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4 – Welche Zukunft hat der IT-Standort Bayern?
Die Arbeit im Homeoffice ist ein ganz entscheidender Punkt: Ohne ein solches Angebot, bei dem die Leute nicht den Wohnort wechseln müssen, wird man in Zukunft keine Fachkräfte im IT-Bereich mehr gewinnen können, betonte Dr. Wolfgang Springer, Director Group IT bei der Netzsch Group. Foto: Ilona Stelzl/lolaslicht
Wolfgang Springer – Die Stadt Selb und die Region Oberfranken verfügen natürlich über eine andere Infrastruktur und Standortattraktivität als München. Anhand meiner eigenen Geschichte kann ich jedoch sagen, dass es sich hier sehr schön leben lässt. Ehe ich zur Netzsch-Gruppe wechselte, war ich zwei Jahre in den USA tätig. Ein Grund für meine Entscheidung, die Stelle in Selb anzunehmen, lag darin, dass ich aus dieser Region stamme und daher ihre Vorzüge bestens kenne. Ohne diesen regionalen Bezug wäre es vielleicht anders ausgegangen. Unternehmen in München tun sich leichter, unterschiedlichste Bewerberprofile anzulocken. Das Leben in der Großstadt ist aber nicht für jeden oder in jeder Lebensphase die Ideallösung. Die Vorzüge der Region spielen bei zunehmendem Alter eine größere Rolle. Hochschulabsolventen zieht es in die Großstädte, die lassen sich auch mit viel Geld und anderen Incentives kaum in eine kleinere Stadt locken. Nach einer Familiengründung werden andere Kriterien wichtiger, etwa bezahlbare Häuser und Lebensqualität.
Thomas Leubner – Dazu passt die Geschichte einer unserer Mitarbeiterinnen. Ihr Mann war ebenfalls bei Siemens tätig, ehe er beschloss, mit dem Kauf eines Sägewerks etwas ganz Neues anzufangen. Sie wollte dafür jedoch nicht ihre Position aufgeben. Dank Homeoffice konnten wir sie weiter beschäftigen, und so lebt sie heute mit ihrer Familie im Bayerischen Wald, und alle sind glücklich. Siemens hat neben Niederlassungen und Werken in München, Nürnberg und Erlangen auch solche in Amberg oder Bad Neustadt an der Saale. Amberg ist nicht weit weg von den Forschungseinrichtungen in Erlangen und bietet eine attraktive Altstadt und eine sehr gute Infrastruktur. Wir verfügen dort über eines der weltweit modernsten Werke für Digitalisierungstechnik. Damit kann man auch jüngere Mitarbeiter überzeugen. Dass in Amberg der Wohnraum zudem deutlich günstiger zu kaufen oder zu mieten ist als in München, trägt ebenfalls zu einem attraktiven Gesamtpaket bei.
Daniel Kleffel – Bei den IT-Arbeitsplätzen ist vermutlich kein Arbeitgeber so breit aufgestellt wie der Freistaat. Wir können quasi Stellen in ganz Bayern anbieten – in Stadt und Land. Bei der Besetzung von Stellen an Orten wie Freyung, Waldsassen oder Windischeschenbach kommt es tatsächlich sehr darauf an, in welcher Lebensphase oder persönlichen Umständen sich die Bewerberinnen und Bewerber befinden. Gerade sehr heimatverbundene Menschen zieht es nach einer Zeit im Ausland wieder in ihre Region zurück. Das kommt unseren regionalen Standorten zugute. Wir haben im IT-Bereich zudem eine sehr ausgeprägte Homeoffice-Kultur, die es den Menschen ermöglicht, dort zu arbeiten, wo sie wohnen – und nicht umgekehrt. In manchen Abteilungen leisten unsere Beschäftigten ihre Arbeit an vier von fünf Tagen von ihrem Wohnort aus. Und es macht schon einen Unterschied für uns, ob wir eine Position in München mit jemanden besetzen können, der in Aschaffenburg wohnen bleiben kann.
