Medizingeschichte in München:Das Gehirn von Auguste

Medizingeschichte in München: In einem Saal der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie ist in einer Vitrine das Faksimile der Krankenakte ausgestellt.

In einem Saal der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie ist in einer Vitrine das Faksimile der Krankenakte ausgestellt.

(Foto: Steffen Hartmann)

In der Königlich Psychiatrischen Klinik in der Nußbaumstraße entdeckte Alois Alzheimer die Krankheit

Von Stephan Handel

Alois Alzheimer, ein Münchner?

Schwerlich lässt sich sagen, dass die Stadt den Arzt als einen der ihren anerkennt, was sich vielleicht auch daran zeigt, dass erst jetzt, 100 Jahre nach seinem Tod, eine Erinnerungstafel angebracht wird an dem Haus in der Rückertstraße, in dem er gewohnt hat während seiner Münchner Zeit.

Die Tafel wurde bereits vor längerer Zeit gefertigt, ihre Anbringung aber irgendwie vergessen, was bei dem Mann, dem Thema, der Krankheit, die er entdeckt hat, fast schon wieder eine eigene Pointe ist.

Neun Jahre, von 1903 bis 1912, lebte Alois Alzheimer in München. Das ist zwar nur knapp ein Sechstel seines 51-jährigen Lebens, ohne Zweifel aber die produktivste und erfolgreichste Zeit seiner wissenschaftlichen Karriere.

1864 im fränkischen Marktbreit geboren, hatte er in Berlin und Würzburg Medizin studiert, 1887 promoviert - mit einer Arbeit über die Ohrenschmalzdrüse -, und war dann Assistenz-, später Oberarzt an der "Städtischen Heilanstalt für Irre und Epileptische" in Frankfurt geworden.

Dort war 1901 Auguste Deter zu ihm gekommen - das erste Gespräch zwischen Arzt und Patientin, von Alzheimer schriftlich festgehalten, ist Medizingeschichte:

"Wie heißen Sie?"

"Auguste."

"Familienname?"

"Auguste."

"Wie heißt Ihr Mann?" - Auguste Deter zögert, antwortet schließlich:

"Ich glaube . . . Auguste."

Auguste Deter stirbt 1906, sie wird 56 Jahre alt. Alzheimer ist da schon in München, hat aber immer Kontakt nach Frankfurt gehalten. Jetzt lässt er sich Deters Gehirn schicken und untersucht es in seinem Mikroskopiersaal im dritten Stock der Königlich Psychiatrischen Klinik in der Nußbaumstraße - er findet merkwürdige Ablagerungen und Klümpchen im Gehirn der Toten.

Öffentliches Interesse erlangte Alzheimers Entdeckung erst in den Siebzigerjahren

Die Ergebnisse seiner Untersuchung stellt er ein halbes Jahr später in Tübingen bei der Versammlung der "Südwestdeutschen Irrenärzte" vor. Auf großes Interesse stößt er nicht.

Denn das schien damals gesichertes Wissen zu sein: dass der Mensch vergesslich wird, wenn er altert, dement eben. Das wurde aber zu jener Zeit nicht als Krankheit anerkannt, sondern eher als schicksalhaftes Geschehen: Die Haut wird faltig und der Verstand schwindet, kann man nichts machen.

Das Auguste Deters Erkrankung die gleiche war wie die vieler alter Menschen, dass sie nur das Pech hatte, die Disposition zur Krankheit vererbt bekommen zu haben, weshalb diese viel früher ausbrach als von der Natur vorgesehen - diese Parallele erkannte niemand, und ein großes Problem war die Demenz sowieso nicht: Die vererbte in jungen Jahren kam nicht oft vor, und die Altersdemenz erlebte kaum jemand - weniger als 70 Jahre betrug die durchschnittliche Lebenserwartung.

Medizingeschichte in München: In München untersuchte Alois Alzheimer das Gehirn seiner 1906 gestorbenen Patientin Auguste Deter.

In München untersuchte Alois Alzheimer das Gehirn seiner 1906 gestorbenen Patientin Auguste Deter.

(Foto: LMU)

Bedeutung und öffentliches Interesse erlangte Alzheimers Entdeckung erst in den Siebzigerjahren: Die Menschen wurden älter, mehr und mehr von ihnen fielen in die Dunkelheit der Krankheit, und so begann sich die Medizin zu interessieren für die Prozesse im Gehirn, die dafür verantwortlich waren.

Und siehe da: Die Plaques und die Fibrillen, die Alzheimer in Auguste Deters Gehirn gefunden hatte, waren die gleichen wie die in den Köpfen altersdementer Menschen.

Der Name für die Erkrankung stand da schon fest - Emil Kraepelin, Alzheimers Chef in München, hatte sie in der achten Auflage seines Lehrbuchs nach seinem Angestellten getauft. Aber was heißt Angestellter: Alzheimer arbeitete in München ohne Gehalt, bezahlte sein Personal und seine Apparate selbst.

Finanziell unabhängig dank seiner verstorbenen Frau

Er konnte sich das leisten, weil ihm seine 1901 verstorbene Frau ein beträchtliches Vermögen hinterlassen hatte, nach heutigem Wert wohl um die 20 Millionen Euro. Deshalb widmete er sich ganz der Wissenschaft und seinen Patienten - das Ränkespiel um Posten und Karrieren interessierte ihn nicht.

Bis der berühmte Nervenarzt dann doch zu akademischen Ehren kommen sollte: 1912 wurde er als Ordinarius nach Breslau berufen. Auf der Reise dorthin zog er sich eine Halsentzündung zu, die verschleppte er, sie schlug sich aufs Herz - am 19. Dezember 1915 starb Alois Alzheimer, 51 Jahre alt.

Sein Name wird nie vergessen werden - weil die Krankheit nach ihm benannt worden ist, die die Menschen vergessen lässt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: