Weltwirtschaftsforum in Davos:Trump rüttelt an der Ordnung des Welthandels

File photo of a container ship sailing towards Colombo Harbour as the sun sets in Colombo, Sri Lanka

Trüber Himmel über den Weltmeeren: Konzerne fürchten hohe Handelszölle, welche die Politik der künftigen US-Regierung nach sich ziehen könnte.

(Foto: REUTERS)
  • Mit einer Ode an den Freihandel positioniert sich Chinas Staatschef Xi Jinping als Gegenspieler zum kommenden US-Präsidenten Donald Trump.
  • Damit steht China nun immer deutlicher an der Seite von Europa. Die Union treibt vor allem eine Frage um: Droht der Welt ein Handelskrieg?

Von B. Brinkmann, Davos, C. Gammelin, A. Hagelüken, A. Mühlauer und J. Willmroth

Chinas Präsident Xi Jinping ist der wichtigste Staatschef, der in diesem Jahr auf dem Weltwirtschaftsforum in der Schweiz spricht. Und er erzählt dem Publikum, was es hören will: Der freie Handel sei eine gute Sache. "Sagt Nein zu Protektionismus", fordert Xi an diesem Dienstag in Davos. "Protektionismus zu verfolgen ist, wie sich in einem dunklen Raum einzuschließen. Zwar bleiben Wind und Regen draußen vor der Tür, aber auch Licht und Luft", sagt er. "Aus einem Handelskrieg wird keiner als Gewinner hervorgehen." Es folgt: großer Beifall. Herzlich willkommen in Davos, Herr Xi.

Der Chinese ist zum ersten Mal in den Schweizer Bergen. Er hat sich zwar schon in früheren Reden für eine "freie Weltwirtschaft" ausgesprochen. Damals klang das aber alles ein bisschen technokratisch. Xis Rede in Davos dagegen ist eine Liebeserklärung an den Freihandel - auch wenn die Volksrepublik selbst zunehmend auf protektionistische Politik setzt. Der Chinese spricht nicht von Globalisierung, sondern von "wirtschaftlicher Globalisierung". So schafft er es, in seiner Rede auch die Kommunistische Partei Chinas zu loben, die das Land autoritär regiert und zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Erde gemacht hat.

Wenn es einen Maßstab für Davos-Auftritte gibt, erreicht Xi eine hohe Punktzahl. Er komponiert kluge Gedanken, Oberflächlichkeiten und Zitate von Charles Dickens zu einer Rede, die manche Beobachter inspirierend finden oder zumindest interessant. Einige Besucher schauen sich nach der Rede an - und müssen sich halbernst erinnern, dass hier gerade nicht der amerikanische Präsident gesprochen hat, der eigentliche leader of the free world, sondern der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas.

Was, wenn Trump die WTO als genauso "obsolet" betrachtet wie die Nato? Ja, was dann?

Mit seiner Ode an den Freihandel hat sich Xi Jinping unmissverständlich als Gegenspieler zum gewählten US-Präsidenten Donald Trump positioniert. Damit wiederum zählt er zu den Verbündeten von Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Europäischen Union, die ebenfalls am Freihandel festhalten wollen. Es ist eine Konstellation, die bis vor Kurzem kaum jemand für möglich gehalten hätte: Ein US-Präsident, der freiheitliche westliche Werte zugunsten protektionistischer Deals aufgibt, wird ausgerechnet von einem chinesischen Staatschef ermahnt, am Freihandel festzuhalten.

An der Seite von Xi Jinping steht plötzlich das liberale Europa. Wobei, auch das muss an dieser Stelle erwähnt werden, Berlin, Brüssel und Peking schon seit geraumer Zeit enger zusammenarbeiten als in früheren Jahren. China hatte 2016 die Präsidentschaft der G-20 inne, also der mächtigsten Volkswirtschaften der Welt. Deutschland hat im Dezember den Staffelstab für ein Jahr übernommen. Merkel tritt jetzt nicht nur als deutsche Bundeskanzlerin auf, sondern als amtierende Chefin der globalen Wirtschaftsmächte. Als solche, so viel sickert in Berlin durch, wird sie womöglich schon im Frühjahr in die USA zu Trump reisen. Bis dahin muss sich die EU aufstellen. Spätestens dann muss die Gemeinschaft wissen, mit welcher Haltung sie Washington gegenübertritt.

Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Europäische Kommission. Sie ist für die gemeinsame Handelspolitik zuständig und verhandelt im Auftrag der EU-Staaten Abkommen mit Kanada, Mexiko oder eben den USA. Am Dienstag veröffentlicht die Kommission noch rasch einen gemeinsamen Zwischenbericht mit der US-Regierung zu TTIP, jenem transatlantischen Freihandelsabkommen, das Trump längst beerdigt hat. Obwohl Europas mächtigste Behörde nach außen hin Gelassenheit demonstriert, treiben sie intern vor allem zwei Fragen um: Droht nun ein Handelskrieg? Und: Was zur Hölle will Trump?

Trump hat bereits genügend explosive Zutaten präsentiert

Auch wenn in Washington noch kein schlüssiges Konzept erkennbar ist, hat der künftige US-Präsident bereits genügend explosive Zutaten für schwere Verwerfungen präsentiert. Und vielleicht ist ja das genau sein Konzept: Trump erzeugt mit seinen Provokationen weltweit maximale Aufregung, die am Ende den USA zugutekommen soll. Also: America first - und dann lange nichts. Wenn überhaupt.

Der Ton aus Washington hat sich bereits vor Trumps Amtsantritt derart verschärft, dass so mancher in Europa gar nicht weiß, welches Thema nun am brisantesten ist. Klar ist nur, dass neben sicherheitspolitischen Fragen rund um die Nato vor allem das Thema Handel in den Fokus rücken dürfte. Nun ist es nicht so, dass es im transatlantischen Verhältnis noch nie einen Dissens in wirtschaftspolitischen Fragen gegeben hat. Im Gegenteil. Und so spricht eben auch Trump Dinge an, die schon sein Vorgänger Barack Obama angeprangert hat: etwa den hohen Exportüberschuss der Deutschen und die niedrigen Verteidigungsausgaben. Neu ist, dass Trump an Grundsätze des westlichen Selbstverständnisses rührt. Und dass er rücksichtslos sagt, was ihm nicht passt. Zum Beispiel eine liberale und offene Wirtschaftsordnung, die einst Wohlstand und Wachstum mit sich brachte. Auch für Amerika.

In Brüssel gibt es die Hoffnung, dass sich die USA auch unter Trump an die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) halten. Der designierte US-Präsident könnte die WTO natürlich als genauso "obsolet" betrachten wie die Nato; aber falls er wirklich Strafzölle auf europäische oder chinesische Produkte durchsetzen will, müssen diese WTO-Kriterien entsprechen. Wenn es etwa einen Grund gibt, sogenannte "Safeguard"-Maßnahmen, also Zölle auf bestimmte Produkte zum Schutz der heimischen Wirtschaft zu verhängen, muss ein WTO-Mitglied dies begründen können. Etwa durch eine unerwartete Veränderung der Handelsströme. All das lässt sich selbstverständlich konstruieren. Und dagegen könnten andere WTO-Staaten klagen, was allerdings lange dauert. Womöglich so lange, dass sich Europa oder China gezwungen sehen, ihrerseits Zölle einzuführen.

Das wäre dann der Beginn eines Handelskriegs, der die Welt in eine schwere Krise stürzen würde. So weit soll es aus Sicht der EU nicht kommen. Zunächst müsse Trump seine Partei und den US-Kongress von Strafzöllen auf Importe überzeugen, heißt es in Brüssel.

Hinzu kommt allerdings ein Problem, dass die Europäer selbst lösen müssen: Die EU ist in vielen zentralen Fragen uneins. Mit Großbritannien will eine überzeugte Freihandelsnation die Gemeinschaft verlassen, die Flüchtlingspolitik spaltet Europa und die Probleme der Währungsunion sind nach wie vor ungelöst. Die Frage ist also: Schafft es die EU, sich als Handelsblock zu behaupten? Und: Wie groß wäre der Wohlstandsverlust, wenn Trump seine Ankündigungen wahr macht?

