Kfz-Handel:Autokauf von der Couch

Lesezeit: 4 min

Über einen Internet-Link kann sich der Kunde mit einem Audi-Mitarbeiter vernetzen. Dieser trägt eine Datenbrille mit Kamera und führt das gewünschte Auto vor. (Foto: Robert Schlesinger/Audi)

In den Autohäusern stapeln sich die Neuwagen. Das wird zur Gefahr für die ganze Branche. Mitten in der Krise versucht sie, neue Wege zu den Kunden zu finden.

Von Joachim Becker

Die Straßen sind leer, der Stau hat sich in die Autohäuser verlagert. "Noch mehr Fahrzeuge können die Betriebe nicht aufnehmen. Damit kommen auch Zulieferung und Produktion zum Stillstand", warnen die Automobilverbände. Es geht nicht nur um einen temporären Warenstau, sondern auch um den Wertverfall der vorfinanzierten Lagerfahrzeuge. So lange die Autohäuser nicht wieder offen sind, zahlen die Händler bei jedem nicht mehr ganz so neuen Neuwagen drauf. "Das Ganze wird kritisch, weil schon bisher sehr viele Lagerfahrzeuge auf den Höfen der Händler standen", sagt der Marktexperte Stefan Bratzel, "ein Drittel von ihnen hat in der Vergangenheit kaum Gewinn gemacht, das kann vielen jetzt das Genick brechen."

Ein breites Händlersterben wäre das Letzte, was die Hersteller jetzt brauchen könnten. Schon fordern zahlreiche Politiker Kaufprämien für klimafreundliche Antriebe. Doch was hilft eine Tauschprämie "alt gegen neu", wenn die Höfe voll von Verbrennern stehen und die Vertriebsprozesse ähnlich konventionell sind? Experten bezweifeln daher, dass eine "Abwrackprämie" wie vor einer Dekade funktionieren würde. "Europa wird mehr als zehn Jahre brauchen, um die Neuwagenverkäufe des Jahres 2019 wieder zu erreichen", erwartet etwa Ferdinand Dudenhöffer von der Universität St. Gallen. Eine Rettungspolitik würde den Steuerzahler viel Geld kosten und die Marktanpassung letztlich nur verzögern: "An einem Kapazitätsabbau in der europäischen Autoindustrie wird man nicht vorbeikommen."

SZ PlusAutohäuser
:Das Autohaus der Zukunft

Früher pilgerten deutsche Familien in Industriegebiete, wenn sie ein neues Auto kaufen wollten. Aber ist das noch zeitgemäß? Wie digitale Plattformen und Start-ups den Markt verändern.

Von Stefan Mayr

Jetzt rächen sich die Versäumnisse der Vergangenheit. Auch die deutschen Autohersteller sind beim Technologiewandel nicht so weit, wie sie gerne glauben machen. Das gilt für die fehlenden Batterieautos ebenso wie für den digitalen Wandel. Neuwagen werden meist über der Theke verkauft. Sobald der Wagen vom Hof rollt, verlieren die Händler den Kontakt zu vielen Kunden. In den Zeiten des vollvernetzten Autos, das sich per Luftschnittstelle aktualisieren und mit neuen softwarebasierten Funktionen updaten lässt, wird dieser Kontaktverlust zur Gefahr für das gesamte Geschäftsmodell.

"Bisher haben wir unsere Fahrzeuge im Wesentlichen an den Handel geliefert. In der neuen Welt müssen und wollen wir direkt mit dem Kunden sprechen", kündigt Volkswagen-Konzernchef Herbert Diess in einem Interview mit dem Journalisten Gabor Steingart an. Es gehe weniger um das Thema Elektrifizierung, sondern darum, das Auto grundsätzlich als ein Internet Device zu verstehen. "Tesla ist das Unternehmen, das diesen Wandel am besten darstellt", gibt Diess zu.

Neuwagen verlieren jeden Tag an Wert

Geredet haben die Hersteller von Digitalisierung und Direktvertrieb schon lange, passiert ist indes wenig. "Es gab eine gewisse digitale Hyperaktivität, die viele einzelne Maßnahmen angestoßen hat. Aber die grundsätzliche Digitalisierung der Kundeninteraktion, diese fundamental zu überdenken und neu zu gestalten, das ist nicht passiert", kritisiert Philip Beil, der bei dem Beratungsunternehmen Publicis Sapient für die digitale Business Transformation zuständig ist. Tesla sei als Software-Firma mit angeschlossener Autoproduktion ideal für den Technologiewandel positioniert, meint auch Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM).

