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2 – Ausbildung gegen den Fachkräftemangel
Moderiert wurde der Runde Tisch zum Thema „IT-Standort Bayern“ von Jannis Brühl (li.), Leiter des Digitalteams der Süddeutschen Zeitung. Angesichts der vielfältigen Herausforderungen durch Digitalisierung, künstliche Intelligenz und Fachkräftemangel wurde intensiv diskutiert. Foto: Ilona Stelzl/lolaslicht
Wolfgang Springer – Ich habe selbst zwei Studiengänge in Bayern absolviert und muss gestehen, dass der Standort personell schon einmal stärker war. Früher hat es den Freistaat ausgezeichnet, dass man relativ gut die richtigen Leute mit dem benötigten Fachwissen rekrutieren konnte. Das ist heute anders, besonders wenn man Themen wie IoT, also das Internet der Dinge, vorantreiben möchte. Klar, in München ist die Situation noch relativ gut. Aber an anderen Standorten suchen wir nicht nur bundesweit nach Mitarbeitern, sondern praktisch überall auf der Welt.
Merken Sie das ebenfalls, Frau Pflitsch, dass es bei der Personalsuche schwieriger geworden ist und man daher globaler denken muss?
Sylvie Pflitsch – In München ist es alleine aufgrund der Stadtgröße tatsächlich vergleichsweise einfach, Mitarbeiter zu finden. Wir haben aber auch andere Standorte, an denen die Mitarbeitersuche schwieriger ist. Grundsätzlich besetzen wir aber schon länger Stellen mit Kandidaten aus der ganzen Welt. Wir suchen dabei nicht nur nach IT-Fachkräften, sondern gezielt auch nach Quereinsteigern, die wir entsprechend weiterbilden können. Denn für viele Stellen gibt es nicht die Leute, die eins zu eins passen. Auch in meinem Bereich habe ich in der Vergangenheit schon mehrere Monate benötigt, um eine bestimmte Stelle zu besetzen. Das liegt nicht zwingend an den IT-Fähigkeiten der Bewerber, die durchaus vorhanden sind, sondern auch an den sogenannten Soft Skills, die man für eine bestimmte Position ebenfalls braucht. Von den zehn Skills, die das World Economic Forum für 2025 als notwendig erachtet, sind tatsächlich nur zwei technischer Natur. Wir benötigen immer öfter Menschen, die nicht nur ein gutes IT-Verständnis haben, sondern auch ganzheitlich Probleme betrachten und lösen können. Diese Kombination ist leider rar gesät. Man muss aber auch dazu sagen, dass wir früher deutlich weniger Stellen zu besetzen hatten. Der Bedarf an Mitarbeitern mit IT-Kenntnissen und anderen Skills hat sich vervielfacht.
Gordon Rohrmair – Diesen Trend sehen wir ebenfalls. Allein der Wissenschaftsbereich in Bayern, also nicht nur die Technische Hochschule Augsburg, strebt ein jährliches Wachstum der Absolventenzahlen von zehn Prozent an. Vor zehn Jahren sind die fertigen Informatiker vorwiegend als Softwareentwickler in die klassischen Informations- und Kommunikationstechnologieunternehmen gegangen. Heute bauen auch die Industrieunternehmen entsprechende Stäbe auf und suchen händeringend Mitarbeiter. Dadurch entsteht ein gigantischer Sog. Den Bedarf der reinen ITK-Unternehmen können wir gut decken, aber die zusätzliche Nachfrage aus der Industrie nicht. Die großen Unternehmen an attraktiven Standorten tun sich bei der Stellenbesetzung natürlich deutlich leichter als viele klein- und mittelständische Betriebe in der Region. Für die ist die Situation teilweise gravierend.
Wolfgang Springer – Das Problem besteht tatsächlich darin, dass heute auch in der IT andere oder zusätzliche Skills gesucht werden als früher. Das muss sich stärker in der Ausbildung wiederfinden. Noch vor einiger Zeit ging es hauptsächlich um IT-Techniker und Softwareentwickler. Heute benötige ich zusätzlich IT-versierte und kommunikationsstarke Projektleiter, die in einem Industrieunternehmen in der Lage sind, interne oder externe IT-Dienstleistungen beurteilen, beauftragen und managen zu können. Den Softwarespezialisten, der gleichzeitig noch an der Hardware herumschraubt und Projekte managt, den gibt es nicht, und er wäre auch nicht sinnvoll einsetzbar. An dieser Stelle fehlt noch das Angebot an Studiengängen oder Ausbildungswegen, um den wachsenden Bedarf decken zu können.
Fehlt den IT-lern die notwendige Dosis BWL oder geht es mehr um kommunikative Fähigkeiten?
