E-Mobilität:Das Laden der Zukunft

Bidirektionales Laden

Hier Kilowatt, da Gigawatt: Um bidirektionales Laden erfolgreich zu machen, müssen viele Elektroautos wie dieser BMW i3 mit den Windrädern im Netz synchronisiert werden.

(Foto: Wilfried Wulff/BMW)

Wer die Energiewende wetterfest machen will, braucht mehr Speicher im Netz: Die Batterien in Elektroautos könnten diese Lücke füllen. Das verbessert nicht nur die Ökobilanz der Stromer.

Von Joachim Becker

Kein Limonadenbaum, kein rothaariges Mädchen und kein gesprenkeltes Pferd auf der Veranda. Das 20 Jahre alte Eigenheim südlich von München sieht wirklich nicht nach Villa Kunterbunt aus. Trotzdem klingt Astrid Lindgrens Kinderlied an: "Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt ..." Wie Pippi Langstrumpf ist auch Karlheinz Seim gerne autark, erst recht, wenn es um den Klimaschutz geht. Statt eines grasenden Vierbeiners steht ein Elektroauto in seiner Einfahrt. Der Strom kommt vom eigenen Dach oder von der Brennstoffzelle im Keller. Aber was kostet so eine Öko-Idylle? Braucht man dafür eine Kiste voll Gold wie im Kinderbuch?

Für Karlheinz Seim geht die Rechnung auf. Er hat zwar viel Zeit und Geld in seine persönliche Energiewende investiert. Dafür spart er knapp 2000 Euro Benzinkosten pro Jahr und noch einmal so viel Geld für Wärme und Strom. Das "Projekt Seim" hat sich bereits nach sieben Jahren amortisiert - aber kann so etwas im größeren Maßstab funktionieren? Befürworter und Gegner des europäischen "Green Deals" werfen einander vor, in einer (grünen) Traumwelt zu leben. Als die EU-Kommission vorige Woche ein Verbrenner-Verbot für das Jahr 2035 vorschlug, gingen Wissenschaftler auf die Barrikaden und Politiker gerieten außer Rand und Band.

Es geht nicht zuletzt um die Klimabilanz von Elektroautos: Diese sei schlecht, warnen Kritiker, weil die Herstellung viel energieaufwändiger sei als bei Verbrenner-Modellen. "Um eine Kilowattstunde Batteriekapazität herzustellen, benötigen Sie etwa das 80-Fache an Energie", bestätigt Peter Carlsson, Chef des Zellherstellers Northvolt. Ende dieses Jahres soll die klimafreundliche Zellproduktion im nordschwedischen Skellefteå anlaufen, das reich an Wasserkraft ist. Die meisten Batterien würden allerdings mit Kohlestrom in Asien hergestellt, monieren die Kritiker. Dass die deutschen Autohersteller (und viele andere) ihre Zell-Lieferanten mittlerweile zu Grünstrom verdonnert haben, geht im Getümmel unter. Ist der BMW i3 von Karlheinz Seim also ein heimlicher Klimakiller? Höchste Zeit für einen Faktencheck im Münchner Speckgürtel.

Bidirektionales Laden

Karlheinz Seim hat zehn Jahre lang an seiner ganz persönlichen Energiewende gearbeitet. Jetzt plant er mit Gleichgesinnten eine Ickinger Quartierslösung.

(Foto: Privat)

Dem heute 72-jährigen Selbstversorger ging es wie vielen Elektro-Pionieren: Erst kam die Photovoltaikanlage, dann das E-Mobil. Solarfarmer kommen spätestens dann ins Grübeln, wenn ihre Sonnenkollektoren aus der staatlichen Förderung fallen. Verglichen mit den Stromkosten von bis zu 30 Cent pro Kilowattstunde (kWh) gibt es für die eingespeiste Energie dann nur noch Kleingeld. Das Problem: Der BMW i3 rückt die gespeicherte Energie nicht mehr heraus, etwa, um das Netz zu stabilisieren oder das eigene Haus zu beleuchten. Für Letzteres muss zusätzlich zum mobilen auch ein stationärer Energiespeicher angeschafft werden. Das treibt die Kosten um ein paar Tausend Euro in die Höhe.

Die individuelle Energiewende stößt schnell an technische Hürden. Wer kann die häuslichen Erzeuger, Speicher und Verbraucher nicht nur untereinander, sondern bedarfsgerecht auch mit den Netzdiensten der Energieversorger koppeln? Die Suche nach der entsprechenden Steuerungselektronik hat selbst den IT-Experten Seim Zeit und Nerven gekostet. Effizienter als eine reine Privatlösung ist die Vernetzung mit den Nachbarn: Aktuell tüftelt Karlheinz Seim mit Gleichgesinnten daran, 300 Ickinger PV-Dächer über einen zentralen Stromspeicher zu verschalten. Eine solche professionelle Quartierslösung würde die zusätzlichen Batterien im Eigenheim überflüssig machen. Die relativ großen Energiespeicher von Elektroautos spielen dabei aber nur eine passive Rolle. Geht da noch mehr? Könnte ein vernetzter Fahrzeugpool den teuren Zentralspeicher ersetzen? Und wie würde die Netzanbindung funktionieren?