Das Ifo-Institut hat errechnet, wie sehr ein Handelskrieg der Weltwirtschaft schaden würde. Etwa, wenn Trump Importzölle von 45 Prozent und zusätzlich andere Barrieren gegenüber allen Handelspartnern einführt - und diese zurückschlagen. Dann schrumpft die US-Wirtschaft langfristig um fast zehn Prozent. Kanada und Mexiko verlieren drei bis fünf Prozent. Das sind weitaus größere Dimensionen als in der Finanzkrise, als die Weltwirtschaft 2009 um knapp zwei Prozent schrumpfte. Auch die Bundesrepublik, in der 1,5 Millionen Arbeitsplätze am Geschäft mit den Vereinigten Staaten hängen, wäre betroffen: Die Wirtschaftsleistung würde um fast 20 Milliarden Euro niedriger ausfallen. Das ist ein Drittel des gesamten Wachstums der deutschen Volkswirtschaft 2016.

Schon einmal löste ein protektionistischer Wettlauf eine Katastrophe aus

Was passiert, wenn sich die Nationen einen protektionistischen Wettlauf liefern, hat der Erdball schon erlebt - mit dramatischen Folgen. Anfang der 1930er-Jahre lösten höhere Zölle die Weltwirtschaftskrise mit aus. In den USA setzten zwei Abgeordnete den nach ihnen benannten SmootHawley Tariff Act durch, der 900 Zölle zum Teil drastisch erhöhte. Solche und ähnliche Maßnahmen vergifteten das Klima zwischen den Staaten. Der Welthandel schrumpfte bis 1933 um zwei Drittel. Millionen Menschen verloren ihren Job, in Deutschland ergriff Adolf Hitler die Macht.

So schlimm muss es nicht kommen. Und doch rührt der künftige US-Präsident an die Fundamente einer Ordnung, die sich der Westen nach dem Zweiten Weltkrieg selbst verordnete. Ohne die Amerikaner und ihr Eintreten für Demokratie und ja, auch für freien Handel, wäre die europäische Einigung nicht möglich gewesen.

Merkel erwähnt den kommenden US-Präsidenten nicht namentlich

An diesem Freitag wird Trump als 45. Präsident der USA vereidigt. Noch bringt Merkel das Kunststück fertig, auf Trump zu reagieren, ohne dessen Namen zu erwähnen. Der gewählte US-Präsident habe seine Positionen dargelegt, reagiert sie zunächst am Montagmittag in Berlin betont ruhig. Die seien ja weitgehend bekannt gewesen, so wie ihre eigenen eben auch.

Am Abend spricht Merkel dann in Köln, vor den Mitgliedern der Industrie- und Handelskammer, einer der größten in Deutschland. Wieder erwähnt sie Trump nicht namentlich. Allerdings bittet sie die Zuhörer nachdrücklich, mit ihr zusammen in die Schlacht zu ziehen, für freiheitliche Werte zu kämpfen - und nicht in das Trump'sche Denken in Deals zu verfallen. Wer nicht ehrlich für seine Grundwerte eintrete, sagt sie, wer sie um des kleinen Vorteils willen kurzfristig aufgebe, der werde nicht dauerhaft erfolgreich sein.

Sicher klang da schon der Wahlkampf mit, schließlich will Merkel ja noch einmal vier Jahre regieren. Aber eben vor allem auch die Sorge um die Zukunft. Am Ende verzichtet die Kanzlerin auf ein weiteres "Wir schaffen das". Um Mut zu machen, nimmt sie statt dessen Bezug auf die Geschichte, auf jene Zeit, als die Nachkriegsordnung, an der Trump jetzt rüttelt, geschaffen wurde. "Konrad Adenauer wurde auch nicht permanent der rote Teppich ausgerollt. Auch er musste schon verdammt kämpfen", sagt die CDU-Chefin. "Und warum soll uns das anders gehen?"

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