Umsiedlungen wegen Braunkohle in Deutschland:Verlorene Erde

From Moonscape To Lake District: East Germany's Coal Mines

Wie eine Mondlandschaft: Tagebau in der Lausitz.

(Foto: Sean Gallup/Getty Images)

Ausgerechnet die klimaschädliche Braunkohle erlebt in Deutschland einen wahnwitzigen Boom. Tausende Menschen und Dutzende Dörfer sollen neuen Tagebauen weichen. Jetzt ziehen Umweltschützer dagegen vor Gericht.

Von Markus Balser, Berlin

Acht oder neun Jahre hat Proschim noch. Mehr nicht. Ronald Kupke, 54, weiß das. Dann soll Kupkes Heimat, das kleine Straßendorf südlich von Cottbus, mit seinen 350 Einwohnern dem ostdeutschen Tagebau des Vattenfall-Konzerns weichen. Riesige Kohlebagger werden sich Meter für Meter an den Ort heranfressen und ihn schließlich verschlucken.

Proschim stand schon vor 30 Jahren auf der Todesliste. Die Dorfbewohner wehren sich seither mit Händen und Füßen gegen ihr Schicksal. Auch Ronald Kupke will Fakten schaffen. Wie zum Trotz baut er den Vierseitenhof seiner Familie gerade aus. "Wir werden nicht gehen", sagt Kupke. "Wir kämpfen."

10 000 Menschen werden ihre Heimat verlieren

Kupkes Kampf steht für ein Drama, das sich in Deutschland derzeit tausendfach abspielt. Nicht nur in der Lausitz in Brandenburg, auch in Sachsen und Europas größtem Tagebau Garzweiler in Nordrhein-Westfalen sollen die ohnehin schon monströsen Mondlandschaften der Braunkohle-Abbaugebiete noch deutlich erweitert werden.

10 000 Menschen werden in den nächsten Jahren ihre Heimat verlieren, damit Energiekonzerne wie RWE und Vattenfall noch bis 2030 und länger Kohle fördern können. Dutzenden Dörfern und mit ihnen Kirchen, Friedhöfen, jahrhundertealten Gebäuden droht der Untergang. Zerstörte Landschaft, ausradierte Orte und dann auch noch eine miese Energie- und Klimabilanz: Ausgerechnet der Klimakiller Braunkohle erlebt derzeit in Deutschland eine erstaunliche Renaissance.

162 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugten Braunkohlemeiler im vorigen Jahr, mehr als jeder andere Energieträger und so viel wie seit 1990 nicht mehr. Kein anderes Land verfeuert so viel Braunkohle wie das Wendeland Deutschland. Der Grund: Weil der europäische Handel mit Emissionszertifikaten erlahmt ist, der schmutzige Kraftwerke eigentlich bremsen sollte, ist die Stromerzeugung von Braunkohle derzeit billig - ihre Umweltschäden nicht mitgerechnet.

Doch der Protest gegen die zerstörende Energiegewinnung wächst in diesen Tagen für die Konzerne in bedrohliche Dimension. Am Samstag wollen Umweltschützer mit einer Menschenkette auf das Schicksal der Umsiedlungsopfer in Ostdeutschland aufmerksam machen. Weil das Bundesverfassungsgericht den Gegnern mit einem Urteil vor einigen Monaten den Rücken gestärkt hat, müssen Konzerne und Landespolitik Verzögerungen durch jahrelange Gerichtsverfahren fürchten.

"Wir werden klagen"

Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung droht eine neue Klagewelle gegen die Tagebaue. Bereits an diesem Mittwoch wollen die Umweltorganisationen BUND und Greenpeace eine Klage gegen die Erweiterung des Tagebaus Nochten in Sachsen publik machen. Auch in Brandenburg wollen die Umweltorganisationen im Herbst gegen den Braunkohleplan der Landesregierung und die Erweiterung der Tagebaue juristisch vorgehen.

"In dieser Größenordnung werden die Tagebaue gar nicht mehr gebraucht"

"Wir werden vor dem Oberverwaltungsgericht klagen", kündigt Brandenburgs BUND-Geschäftsführer Axel Kruschat an. Die Umweltorganisationen halten das Genehmigungsverfahren für die Tagebaue für einseitig und beklagen, dass kritische Stimmen nicht ausreichend gehört wurden. Kruschat ist sicher: "Die Umsiedlungen sind überflüssig. In dieser Größenordnung werden die Tagebaue gar nicht mehr gebraucht."

Ermuntert fühlen sich die Umweltgruppen von einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Tagebau Garzweiler. Es räumt den Anwohnern die Möglichkeit ein, früher vor Gericht zu ziehen als bisher und nicht erst, wenn die Bagger schon vor der Tür stehen und es zu spät ist. Ein Gutachten des Rostocker Professors, BUND-Funktionärs und Chef des Instituts, der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik Felix Ekardt, kommt zum Schluss: Die Gemeinwohlverträglichkeit von Braunkohletagebauen sei angesichts der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie "massiv infrage gestellt".

Mit den neuen Auseinandersetzungen vor Gericht, die Experten zufolge Jahre dauern könnten, gerät vor allem der Vattenfall-Konzern in Bedrängnis. Die Schweden wollen ihre ostdeutschen Tagebaue massiv erweitern, um einige hundert Millionen Tonnen des Rohstoffs auf einer Fläche von fast 2000 Hektar zu gewinnen. Nach Angaben aus Unternehmenskreisen prüft Vattenfall seinen teilweisen Rückzug aus Deutschland. Die Kohle würde der Konzern dann selbst gar nicht mehr fördern.

Auch bei RWE wachsen offenbar die Zweifel, ob sich Braunkohlekraftwerke in Zukunft noch lohnen. Nach Angaben aus Konzernkreisen stellt das Unternehmen die ersten 300-Megawatt-Anlagen im rheinischen Revier auf den Prüfstand. Offenbar fürchtet RWE, dass sich Kraftwerke, die um den Tagebau herum angesiedelt sind, unter neuen Vorzeichen der Energiewende auf mittlere Sicht nicht mehr rentieren. Das Signal wäre klar: Tagebaue gigantischer Dimension würden nicht benötigt, wenn größere Kraftwerke vom Netz gingen. Es würden laufend alle Kraftwerke überprüft, sagte ein RWE-Sprecher.

In Proschim haben sie die Hoffnung auf das Überleben des Dorfes noch nicht aufgegeben. Auf einer Trauerfeier für einen verstorbenen Proschimer hatte ein Pfarrer die Bewohner vor wenigen Tagen mit einem Satz gerührt, der am Rande des Tagebaus einen eigenen Klang entfaltet: "Er hat seine letzte Ruhestätte gefunden."

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