Die Regelung von Stromnetzen ist schon kompliziert genug. Mit der Zunahme von Wind- und Sonnenenergie wird sie noch komplizierter

Hier Kilowatt, da Gigawatt: Noch liegen Welten zwischen dem Ickinger Projekt und der großindustriellen Stromerzeugung samt -transport. Besonders hinderlich für den Ausbau des volatilen Ökostroms ist die fehlende Speicherkapazität im Netz. "Die Windleistung kann zum Beispiel zwischen null und 10 000 Megawatt in wenigen Stunden schwanken. Damit wird die Speicherfrage zentral", sagt Ferdi Schüth, Direktor am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung und Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft. In Deutschland reiche die Speicherkapazität für rund 20 Minuten des Energiebedarfs, dann seien die Pumpspeicherkraftwerke leer, so Schüth, "und es gibt kaum eine Chance, das zu erweitern".

Womöglich liegt die Lösung auf der Straße: Wenn sich Tausende Elektroautos zu einem virtuellen Großspeicher verschalten ließen, müsste kein zusätzliches (Kohle-)Kraftwerk aktiviert werden. Die Stromer könnten das Netz stabilisieren und den Anteil erneuerbarer Energien darin maximieren. Allerdings sind die technischen Hürden hoch: Energie-Selbstversorgung mit dem eigenen Ladestecker ist das eine. Es ist etwas anderes, wenn die Laderichtung in ganzen Fuhrparks blitzschnell umgepolt wird, um beispielsweise eine Windflaute in der Nordsee zu puffern.

Bidirektionales Laden

Das vernetzte Haus und Auto im Energiesystem: das Logo des Projekts Bidirektionales Laden (BDL)

(Foto: BMW)

"In den Transportnetzen geht es um wenige Sekunden, um das System über so viele Instanzen hinweg einzuregeln. Das ist sozusagen ein Echtzeitsystem", erklärt Xaver Pfab, BMW-Projektleiter für die bidirektionale Netzintegration (vehicle to grid, kurz V2G). Noch gibt es weder eine automobile Serienlösung für den bidirektionalen Netzanschluss, noch die entsprechend erprobten Steuerungssysteme bei den Netzbetreibern, geschweige denn einen gesetzlichen Rahmen dafür.

"Aktuell sind 86 V2G-Projekte weltweit erfasst. Es gibt außer uns aber kein einziges Projekt, das sich mit den energierechtlichen Fragen beschäftigt. Das ist aber in Zukunft für den Gesetzgeber ein ganz entscheidender Punkt", so Pfab. Nicht weniger wichtig ist die Frage, wie man Elektromobilisten mit Anreizen dazu bringen kann, ihre Lade-Gewohnheiten zu ändern. Etwa nicht gleich mit dem Stromzapfen zu beginnen, wenn sie abends nach Hause kommen. Denn dann ist das Netz ohnehin am Anschlag. Außerdem müssen die Fahrer nicht nur ihren Strom teilen, sondern auch (anonymisierte) Daten. Beispielsweise, wann sie am nächsten Morgen mit welchem Energievorrat im Auto starten wollen.

Xaver Pfab beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit dem bidirektionalen Laden: "Als wir 2009 eine Kleinserie von 500 Mini-e-Fahrzeugen weltweit erprobten, haben wir sie nach Ende der Projektphase nicht verschrottet, sondern 60 Fahrzeuge der University of Delaware für eines der ersten "V2G"-Projekte zur Verfügung gestellt." Umgepolt auf bidirektionales Laden hingen dann allein 16 Fahrzeuge Tag und Nacht im Regelleistungsbetrieb am öffentlichen Stromnetz. "Geschadet hat das den Batterien nicht", so Pfab. 2015 wurde dann das Pilotprojekt Charge Forward in Kalifornien gestartet. Über eine Mobilfunk-App konnten rund 100 Fahrer den Ladevorgang ihres BMW i3 flexibel steuern. Um besagte Verbrauchsspitzen im Netz zu vermeiden.

Bisher hatten die Energiewirtschaft und die Automobilindustrie nicht viel miteinander zu tun. Wie diese Sektorenkopplung klappen kann, erforschen mehrere Universitäten und Stromnetzbetreiber im jüngsten V2G-Projekt unter BMW-Leitung. "In ambitionierten Klimaschutzszenarien haben wir im Jahr 2035 bereits 20 Millionen Elektrofahrzeuge im System", sagt Wolfgang Mauch, Leiter der Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE): "Bei einer angenommenen Speicherkapazität von 50 kWh pro Fahrzeug entspricht das 1000 GWh Speicherkapazität. Das ist mehr als 20-mal so viel wie alle deutschen Pumpspeicherkraftwerke zusammen."

Das klingt gut, ist aber nur ein theoretischer Wert: Die Wallboxen, an denen die E-Fahrzeuge meist hängen, haben nicht mehr als zehn kW Anschlussleistung. Jeder Stromer kann also nur einen Teil seiner Energiereserven zur Verfügung stellen. Das schont die Batterie - und es würde trotzdem reichen, um Spitzenlasten im deutschen Netz abzupuffern. Dafür haben BMW, die Forschungsinstitute und Netzbetreiber neue Kommunikationsschnittstellen und eine bidirektionale Ladestation entwickelt. Mittlerweile werden die ersten 20 BMW i3 mit der rückspeisefähigen Ladetechnologie unter Realbedingungen im Alltag erprobt. Bis Jahresende sollen es 50 Fahrzeuge sein. Das ist mehr als ein kunterbunter Kindertraum, vor allem, wenn das bidirektionale Laden in den Serienbetrieb geht.

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