Gemischte Gefühle: Liebeskummer:Der Wert eines gebrochenen Herzens

Liebeskummer schmerzt, er macht Menschen krank und verrückt. Er kann einen sogar umbringen. Doch die Trauer um das verlorene Glück hat bei all seiner Raserei einen Nutzen.

Nicola Schmidt

Sie randalieren, drohen mit Selbstmord, schreiben wirre Briefe - und sie weinen, weinen, weinen. Wer unter Liebeskummer leidet, scheint jede Verhältnismäßigkeit weit hinter sich gelassen zu haben. Seit einigen Jahren können Wissenschaftler bestätigen, was Poeten schon seit Jahrtausenden wissen: Liebeskummer schmerzt, er macht Menschen krank und verrückt. Er kann einen sogar umbringen.

Liebeskummer

Wenn wir Liebeskummer haben, wird das Herz mit den Stresshormonen überschwemmt. Brustschmerzen und Atemnot können die Folge sein.

(Foto: i.Stock)

Psychologen teilen den seelischen Ausnahmezustand professionell distanziert in verschiedene Phasen ein. Zunächst wollen die Verlassenen nicht wahrhaben, dass es vorbei ist. Es ist die Zeit, in der der Verflossene mit Briefen und Anrufen bombardiert wird. Verantwortlich sind die Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin, die im Laufe der Evolution eigentlich dazu dienten, ebenso verzweifelt wie energisch ein verlorenes Muttertier zurückzurufen. Mit der gleichen existentiellen Wucht versuchen verlassene Menschen, den Partner zurückzuerobern.

Lässt sich das Ende einer Liebe nicht mehr leugnen, fällt der Dopaminspiegel drastisch ab, meist folgt die Depression. Die Betroffenen können weder schlafen noch essen, zermartern sich das Gehirn nach dem Warum. Manche hetzen rastlos umher, andere verkriechen sich. Am Ende dieser zweiten Phase empfinden sie Wut und Rachegefühle - egal wie das gelaufen ist, so ist es unfair!

Erst wer diese kritische Zeit überstanden hat, bekommt langsam wieder Zuversicht, kann sich mit der Situation abfinden und Pläne für die Zukunft entwickeln. Doch bis dahin ist der Weg beschwerlich. In einer Studie an Liebeskummerkranken stellte der Verhaltensforscher Michael Bechinie von der Universität Wien schon vor Jahren fest, dass 45 Prozent der Studienteilnehmer Selbstmordgedanken hegten und Trauerreaktionen ähnlich wie beim Tod eines Angehörigen zeigten.

"Verhalten ähnlich wie bei einer Depression"

Aber welchen Sinn könnte ein derart selbstzerstörerischer Mechanismus im Laufe der Menschheitsgeschichte gehabt haben? Der Neurobiologe Oliver Bosch sucht an der Universität Regensburg mit seinem Kollegen Larry Young vom Yerkes Institute in Atlanta nach einer Antwort auf diese Frage. Sein Studienobjekt sind Präriewühlmäuse - bekannt für lebenslange Paarbeziehungen. Es kommt bei den Nagern zwar vor, dass sich männliche Mäuse auf ihren täglichen Streifzügen in Affären mit anderen Partnerinnen stürzen, aber abends kehren sie stets ins heimische Nest zurück.

Die Forscher wollten wissen, was passiert, wenn das Weibchen plötzlich nicht mehr zu Hause wartet, sondern verschwindet. Die Effekte erinnerten an menschliches Verhalten: Der gerade noch aktive Mäusecasanova verwandelte sich binnen weniger Tage Single-Dasein in ein antriebsloses Tier, das "Verhalten ähnlich wie bei einer Depression" zeigte, wie Bosch berichtet.

Auf Entzug

Die Präriewühlmaus-Männchen ließen sich im wahrsten Sinne des Wortes hängen: Befestigte man sie mit dem Schwanz an einem Stab, zeigten sie nicht die sonst üblichen Zappel- und Strampelbewegungen, sondern regten sich kein bisschen. Als Gegentest verabreichte Bosch den liebeskranken Mäusen Antidepressiva - und gleich ging es ihnen besser.

Bosch und sein Team entdeckten, dass der Liebeskummer der Präriewühlmäuse durch den Botenstoff CRH (Corticotropin-Releasing-Hormone) ausgelöst wird. Er ist in jenen Hirnregionen aktiv, die mit Emotionen und Stressverarbeitung zu tun haben. Jede Maus, die eine Partnerschaft eingegangen war, hatte erhöhte Werte, aber nur bei längerer Trennung bildeten sich Symptome aus.

Bosch nimmt an, dass die Männchen abends wieder ins Nest zurückkehren, um die unangenehmen Zustände zu vermeiden. "Mit dem Eingehen einer Bindung zu einem Partner haben sie eine Art geladene Kanone vor sich", sagt der Neurobiologe. "Das System wird im Gehirn angelegt, und wenn es zu einer Trennung kommt, wird die Kanone abgefeuert."

