahnhöfen wie in Freising in Oberbayern, in Halle/Saale, in Offenbach und in Hofheim im Taunus befinden. Im Bahnhof Haltern am See in Nordrhein-Westfalen steht für den E-Bike-Reisenden zudem eine Ladestation bereit.

Aufenthaltsqualität verbessern

Die Aufenthaltsqualität soll durch neue Sitzbänke unter anderem in Coburg, Heilbronn und Cottbus verbessert werden. In Wolfsburg wurde auf einem Bahnsteig ein neuer Pavillon aufgestellt, um das Warten und Arbeiten im Warmen zu ermöglichen. In Renningen in Baden-Württemberg wurde auf dem Bahnhofsgelände eine Schmetterlingswiese angelegt, im Bahnhof Wernigerode wurden die Wände mit regionalen Motiven gestaltet. In einigen Zukunftsbahnhöfen wurden zudem dunkle Passagenunterführungen durch eine helle und freundliche Neugestaltung beseitigt, in anderen sollen sich Reisende durch eine neue Wegeführung leichter zurecht finden. Das Ziel: Die Menschen sollen sich im Bahnhofsumfeld und auf dem Weg dorthin wohl fühlen.

Aber reicht das? Wer sich die Liste der Projekte und Ideen anschaut, dem fällt auf, dass lediglich an der Station in Wernigerode im Harz Verbesserungen bei den Toilettenanlagen und den Schließfächern geplant sind. Möglicherweise gibt es an den anderen Zukunftsbahnhöfen damit keine Probleme - Tatsache ist aber, dass in den vergangenen Jahren in etlichen Bahnhöfen Schließfachanlagen ganz oder teilweise abgebaut wurden und viele Toiletten auf die Reisenden nicht gerade einladend wirken. "Das mag sich wirtschaftlich nicht rechnen, ist aber unbedingt notwendig", sagt Fahrgastvertreter Naumann. "Man verärgert Reisende, die keinen Platz für ihr Gepäck am Bahnhof oder keine vernünftige Toilette finden." Er kann auch einige positive Beispiele nennen: "In den Bahnhöfen Amberg und Bad Schandau gibt es private Betreiber von Schließfächern, in Steinheim in Westfalen kümmert sich die Kommune um die Bahnhofstoiletten." Nicht nur die DB, sondern auch Städte und Gemeinden müssten sich für ihre Bahnhöfe engagieren.

In Ahrensburg und an drei Hamburger S-Bahnhöfen können sich Reisende zudem mit einem gültigen Fahrschein ein Auto-Shuttle bestellen und sich für nur einen Euro zu bestimmten Haltestellen bringen oder von dort abholen lassen. Betreiber des Shuttle-Service ist Ioki, ein Tochterunternehmen der DB. Über 400 000 Fahrgäste haben den Service in den letzten zweieinhalb Jahren genutzt. "So ein Angebot ist ein wichtiger Test und in einer Metropole ganz nett, aber nicht notwendig", sagt Naumann. "Nötig wäre es in Orten, wo es am Bahnhof schlechte oder keine weiteren ÖPNV-Verbindungen gibt."

Lob für die digitale S-Bahn

Bei einem anderen Hamburger Bahn-Modellprojekt ist er dagegen voll des Lobes. Ab Oktober sollen auf einer 23 Kilometer langen S-Bahnstrecke vier Züge vollautomatisch fahren. Der Lokführer hat nur noch die Aufgabe, im Zug die Systeme zu überwachen. Hamburg wird dann die erste Stadt in Deutschland mit einem hochautomatisierten S-Bahn-Betrieb sein. Naumann: "Durch die digitale S-Bahn können die Züge in engerer Taktung und mit höherer Zuverlässigkeit fahren. Davon profitieren viele Fahrgäste."

Letztlich aber stellen sich mehrere Fragen: Bleibt es bei einigen wenigen Modellprojekten oder wird der Service auf Bahnhöfen allgemein verbessert? Insgesamt betreibt die Bahn nach eigenen Angaben bundesweit etwa 5400 Stationen - vom großen Umsteigeknoten bis zum kleinen Haltepunkt an einer eingleisigen Strecke. Und ganz wichtig: Behält der Konzern bei all seinen Innovationen auch die notwendige Basis-Infrastruktur im Blick, also Toiletten, Schließfächer und Bus-Anschlussverbindungen? Zudem beklagen Fahrgastverbände und Arbeitnehmervertreter immer wieder, dass mancherorts Fahrkartenschalter geschlossen oder zumindest die Öffnungszeiten verkürzt werden. Die Frage ist: Erreicht man so - trotz aller Verbesserungen und Innovationen - nicht das Gegenteil von dem, was man eigentlich beabsichtigt?

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