Das Ziel sollte nicht nur für Bayern eine gute Balance zwischen den Zukunftstechnologien und den traditionell vorhandenen Stärken und Tugenden sein. Denn Lebensqualität und soziale Absicherung sind für Marcel Rydzewski, Chief Digital Officer (CDO) bei der Barmer, ebenfalls wichtige Standortvorteile. Foto: Ilona Stelzl/lolaslicht
Wolfgang Springer – Die Arbeit im Homeoffice ist auch für uns ein ganz entscheidender Punkt. Unser Security Architect wohnt beispielsweise 200 Kilometer von Selb entfernt. Wir treffen uns einmal in der Woche persönlich, ansonsten arbeitet er von zu Hause. Ohne ein solches Angebot, bei dem die Leute eben nicht an den Hauptsitz eines Unternehmens ziehen müssen, wird man in Zukunft keine Fachkräfte im IT-Bereich mehr gewinnen können.
Marek Rydzewski – Wir bauen ebenfalls zunehmend auf Teams, die nicht an unseren originären Standorten tätig sind. Denn die Mitarbeitenden sehen ja, dass auch unsere externen IT-Dienstleister ihre Arbeit nicht vor Ort leisten. Hier wie dort geht es um die erbrachte Leistung und nicht um die Präsenz im Büro. Ein weiterer wichtiger Faktor, den wir bei der Personalgewinnung für unsere IT-Aufgaben hervorheben, ist die Sinnhaftigkeit einer Tätigkeit bei uns. Da profitieren wir bei den jüngeren Generationen vom gesellschaftlichen Wandel in den Einstellungen zur Arbeit. Früher galt es eher als „old school“, bei einer Krankenkasse zu arbeiten. Heute können wir neben einem sicheren Job auch damit werben, dass man bei uns einen Beitrag für mehr Nachhaltigkeit, Verbesserungen im Gesundheitswesen und damit etwas für die Gesellschaft leisten kann.
„Bei der Besetzung von Stellen in kleineren Städten kommt es sehr darauf an, in welcher lebensphase sich die bewerberinnen und bewerber befinden.“
Herr Rohrmair, sieht so die Zukunft der Arbeit aus, dass immer mehr Menschen die Ballungsräume verlassen und auch in kleineren Orten bleiben und von dort aus tätig sein können? Oder gibt es für Unternehmen und Organisationen da eine Grenze?
Gordon Rohrmair – Das ist eine spannende Frage, mit der wir uns ebenfalls beschäftigen. In den großen Unternehmen schwenkt das Pendel von einem Tag im Büro und vier Tagen im Homeoffice gerade ein wenig zurück in Richtung zwei oder gar drei Tagen pro Woche Präsenz im Büro. Während der Corona-Pandemie, als sehr viel Arbeit ins Homeoffice verlegt wurde, sind die Menschen teilweise in den erweiterten Umkreis von München, etwa in Städte wie Landsberg am Lech, gezogen. Dort sind die Immobilienpreise dann sehr stark gestiegen. In Augsburg profitieren wir einerseits sehr stark von den wissenschaftlichen Einrichtungen und High-Tech-Unternehmen in München. Andererseits entscheiden sich gerade mittelständische Unternehmen für Augsburg, weil sie dort den Talentwettbewerb mit den Münchnern vermeiden können und ihre Mitarbeiter nicht die hohen Wohnkosten aufbringen müssen.
Die Gesellschaft benötigt generell eine positivere Einstellung gegenüber der Technologie als wichtigen Treiber für Innovation und künftigen Wohlstand. Dieses Wissen sollte schon früh in der Schule vermittelt werden, forderte Prof. Dr. Dr. h.c. Gordon Rohrmair, Präsident der Technischen Hochschule Augsburg. Foto: Ilona Stelzl/lolaslicht
Abschließend würde ich gerne von Ihnen wissen, was sie sich für den IT-Standort Bayern wünschen würden?