Sylvie Pflitsch – Im Wesentlichen geht es um Problemlösungskompetenz. Die kann man nicht einfach lernen, sondern dafür benötigt man Erfahrung. Dafür ist etwas weniger Theorie zugunsten von mehr Praxis erforderlich. Ich habe in der Vergangenheit viel mit Studenten gearbeitet und kann nur betonen, wie wichtig es ist, dass sie frühzeitig praktische Erfahrung beim Lösen von komplexen Aufgaben sammeln. Früher war die Welt nur kompliziert, heute ist sie komplex, weil sie sich dynamisch verändert. Die Komplexität wird nicht verschwinden, wir müssen daher lernen, mit ihr umzugehen. Es ist wie mit der Klimakrise: Einer allein kann sie nicht lösen, das gelingt nur vernetzt. Diese vernetzte Kompetenz erfordert sehr viel Kommunikation und teilweise auch Konfliktmanagement. Das ist gerade dann notwendig, wenn es um die Digitalisierung von Arbeitsprozessen geht.
„In der realen Welt spielt der Ingenieur immer noch die grösste rolle. Er braucht aber IT-Kompetenzen, um in der virtuellen Welt Lösungen zu finden.“
Daniel Kleffel – Ich habe in den vergangenen Jahren sehr viele Vorstellungsgespräche mit Informatikern und Ingenieuren geführt. Die Problemlösungskompetenz ist vor allem bei Ingenieuren sehr deutlich ausgeprägt, weil das zwingend zu diesem Beruf gehört. Deshalb wünsche ich mir in Hinblick auf die Ausbildung einen stärkeren Schwerpunkt auf den klassischen Ingenieursbereich, der sehr stark mit IT-Kompetenzen angereichert ist. Wir haben zu oft das Problem, dass die Leute durch die starke Aufspaltung der Studien- und Ausbildungsgänge zu sehr auf einen Bereich festgelegt sind.
Thomas Leubner – Ein Blick auf die Studiengänge zeigt, dass wir Informatiker, Wirtschaftsinformatiker und Softwarearchitekten ausbilden. Wir bringen jedoch zunehmend die virtuelle und die reale Welt zusammen, und in der realen Welt spielt der Ingenieur immer noch die größte Rolle. Er braucht aber spezielle IT-Kompetenzen, um in den Bereichen Internet der Dinge, Robotik, Cybersicherheit, Simulationen, digitale Zwillinge, Data Analytics und anderen mehr Lösungen zu finden. Um jedoch eine Kundenlösung in Co-Kreation entwickeln zu können, benötigt man sowohl die Ingenieurs- als auch die Domain-Kompetenz. Man muss wissen, wie Walzwerke, Verkehrssysteme – oder was auch immer digitalisiert werden soll –grundsätzlich funktionieren. Nur so findet man die Ansatzpunkte für digitale Lösungen, mit denen man den Kunden besonders gut und effizient helfen kann, weil dort ineffizient gearbeitet wird oder besonders häufig Fehler auftreten. Ein Ingenieur, der diese Form von Digitalisierungskompetenz mitbringt, ist ideal. Unser Weg, um an diese Leute zu kommen, besteht neben der engen Kooperation mit den Universitäten im Ausbau des dualen Studiums. Mittlerweile sind mehr als die Hälfte unserer Auszubildenden und Lernenden Studenten. Da haben wir duale Bachelor-Studiengänge sowie berufsbegleitende Master- und MBA-Studiengänge. Die Erfahrung zeigt, dass dort eben nicht nur die Theorie gelernt werden kann, sondern auch die Handlungskompetenz vermittelt wird. Deshalb hat dieser Ausbildungsweg für uns eine zentrale Bedeutung. Mehr als 60 Prozent unserer Young Professionals kommen heute über duale Studien- und Ausbildungsgänge in unser Unternehmen.
Viele IT-Studenten sehen sich immer noch eher als Spezialisten, die komplexe Programmieraufgaben meistern. Benötigt werden aber immer öfter IT-Fachkräfte mit sozialen Skills, erklärte Prof. Dr. Dr. h.c. Gordon Rohrmair, Präsident der Technischen Hochschule Augsburg. Foto: Ilona Stelzl/lolaslicht
Brauchen wir neue Berufsbilder oder Studiengänge wie den programmierenden Ingenieur, der auch noch gut im Projektmanagement ist?
Thomas Leubner – Es gibt in Deutschland mehr als 20.000 zugelassene Studiengänge. Wir brauchen definitiv keine neuen Berufsbilder oder Studiengänge, sondern mehr Aufklärung darüber, was in der Wirtschaft tatsächlich benötigt wird. Wir haben heute die größten Probleme bei der Besetzung von Stellen für Elektroingenieure mit IT-Kenntnissen. Wir tun uns als Großkonzern dagegen relativ leicht, Informatiker oder Wirtschaftsinformatiker zu finden. Insgesamt benötigen wir in Deutschland eine Rückbesinnung auf die Ingenieurskompetenz.
