Exomars:Zeit für Europa, aus dem albernen Wettlauf zum Mars auszusteigen

Die mit viel Bohei angekündigte Landung von "Schiaparelli" ist fehlgeschlagen. Warum kann die Esa das nicht zugeben? Sie täte gut daran, aufregendere Ziele ins Visier zu nehmen.

Kommentar von Patrick Illinger

Zurzeit ist der Rote Planet 180 Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Daran hat sich, astronomisch gesehen, in den vergangenen Tagen fast nichts geändert. Und doch ist der Mars in der Nacht zum Donnerstag im übertragenen Sinne besonders weit in die Ferne gerückt. So manche Träume von künftigen Missionen oder gar bemannten Flügen dürften geplatzt sein. Für die europäische Raumfahrt ist es ein Rückschlag, dass die mit viel Bohei angekündigte Landung der ersten nicht-amerikanischen Sonde fehlschlug. Das gartentischgroße Landegerät namens Schiaparelli hat zwar wohl seine Bremsfallschirme geöffnet, ist aber aller Wahrscheinlichkeit nach im weiteren Verlauf des Landemanövers abgestürzt.

Die Enttäuschung der beteiligten Raumfahrtingenieure und Planetenforscher ist nachvollziehbar enorm. So eine Mission wird jahrelang geplant, allein der Flug zu dem Nachbarplaneten dauert Monate. An einem fremden Himmelskörper mit 21 000 Kilometer pro Stunde anzukommen und in nur sechs Minuten vollautomatisch auf Schrittgeschwindigkeit abzubremsen, ist auch in Zeiten selbstfahrender Autos kein Pappenstiel. Häme ist daher nicht angebracht. Der Mars ist und bleibt eine gewaltige Herausforderung. Die meisten aller seit den 1970er-Jahren unternommenen Forschungsreisen dorthin sind gescheitert.

Die Reisen zu dem Planeten sind vor allem ein Politikum

Und doch hinterlässt dieser Fehlschlag einen Beigeschmack. Mit an Arroganz grenzender Selbstgefälligkeit wurde in den vergangenen Wochen und Monaten die Erfolgswahrscheinlichkeit auf mehr als 98 Prozent beziffert. Das Warten auf den Touchdown wurde im Kontrollzentrum in Darmstadt als Unterhaltungsshow inszeniert und ins Internet gestreamt. Und am Tag danach, als das Scheitern zu 98 Prozent sicher ist, wird die Mission vollmundig zum Erfolg erklärt.

Plötzlich sei das Mutterschiff von Schiaparelli, eine Art interplanetarer Gasdetektor, der wichtigste Teil der ganzen Sache - und das Landegerät nur ein Extra. Die zur Schau gestellte Freude über das Erreichte bei spürbarer innerer Zerrissenheit machte eine Pressekonferenz der Raumfahrtmanager zur Farce. Als ein Journalist sich erkundigte, ob das Landegerät denn nun auf dem Mars gecrasht sei, behauptete Esa-Direktor Johann-Dietrich Wörner, er verstehe die Frage nicht. Das sind die Momente, an denen die Verkaufe, mit Verlaub, in Verarsche übergeht. Natürlich war das nun verschollene Landegerät der Hauptdarsteller dieser "Exomars"-Mission. Wieso kann man das nicht zugeben? Wieso kann man seiner Enttäuschung nicht Ausdruck geben?

Die Antwort ist: Weil der raumfahrtpolitische Schaden nun größer ist als das Ausbleiben der von Schiaparelli erhofften wissenschaftlichen Erkenntnisse. Europa ist zum dritten Mal gescheitert. 2003 ging ein kleiner Rover namens Beagle 2 auf dem Mars verloren. Die kürzlich zu Ende gegangene Mission Rosetta zu einem Kometen war nur ein Teilerfolg, weil auch dort die Landung nicht planmäßig klappte. Und nun ging der im Vergleich dazu weniger ambitionierte Versuch schief, eine Sonde auf dem Mars abzusetzen. Das katapultiert Europa aus dem Kreis der Favoriten für künftige, womöglich bemannte Marsmissionen.

Der Mars wird ja nicht interessanter, nur weil alle dorthin wollen

Fachlich ist das kein riesiger Verlust. Der Mars wurde bereits von Dutzenden Sonden umkreist, mit Rovern befahren, fotografiert, gescannt, angebohrt und chemisch analysiert. Sicher ist, dass es dort irgendwann Wasser gab und eventuell im Untergrund noch gibt. Und ganz ausgeschlossen ist nicht, dass einst dort extraterrestrische Mikroben herumkreuchten. Mehr als das werden auch künftige Flüge (und Astronauten) nicht herausfinden.

Der sogenannte Wettlauf zum Mars ist vor allem ein Politikum. Was in Zeiten des Kalten Krieges als Rennen zwischen den notorischen Supermächten begann, dient heute dem Selbstbewusstsein von Ländern wie Indien und China. Vielleicht täte Europa gut daran, sich aus diesem albernen Konkurrenzkampf schlicht auszuklinken und exotischere, wissenschaftlich aufregendere Ziele ins Visier zu nehmen. Der Komet "Tschuri" war so eines, weshalb die Rosetta-Mission trotz der Bruchlandung eine Sensation war. Auch 2005 zeigten Europas Raumfahrtmanager, was sie können, als sie eine Sonde namens Huygens auf dem Saturnmond Titan absetzten.

Der Mars wird ja nicht interessanter, nur weil alle dorthin wollen oder weil Internet-Milliardäre von Siedlungen mit einer Million Menschen faseln. Eine Million? Was trüge selbst das zur Linderung der irdischen Herausforderungen bei? Genau. Nichts. Deshalb müssen Raumfahrer nicht unbedingt am Boden bleiben. Wohl aber auf dem Boden der Realität.

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