Vorsorgeprinzip:Zu viel Vorsicht ruiniert die Zukunft

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Prototyp eines selbstfahrenden Rolls-Royce. Sind solche Autos die Zukunft? (Foto: dpa)

Ob die Risiken von Glyphosat oder die Gefahren selbstfahrender Autos: Politiker fordern, noch den letzten Zweifel zu beseitigen. Aber neue Risiken sind nicht zwangsläufig schlimmer als alte.

Kommentar von Kai Kupferschmidt

Manchmal ist es gut, vorsichtig zu sein. Impfen ist schließlich besser als krank werden, Sparen besser als pleite sein, und Krebs früh zu erkennen, besser als zu spät zum Arzt zu gehen. Aber auch Vorsicht hat Nachteile. Impfstoffe können Nebenwirkungen haben, Zinsen niedriger als die Inflation ausfallen und viele Krebsfrüherkennungsprogramme machen Gesunde völlig unnötig zu Kranken. Kann die Vorsicht also zum Prinzip erhoben werden?

Das Vorsorgeprinzip tut genau das, und es ist nicht nur in den Gesetzen verankert, sondern längst auch in den Köpfen der Menschen. Aktivisten und Politiker berufen sich darauf, wenn sie Schäden für Umwelt oder Gesundheit auch nur vermuten. Aber etwas zu verbieten, hat Folgen.

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Von Kai Kupferschmidt

Ein Verbot des Ackergifts Glyphosat kann Krebserkrankungen verhindern, das behaupten Gegner des Herbizids. Ein Verbot beschleunigt aber auch die Bodenerosion und könnte zum Einsatz von Pestiziden führen, die noch gefährlicher sind für Mensch und Umwelt. Sollten man das Gift also aus Vorsorge verbieten - oder die Zulassung aus Vorsorge erneuern?

Wie sicher ist sicher?

Vor Kurzem ist ein selbstfahrender Tesla mit einem Sattelzug zusammengestoßen, ein Mensch wurde getötet. Die neue Technologie ist offenbar nicht sicher. Doch wie sicher muss sie sein, um besser zu sein als ein Autofahrer? Schließlich sterben jedes Jahr mehr als eine Million Menschen in Verkehrsunfällen. Das ist die Frage, an der sich Zweifler reiben sollten. Stattdessen zementiert das Vorsorgeprinzip die Illusion, neue Risiken seien schlimmer als alte. Und Schäden, die wir durch Handeln verursachen, seien schlimmer als Schäden durch Nichthandeln. Häufig ist das Gegenteil der Fall.

Dabei ist ein Grundgedanke richtig: Wo es handfeste Belege für Risiken gibt, sollte der Gesetzgeber einschreiten. Doch diese Sorgfalt ist ins Gegenteil verkehrt worden: Politiker fordern, noch den letzten Zweifel zu beseitigen. Das klingt gut, ist aber unmöglich - und bedient das gleiche Denkmuster wie Donald Trumps Forderung nach einem Einwanderungsstopp für Muslime: Es ist nicht auszuschließen, dass ein Terrorist darunter ist. Also lieber auf Nummer sicher gehen.

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Absolute Sicherheit gibt es aber nicht. Wer einen Schaden um jeden Preis verhindern will, der verursacht am Ende womöglich einen anderen, größeren Schaden. In jedem Fall schadet er der Vernunft. Und wer so tut, als könnte es absolute Sicherheit geben, darf sich nicht wundern, wenn die Bevölkerung in diesem Luftschloss der völligen Gewissheit dann auch leben will. Von Dauer sind solche Illusionen nie. Politiker und Aktivisten sollten sich daher vom Vorsorgeprinzip verabschieden. Aus reiner Vorsorge.

© SZ vom 02.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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