Östlicher Kojote oder Coywolf:Ein dreister Wanderer

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Kojoten haben sich in den USA bis an die Ostküste ausgebreitet und an den Dschungel der Großstadt angepasst. Unterwegs kam es offenbar zu Paarungen mit Wölfen. Ergebnis: Der Östliche Kojote oder Coywolf.

Hubertus Breuer

Die Kunden des Quiznos-Sandwich-Ladens in der Innenstadt Chicagos staunten nicht schlecht, als an einem warmen Frühlingstag ein Kojote seelenruhig durch die offene Türe spazierte, und versuchte, an die Zutaten für belegte Brötchen hinter der Theke zu gelangen.

Angelockt durch Köder haben diese "Coywolves" eine automatische Kamera ausgelöst. (Foto: Roland Kays)

Als das misslang, legte sich das Tier frustriert in eine Kühltruhe mit Getränkedosen. Die Kunden entfernten sich vorsichtig aus dem Laden, jedoch nicht ohne einige Erinnerungsfotos mit ihren Handy-Kameras zu schießen. Der Polizei gelang es schließlich, den wilden Vierbeiner von seinem kühlen Plätzchen zu vertreiben.

Kojoten, die mit ihrem schauerlichen nächtlichen Heulen zur Folklore des Wilden Westens gehören wie Büffel und Klapperschlangen, breiten sich in den Vereinigten Staaten ungehemmt aus. Einst beheimatet in den Prärien des Mittleren Westens, sind sie inzwischen an der Ostküste der USA heimisch geworden. Dort bevölkern sie ländliche Regionen ebenso wie Vorstädte und den Großstadtdschungel.

Selbst im New Yorker Central Park sind in den vergangenen Jahren Kojoten aufgetaucht. Und je mehr sich Kojoten von den Begleiterscheinungen der Zivilisation ernähren - von kleinen Haustieren, Schafen, Fallobst oder Gemüse -, desto unbeliebter wird das Tier.

Im Oktober vergangenen Jahres fielen zwei der an sich äußerst menschenscheuen Kojoten gar eine 19-jährige Sängerin im Cape Breton Highlands National Park im kanadischen Bundesstaat Nova Scotia an. Sie erlag zwölf Stunden später ihren Verletzungen. Und allein in diesem Sommer gab es landesweit vier Angriffe auf Kinder. So selten diese Attacken auf Menschen sein mögen, schrecken sie doch die Öffentlichkeit auf.

Kein Wunder, dass zum Kampf gegen Kojoten aufgerufen wird. Die Tiere werden heute in den USA zu Tausenden vergiftet und erschossen, einige Bundesstaaten zahlen Prämien für erlegte Exemplare. Manche Jäger fangen die auch Präriewolf genannten Tiere lebend, um sie später mit einer Hundemeute zu Tode zu hetzen.

Staatliche Behörden lassen jährlich geschätzt 90.000 Kojoten abschießen. Doch trotz alledem gehen ihre Zahlen nicht merklich zurück. "Der Erfolg der Kojoten verdankt sich ihrer enormen Anpassungsfähigkeit", sagt Scott Smith vom Umweltschutzamt des Bundesstaates New York. "Sie können in den Bergen ebenso überleben wie in der Wüste und in Sümpfen.

"Kojoten zu töten ist wie Rasenmähen"

Solange es nur etwas offenes Land gibt, von Wildnis bis zu Grünflächen in Innenstädten. Sie essen auch alles - es ist viel leichter zu sagen was sie essen, als was nicht. Sie sind Opportunisten." Und werden sie stark bejagt, produzieren die Fähen oftmals schlicht mehr Welpen, die dann freigewordene Reviere umgehend neu besetzen.

"Kojoten zu töten ist wie Rasenmähen - es führt nur zu mehr Wachstum", sagte die Biologin Laura Prugh von der University of California in Berkeley.

Ähnlich anpassungsfähig ist das Verhalten der Kojoten - manche leben allein, andere in Paaren oder in Familienverbänden, die an Wolfsrudel erinnern. Mitunter kooperieren sie sogar mit anderen Tierarten. So haben Wissenschaftler in Wyoming bereits vor einigen Jahren beobachtet, dass Kojoten mit Silberdachsen in Zweierteams Erdhörnchen jagen. Der Silberdachs gräbt ein Loch, um die Erdhörnchen aus ihren Bunkern zu scheuchen. Am Ausgang wartet dann der Kojote, der leichte Beute macht - oder dem Silberdachs den Vortritt lässt, der sich hungrig den Happen schnappt.

Auf sich allein gestellt, ist es für beide Tierarten deutlich schwieriger, Erdhörnchen zu fangen. Die Zusammenarbeit klappt allerdings nicht immer: Mitunter verspeist der Kojote einfach den Dachs.