Beim Online-Service und bei der Kundenkommunikation mittels Apps setzen andere Branchen und Unternehmen die Standards und prägen damit auch die Erwartungshaltung der Versicherten im Gesundheitswesen, sagte Marcel Rydzewski, Chief Digital Officer (CDO) bei der Barmer. Foto: Ilona Stelzl/lolaslicht
Marek Rydzewski – Wir haben in der gesetzlichen Krankenversicherung einen großen Bedarf an Menschen, die die Bedürfnisse unserer Kunden besser verstehen. Die technische Umsetzung in Form von Softwareentwicklung und Programmierung ist nur ein Teil der Aufgabe. Der andere Teil besteht darin, zu erkennen, für wen man das entwickelt und wie das bei den Nutzenden, also unseren Versicherten, ankommt. Wir haben eine gute IT-Abteilung und widmen uns den Themen Servicedesign, Benutzeroberflächen und User Experience, damit diese Form der Kommunikation von den Kunden positiv erlebt und angenommen wird. Da setzen andere Branchen die Standards und prägen damit die Erwartungshaltung der Versicherten. Deshalb wäre es fatal, wenn man die IT quasi im luftleeren Raum vor sich hin entwickeln lässt. Vielmehr entwickeln wir das mit den Kunden in einem iterativen Prozess. Das sind keine klassischen IT-Aufgaben, aber sie sind wichtig, damit eine IT-Lösung von den Kunden erfolgreich angenommen wird. Bei IoT-Lösungen kommt es darauf an, dass die Geräte und Apps möglichst intuitiv bedienbar sind. Deshalb suchen wir vor allem IT-ler, die nicht nur programmieren können, sondern dieses Kundenverständnis mitbringen.
„Die Programmierung von Software ist nur ein Teil der Aufgabe. Der andere Teil besteht darin, zu erkennen, wie das bei den Nutzern ankommt.“
Gordon Rohrmair – Wenn wir vor zehn Jahren hier diskutiert hätten, dann wäre die soziale Kompetenz kaum ein Thema gewesen. Allerdings sehen sich immer noch viele IT-Studenten eher als sogenannte Nerds, also als Spezialisten, die komplizierte Programmierungen meistern. Da gibt es durchaus Probleme beim Abgleich mit dem, was wir eigentlich benötigen. Das Gleiche gilt im Grunde für die Anwerbung aus dem Ausland, die unsere Probleme nicht lösen wird, weil die Leute zum Teil aus Gegenden mit ganz anderen sozialen Vorstellungen zu uns kommen. Auch da sind Konflikte vorprogrammiert. Es gibt also keine einfache Lösung, sondern nur ein Bündel an Maßnahmen, mit denen wir dem Mangel an Fachkräften entgegenwirken können.
Daniel Kleffel – Beim Freistaat Bayern setzen wir ebenfalls vermehrt auf duale Studiengänge, auch wenn wir noch nicht die beeindruckende Quote von Siemens erreichen. In mancher unserer Abteilungen, etwa im Rechenzentrum, haben wir sehr international besetzte Teams. Da benötigen wir die schon angesprochenen Projektleiter mit der Kompetenz, diese Teams erfolgreich zusammenzuhalten und zu steuern. Um unseren eigenen Pool an Fachkräften zu erweitern, müssen wir bereits in den Schulen die jungen Menschen verstärkt für ein Studium der MINT-Fächer begeistern.
Selbst wenn in Deutschland alle IT studieren würden, wäre der Bedarf noch nicht gedeckt. Frau Pflitsch, wie werben Sie im Ausland um Talente?
Sylvie Pflitsch – Wir setzen definitiv auf internationale Teams, dank hybridem Arbeiten ist das auch mit über die Welt verteilten Mitarbeitern gut möglich. Dabei profitieren wir davon, dass unterschiedliche Länder ihre eigenen Strategien und Stärken haben, die wir nutzen können. Diese Teams zu führen, erfordert die bereits mehrfach erwähnten sozialen Skills. Aber nur so geht es heute noch. Um Menschen zu überzeugen, muss man ein attraktiver Arbeitgeber sein und die Leute so nehmen, wie sie sind. Ein Spezialist darf ein Spezialist bleiben, denn in vielen Bereichen benötigen wir die ja auch. Neben einer wettbewerbsfähigen Vergütung und guten Arbeitsbedingungen bieten wir vielfältige Aus- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Deshalb bleiben die Leute auch gerne bei uns, weil sie sich weiterentwickeln können und zum Beispiel vom Spezialisten zum Generalisten werden können, wenn sie das möchten.
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