Gordon Rohrmair – Wir benötigen generell eine positivere Einstellung gegenüber der Technologie als wichtigen Treiber für Innovation und unseren künftigen Wohlstand. KI, um nur ein Beispiel zu nennen, wird weder der Terminator noch der Job-Killer werden. Im Gegenteil, sie kann dazu beitragen, einen Großteil unserer Probleme zu lösen. Dieses Wissen sollte nicht nur in den Hochschulen Verbreitung finden, sondern muss schon früh in der Schule vermittelt werden. In Bezug auf Hochschulen und Infrastruktur hat Bayern in Deutschland nach wie vor eine herausragende Stellung. Wir müssen bundesweit noch am Mindset arbeiten. Dann werden wir auch mehr erfolgreiche Start-ups sehen, denn dort spielen all diese Faktoren eine wichtige Rolle. Man braucht Ideen, Wagemut und eine positive Einstellung zur Technologie.
Sylvie Pflitsch – Wir sollten weniger versuchen, etwas nachzuahmen, was andere schon haben, sondern Nischen besetzen. Das gilt gleichermaßen für Bayern und Deutschland. Statt ein zweites Amazon nachzubauen oder Google noch einmal zu gründen, ist es sinnvoller, abseits bereits eingeschlagener Pfade neue und verrückte Ideen zu verfolgen. Das beginnt mit den beiden Fragen, was wir künftig brauchen und was wir vielleicht besser als andere können. Und dann sollten Staat und Unternehmen gezielt dort investieren, wo eben nicht schon alle anderen unterwegs sind. Mehr Neues wagen!
Marek Rydzewski – Unser Ziel sollte eine gute Balance zwischen den Zukunftstechnologien und den in Deutschland traditionell vorhandenen Stärken und Tugenden sein. Ich habe den Eindruck, dass man sich hier manchmal dafür schämt, bodenständiger zu sein und andere Wege zu gehen als viele Länder. Die USA werden oft als Vorbild ausgegeben, aber wenn man sich die Verhältnisse der breiten Bevölkerung ansieht, dann empfinde ich die Lebensqualität in Deutschland als wesentlich besser. Der Wohlstand ist hier breiter verteilt, und das muss auch für die Zukunft das Ziel sein. Es geht bei der Technologie nicht um immer schneller, höher und weiter, sondern darum, dass sie – etwa im Gesundheitswesen – das Leben der Menschen verbessert. Die soziale Absicherung ist übrigens ein Standortvorteil, den Menschen, die aus dem Ausland hierherkommen, durchaus sehen und zu schätzen wissen.
„Wir sollten die unbestreitbaren stärken des IT-standortes bayern weiter ausbauen und zugleich offen für neue technologien sein.“
Thomas Leubner – Bayern ist nach wie vor ein sehr starker Standort. Nicht nur im Bundesvergleich schneiden die bayerischen Schulen und Hochschulen sehr gut ab. Wir haben einen starken Mittelstand und ein Land, das aufgrund seiner Landschaft und Kultur sehr lebenswert ist. Man muss an dieser Stelle auch einmal hervorheben, dass die Staatsregierung positiv gegenüber neuen Technologien eingestellt ist und diese fördert. Auf diese Stärken kann man aufbauen. Wir müssen aufpassen, uns nicht in eine Abwärtsspirale zu diskutieren. Stattdessen sollten wir gerade den jungen Leuten vermitteln, dass Arbeit nicht nur Last und Mühsal ist, sondern auch Erfüllung bietet und gerade im Technologiebereich einen Beitrag zur Verbesserung der Welt leisten kann.
Wolfgang Springer – Die gerade beschriebenen Stärken sollten wir weiter ausbauen und zugleich offen für neue Technologien sein. Darüber hinaus würde ich mir einen Abbau der Überregulierung wünschen, der den Mittelstand an manchen Stellen hemmt.
Daniel Kleffel – Aus den hier vorgetragenen Gründen mache ich mir keine Sorgen um den IT-Standort Bayern. Ich halte es jedoch für dringend erforderlich, den Menschen schon ab der Schulzeit an mehr Lust und Freude an Technik zu vermitteln. In Deutschland sind wir zu häufig von Angst getrieben, anstatt die Chancen und positiven Seiten zu sehen. Eine zu 80 Prozent ausgereifte Lösung auf den Markt zu bringen ist manchmal besser, als auf die hundertprozentige Lösung zu warten. Etwas mehr machen und weniger Bedenken vorbringen, damit könnten wir schon viel erreichen.
Jacob Neuhauser
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