Eines freilich haben alle Kojoten gemeinsam: Die Raubtiere aus der Familie der Wildhunde sind notorisch menschenscheu. Sie sind selten tagsüber unterwegs, sie streifen meist in den frühen Abendstunden, nachts und im Morgengrauen umher. Deshalb ist es auch nicht einfach, ihnen auf der Spur zu bleiben. Als Laura Prugh eine Gruppe Kojoten in Alaska studierte, kam es ihr so vor, sie habe es "mit einer Geisterspezies" zu tun, wie sie der New York Times erzählte.

Wollte die Wissenschaftlerin die Tiere fangen, musste sie die Fallen von allem menschlichen Geruch säubern und sie danach nur mit Handschuhen anfassen, extrem gut verstecken und zuletzt auch noch die Fußspuren verwischen. Aber sogar dann hätte sie stets nur die jüngsten, unerfahrenen Tiere gefangen.

Vor zehn Jahren, als der Wildbiologe Stanley Gehrt von der Ohio State University Kojoten in der Umgebung von Chicago zu untersuchen begann, schätzte er deren Zahl spontan auf etwa 50 bis 100 Exemplare - die Tiere wurden selten gesichtet. Heute, nach zehn Jahren intensivem Studiums, hält er eine Zahl von 2000 Kojoten für weitaus realistischer.

Auf seinem Eroberungszug quer durch die USA, wahrscheinlich über die Großen Seen und Kanada, kam den Kojoten zugute, dass in den meisten Regionen ihr natürlicher Konkurrent, der Wolf, weitgehend ausgerottet ist.

Der "Coywolf" findet sich im Dschungel der Großstadt gut zurecht: Er frisst Mülltonnen leer oder spaziert gleich in den nächsten Supermarkt, um sich einen Snack zu klauen. (Foto: Roland Kays)

Allerdings kamen sich die Feinde in der Vergangenheit offenbar näher als erwartet. Roland Kays vom New York State Museum in Albany hat mit einer Studie in dem Fachjournal Biology Letters vor einigen Monaten belegt, dass die Kojoten im Nordosten der USA Gene von Wölfen in sich tragen. Auf ihrer Wanderung Richtung Osten haben sie Kojoten offenbar mit Wölfen gepaart.

Das ist möglich, weil sich Arten der Gattung Canis anders als andere Tierarten untereinander fortpflanzen können. Tatsächlich sehen die Kojoten an der Ostküste der USA anders aus als ihre Cousins im Westen. Sie sind größer, haben breitere Schädel, tragen andersfarbiges Fell und jagen nicht nur kleine Beutetiere, sondern sogar Hirsche - ein Verhalten, das sonst nur bei Wölfen zu beobachten war.

Kays vermutet, dass die Kojoten in den vergangenen Jahrzehnten aus dem US-Bundesstaat Minnesota kommend nördlich der Großen Seen durch kanadisches Gebiet nach Osten wanderten und sich dabei auch mit Wölfen kreuzten. Diese Tiere eroberten den Nordosten der USA fünfmal so schnell wie jene klassischen Kojoten, die über die US-Bundesstaaten Indiana und Ohio einwanderten und dabei keinem Wolf begegneten.

Eine davon unabhängige Veröffentlichung des Biologen Jonathan Way von der Beratungsfirma Eastern Coyote Research in Massachusetts bestätigt die Vermutung, dass Wolf und Kojote sich gekreuzt haben.

"Die Kojoten verschwinden nicht mehr"

Er schlägt vor, die Mischwesen Coywolf zu nennen. Doch die Sache ist komplizierter, denn zumindest bei einem Kojoten fand Kays auch Hunde-Gene im Erbgut. Kays favorisiert die Bezeichnung Östlicher Kojote.

"Die Menschen in den Staaten müssen lernen, mit Kojoten zu leben, denn sie verschwinden nicht mehr", sagt Camilla Fox, Gründerin des amerikanischen Project Coyote. "Das heißt, sie auf Abstand halten: Abfalltonnen wegsperren, sie mit Lärm vertreiben und Haustiere gegebenenfalls nachts einschließen."

In den extrem seltenen Fällen, in denen Kojoten bisher Menschen angriffen, seien die Tiere oft zuvor gefüttert worden. Angriffe von Hunden auf den Menschen seien zudem viel häufiger.

Unbestreitbar ist schließlich auch, dass der Präriewolf der Umwelt nützt. Er hält die Populationen kleiner Nager wie Kaninchen, Mäuse und Ratten in Schach, und er vertilgt Aas. Der Allesfresser bedient sich vielerorts sogar großzügig aus den Nestern der als Landplage verschrienen Kanadagans, indem er nicht nur ein paar, sondern sorgfältig sämtliche Eier raubt und alles, was nicht sofort verspeist werden kann, für später vergräbt.

Ein Kojote denkt eben voraus. Da ist es kein Wunder, dass er in der Mythologie der indianischen Ureinwohner Amerikas als listiger Schalk galt.

© SZ vom 04.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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