Im Einsatz ist diese Live-Beratung aktuell deutschlandweit in mehr als 40 Partnerbetrieben sowie in der Audi City in Berlin. (Foto: Robert Schlesinger/Audi)

Neue Elektromarken wie Polestar setzen ebenfalls auf den digitalen Direktvertrieb. Die Volvo-Schwestermarke hat gerade mit dem Verkauf des Polestar 2 begonnen. Genau wie bei Tesla ist die Abwicklung über das Online-Portal erstaunlich simpel, weil die Komplexität geringer ist als bei den deutschen Marken mit ihren vielen Ausstattungs- und Motorisierungsvarianten. "Warum baut man eine Marke wie Polestar als eigenständiges Unternehmen auf? Der Grund ist einfach, weil man an den gewachsenen Händlerstrukturen der Muttergesellschaft Volvo vorbeikommen will", sagt Philip Beil, "auch Tesla hat nie Tausende von Händlern gehabt, an die das Unternehmen vertraglich gebunden ist, und kann deshalb extrem schnell agieren." Das könnte beim Wiederstart von Produktion und Verkauf zum entscheidenden Vorteil werden.

Einen Wagen wie in Asien über das Smartphone zu kaufen, scheint hierzulande kaum vorstellbar. Noch. "Für mich war es sehr sinnvoll, die letzten Jahre in China verbracht zu haben, denn China ist nun mal der größte Online-Markt der Welt. Dort sind die Leute nicht online, sie leben online", berichtet Henrik Wenders. Der neue Audi-Markenchef war bis 2016 für das Produktmanagement von BMW i verantwortlich, bevor er Marketing-Leiter des chinesischen Start-ups Byton wurde. Von Shanghai aus lernte er einen Automarkt kennen, in dem die Neuwagenkäufer im Schnitt 20 Jahre jünger sind als in Europa. Sie gehören also mehrheitlich zur Generation der "Digital Natives", haben das Internetzeitalter am PC übersprungen und sind direkt über das Mobiltelefon vernetzt. "Deshalb sind die entsprechenden Services wesentlich tiefer in Mobil-Apps integriert als in Europa oder den USA", so Wenders.

Zum 1. April sind im Volkswagen-Konzern neue Händlerverträge in Kraft getreten. Bei künftigen Elektromodellen wie dem ID 3 findet die eigentliche Kaufbeziehung zwischen dem Autohersteller und dem Kunden statt, der Händler fungiert nur noch als Vermittler. Warum es so wichtig ist, direkten Zugriff auf die Kundendaten zu bekommen, hat Jürgen Stackmann schon im Februar erklärt: "Wir sind auf dem Weg von der fahrzeuggebundenen zur kundenbezogenen Betrachtung. Der Kunde will an jedem Touchpoint auf allen digitalen Plattformen erkannt werden", so der Vertriebsvorstand der Marke Volkswagen. Bisher gäbe es auf dem Weg zur "connected e-Company" noch viel zu viele Systembrüche. Das heißt, die Kundendaten lägen verstreut bei Händlern, Aftersales oder Autobanken - was Gift für datenbasierte Geschäftsmodelle ist.

"Wir sind in der größten Transformation unserer Geschichte", so Stackmann. Viel Zeit bleibt nicht für diesen Wandel. Audi will Ende des Monats damit beginnen, vorkonfigurierte Werks-Lagerwagen auf eigene Rechnung im Internet zu verkaufen. Ein erster, tastender Versuch ist auch der Einsatz von Datenbrillen, die Verkaufsberater und Kunden miteinander vernetzen. Mit der Live-Schalte vom Audi-Zentrum ins Wohnzimmer wird zwar eine kontaktlose Kaufberatung möglich. Doch der Kaufabschluss läuft weiterhin exklusiv über das Autohaus. Wenigstens so lange, bis Volkswagen die Software-Probleme beim ID 3 endlich gelöst hat.

© SZ vom 18.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Mobilität
:Welcher Antrieb ist der Beste?

Alte oder unvollständige Zahlen, ahnungslose Autokäufer. Kein Wunder, dass der Streit darüber nicht endet, ob wir alle elektrisch fahren sollen, auf Wasserstoff setzen oder weiter beim Diesel bleiben. Dabei lohnt ein Blick auf die Fakten.

Von Joachim Becker

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: