Medizingeschichte:Doktor Eisenbarth, der gute Quacksalber

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Johann_Andreas_Eisenbarth_(1697)1 Martin Bernigeroth - Martin Bernigeroth, Leipzig Kupferstich (beschnitten) aus dem Jahr 1697 des Wanderarztes Johann Andreas Eisenbarth (1663-1727), erstellt in Leipzig (Foto: Quelle: Wikimedia commons)

Der Chirurg Johann Eisenbarth aus Oberviechtach war ein Medizinstar des 17. Jahrhunderts. Wie kam es dazu, dass sein Name heute für Kurpfuscherei steht?

Von Harald Eggebrecht

Schuld an Eisenbarths Ruf als Kurpfuscher, Quacksalber und großspurig-lächerlichem Angeberarzt ist ein Spottlied, das um 1800 weite Verbreitung fand und in ganz Europa bis heute Nach- und Neudichtungen erfahren hat:

"Ich bin der Doktor Eisenbart, / Kurir' die Leut' nach meiner Art, / Kann machen, daß die Blinden geh'n, / Und daß die Lahmen wieder seh'n./

Zu Wimpfen accouchirte ich / Ein Kind zur Welt gar meisterlich./ Dem Kind zerbrach ich sanft das G'nick, / Die Mutter starb zum großen Glück./

In Potsdam trepanirte ich / Den Koch des großen Friederich. / Ich schlug ihm mit dem Beil vor'm Kopf, / Gestorben ist der arme Tropf."

So lauten die ersten drei von zwölf Strophen; und es geht munter weiter im Folgenden mit Kuhpockenimpfung, mit viel Opium und Kropfabschnürung und mit Operationen an Blasensteinen. Immer hat die jeweilige Therapie Erfolg, allerdings mit tödlichem Ausgang oder bleibendem Schaden.

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Über den Urautor des Textes mit der Kinderliedmelodie wissen wir nichts. Vermutet wird mit gewisser Wahrscheinlichkeit, dass sich Göttinger Studenten den Scherz ausgedacht haben, weil sie bei Ausflügen oft in Hannoversch-Münden landeten.

Liedvarianten auf Napoleon, Hindenburg und Atomkraftfreunde

Dort ist der wahre Johann Andreas Eisenbarth 1727 gestorben und begraben. Aber auch am Rathaus dort tönt das Glockenspiel nach der Eisenbarth-Melodie.

Das Muster des Liedes regte zu vielen Varianten an. Auch politisch gefärbte Parodien entstanden wie etwa die von 1813 "Ich bin der Schlächter Bonapart" oder die von 1914 auf General Hindenburg:

"Ich bin der Doktor Hindenburg / Kutschier' mit Dampf durch Deutschland durch, / die kranke Ostmark zu befrei'n, / von schwerer Not und Russenpein. / Wo man mich ruft, verschreib ich nur / die alte Blut- und Eisenkur. / Wem sie nicht paßt, probatum est, / daß der die Gegend schnell verläßt."

Die Anti-Atomkraft-Bewegung sah 1980 Ministerpräsidenten wie Hans Filbinger, Ernst Albrecht und Gerhard Stoltenberg als Eisenbarth-Verwandte an, die ihre Bevölkerungen mit ihrer AKW-Politik zu Tode "kurierten". Und natürlich gibt es auch tolldreist-obszöne Verse auf diese Melodie.

Der Mann jedoch, der so verspottet und zum Inbegriff des eitlen Nichtskönner- und Schlächterarztes geworden ist, wurde als Johann Andreas Eisenbarth 1663 in Oberviechtach geboren. Er erwarb sich im Laufe seines turbulenten Lebens, ganz im Gegenteil zum Lied, den Ruf eines erfolgreichen Chirurgen, Wundarztes und Starstechers, so nannte man Operateure, die mit einem Stich ins Auge den Grauen Star zu kurieren versuchten.

Dabei maßte er sich keinen Doktortitel an, sondern war ein Handwerkschirurg im Gegensatz zum studierten Medicus. Da die akademischen Ärzte meist aus dem Klerus stammten, galten für sie die Regeln des Konzils von Tours, nach denen ihnen Chirurgie nicht erlaubt war, die damals nur als Handwerk verstanden wurde.

Vater spezialisiert auf "Starstich", Großvater auf "Sauschneider"

Darauf verstanden sich meist Bader und Feldschere und bildeten Nachwuchs aus. Manche Eingriffe durften aber nur unter Aufsicht studierter Ärzte erfolgen. Dementsprechend standen Chirurgen, Wundärzte und Starstecher nicht in hohem Kurs, wozu umherziehende Wunderheiler und großsprecherische Kurpfuscher erheblich beitrugen.

Eisenbarth stammte aus einer "chirurgisch" vorbelasteten Familie, sein Großvater hatte es als Sauschneider, also Kastrierer, zu Wohlstand gebracht.

Sein Vater war spezialisiert auf Bruchschneiden und Starstich. Ausgebildet wurde Johann Andreas in Bamberg bei Alexander Biller, der es wegen seiner Leistungen bis zum "Hospithal Arzt" in München brachte.

Zehn Jahre dauerte Eisenbarths Ausbildung, bevor er mit einem gelungenen Starstich an einem Fünfzigjährigen sein Gesellenstück lieferte. Bald darauf, 1686, zog er in die Residenzstadt Altenburg. Da er nie die Meisterprüfung ablegte, wohl wegen der hohen Gebühren, hatte er jedoch keine Chance gegenüber den eingesessenen Meistern, als autonomer Chirurg eine niedergelassene Praxis zu eröffnen, und musste deshalb als Wanderarzt arbeiten.

Weil er in Altenburg erfolgreich war und auch zwei Ärzte des herzoglichen Landesherrn seine Operationstechniken billigten, konnte er den Herzog Friedrich von Sachsen-Gotha-Altenburg um das Privileg ersuchen, ihn in Dörfern und Städten, auf Jahrmärkten und Messen praktizieren und seine eigenen Wundsalben verkaufen zu lassen.

1688 ging er nach Weimar als erfolgreicher Wundarzt. Hier erwarb er ein weiter reichendes Privileg, das ihm bestätigte, "uf eine besonders geschwinde arth, auch ohne große schmerzempfindung" zu operieren. Und ihm wurde zugesichert, dass neben ihm niemand anderes in den Fürstentümern Weimar und Jena Chirurgie treiben dürfe. Ähnliches erreichte er in Erfurt und Umgebung. Insgesamt erlangte er zehn solche Privilegien, ein einzigartiger Erfolg.

Größter Erfolg: Die Kugel aus dem Kopf eines Offiziers entfernt

Unter anderem gehörte auch das Privileg für Braunschweig-Lüneburg dazu. Als Hannover mit Großbritannien in Gestalt von Georg I. eine Personalunion einging, konnte sich Eisenbarth auch "Königlich Großbritannischer Landarzt" nennen. Außerdem bereiste er in seiner Profession Holland, Frankreich und Italien.

Seinen größten Erfolg hatte er mit der Entfernung einer Kugel aus dem Kopf des preußischen Offiziers von Grävnitz. Das Geschoss war am rechten Auge eingedrungen und musste am linken herausgeschnitten werden, was Eisenbarth gelang. Zum Dank wurde er 1717 von König Friedrich Wilhelm I. zum preußischen Hofrat und Hof-Augenarzt ernannt.

Erst nach dem Tod seiner ersten Frau, einem Schlaganfall und zunehmender Schwäche kurz vor seinem Tod kam es auch zu handwerklichen Fehlern. Johann Andreas Eisenbarth war einer der Besten seiner Zunft in jener Zeit. Aber überdauert hat ihn das böse Spottlied.

© SZ vom 15.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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