Wie diese Kanone beim Menschen funktioniert, das untersuchen die Anthropologin Helen Fisher an der Rutgers University und Lucy Brown, Neurowissenschaftlerin am Albert Einstein College of Medicine in New York. Sie ließen College-Studenten Fotos ihrer Verflossenen betrachten und legten ausreichend Taschentücher in Reichweite.

Der im Hintergrund arbeitende Kernspintomograph zeichnete in den Gehirnen der jungen Menschen eindeutige Aktivitäten auf: Es arbeiteten vor allem die Areale, die für Motivation zuständig sind, aber auch das nach Erfüllung strebende Dopaminsystem sowie die Inselrinde und der Cortex cingularis anterior (ACC), der bei physischem Schmerz und Stress eine Rolle spielt.

"Liebe wirkt nicht wie ein bestimmtes Gefühl, sondern eher wie eine Droge", erklärt Brown die Ergebnisse, "und entsprechend zeigten unsere Probanden mit Liebeskummer ähnliche Aktivitätsmuster wie beim Drogenentzug." Liebe macht süchtig - und Liebesentzug macht krank.

Die Aktivität im für Schmerz und sozialen Stress zuständigen ACC beschäftigt auch Naomi Eisenberger und ihre Kollegen am Psychologischen Institut der Universität in Los Angeles. In ihren Studien lässt sie Probanden glauben, sie spielten ein Computer-Ballspiel mit anderen. Plötzlich spielen diese ihnen den Ball nicht mehr zu, die Studienteilnehmer werden ausgeschlossen. Schon in diesem Fall eher sanfter Ausgrenzung zeigten die Teilnehmer starke Aktivität im ACC und im rechten Frontallappen. Beide waren bisher vor allem dafür bekannt, bei körperlichen Schmerzen regulierend einzugreifen.

"Unsere Studien weisen darauf hin, dass sozialer Schmerz vom Gehirn ähnlich wie physischer Schmerz wahrgenommen wird", sagt Eisenberger. Das eröffne neue Perspektiven darauf, warum es geradezu körperlich schmerzt, einen geliebten Menschen zu verlieren. Im Prinzip geht es Menschen nicht anders als den Präriewühlmäusen, so die Schlussfolgerung der Forscherin: Sie sollten bei ihrer Gruppe bleiben.

Der Kummer kann töten

"Ein kritischer Faktor könnte die Abhängigkeit der Säugetier-Neugeborenen von anderen sein", sagt sie. "Trennung wie einen Schmerz zu empfinden ist sowohl für das Baby als auch für den Betreuer eine starke Motivation, die Nähe wieder herzustellen und sichert so das Überleben der Nachkommen."

Doch vielleicht hat es die Evolution beim Menschen mit dem Liebeskummer-Mechanismus ein wenig übertrieben, spekuliert die Kollegin Brown. Denn ein gebrochenes Herz kann tödlich sein. Beim Syndrom des gebrochenen Herzens reagiert der Körper auf ein emotional belastendes Ereignis wie zum Beispiel die Trennung von einem geliebten Menschen. Plötzlich wird das Herz mit den Stresshormonen Adrenalin und Noradrenalin überschwemmt. Brustschmerzen und Atemnot sind die Folge. Die Patienten - meistens Frauen mittleren Alters - haben jedoch keinerlei verstopfte Arterien oder andere Hinweise, die einen Infarkt erklären könnten.

In einer Studie des Johns Hopkins Medicine Institute zeigte sich, dass die Hormone und ihre Nebenprodukte so plötzlich in großen Mengen auftreten, dass sie den Herzmuskel lahmlegen. Etwa drei Prozent der Patienten sterben daran. Wenn der Patient jedoch das Akutstadium überlebt, trägt das gestresste Herz keine bleibenden Schäden davon. Es kann sich sogar innerhalb von wenigen Tagen wieder vollständig erholen.

Ob es jemals eine Pille gegen Liebeskummer geben wird? Mäuseforscher Bosch winkt ab: "Das wäre ja schlimm, die Trauer ist wichtig als Vorbereitung auf einen neuen Lebensabschnitt." Auch Hirnforscherin Brown hält davon nichts, dafür seien die Vorgänge zu komplex. Sie vergleicht ein gebrochenes Herz eher pragmatisch mit einem gebrochenen Bein: "Das tut anfangs sehr weh, und dann muss man eine ganze Weile zu Hause herumsitzen und warten, bis es wieder verheilt ist. In dieser Zeit kann man darüber nachdenken, warum das passiert ist, und daraus lernen."

Sie empfiehlt in schweren Fällen den kalten Entzug, also keine Treffen, keine Bilder ansehen, nicht in Erinnerungen schwelgen. Stattdessen sollten Liebeskranke vor allem für Ablenkung sorgen und soziale Kontakte pflegen, um Seele und Hormone wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

In Browns Studie zeigte sich, dass auch Entlieben ein Lernprozess des Gehirns ist. Je länger die Trennung bei den College-Studenten zurücklag, desto weniger sprachen die für Paarbindung zuständigen Gehirnregionen auf den Anblick des Ex-Partners an. Offenbar haben die Poeten auch in dieser Hinsicht recht. Die Zeit heilt alle Wunden, auch die der Liebe.

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