Suisse Secrets:Wie die Schweiz auf die Enthüllungen reagiert

Lesezeit: 3 min

Artikel 47 im Schweizer Bankengesetz schränkt die Arbeit von Journalisten bei der Auswertung geheimer Daten massiv ein. (Foto: NDR Norddeutscher Rundfunk/obs)

Nach der Veröffentlichung des Suisse-Secrets-Leak fordern Schweizer Sozialdemokraten eine Gesetzesänderung. Journalistenverbände und Medien warnen vor einer Einschränkung der Pressefreiheit durch das Bankengesetz.

Von Isabel Pfaff, Bern

Wie viele negative Schlagzeilen kann man eigentlich formulieren? Bei der Credit Suisse, Nummer zwei auf dem Schweizer Finanzplatz, konnten Wirtschaftsjournalisten ihr diesbezügliches Können zuletzt fast im Monatstakt unter Beweis stellen; so zahlreich waren die Affären, Enthüllungen und Fehltritte bei der Großbank in den vergangenen Jahren.

Als dann am frühen Sonntagabend die SZ-Recherchen zu den fragwürdigen Kundenbeziehungen der Bank - die Suisse Secrets - publik wurden, merkte man einigen Schweizer Medien die Skandalmüdigkeit an. "Der Credit Suisse bleibt derzeit nichts erspart", hieß es bei der wirtschaftsnahen Neuen Zürcher Zeitung fast schon mitleidig (dabei hat sich das Blatt verdient gemacht bei der Aufdeckung von Affären bei der Credit Suisse). Bei Le Temps aus Genf war schlicht von einem "neuen Skandal" die Rede. Und die reichweitenstarke Pendlerzeitung 20 Minuten titelte mit "internationalen Medien", die "über dreckige Geschäfte der Credit Suisse" berichteten - als sei der Bericht und nicht der Inhalt die Neuigkeit.

SZ PlusSuisse Secrets
:Was man über die Suisse Secrets wissen muss

Was steckt im Leak? Woher kommen die Daten? Warum sind geheime Konten für die Credit Suisse ein Problem? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Antonio Baquero, Hannes Munzinger, Bastian Obermayer und Frederik Obermaier

Tatsächlich spielten die eigentlichen Enthüllungen auf Schweizer Nachrichtenseiten fast eine Nebenrolle. Kaum ein Medium vergaß dagegen zu erwähnen, warum Schweizer Publikationen bei der Auswertung des Datenlecks nicht mitarbeiteten: "Kein Schweizer Medium war an der Recherche beteiligt, obwohl einige von dem Konsortium angefragt wurden", schreibt etwa Le Temps. Grund sei Artikel 47 im Bankengesetz, verschärft im Jahr 2015, der Journalisten verbietet, geheime Bankdaten auszuwerten, "selbst wenn sie von öffentlichem Interesse sind".

Am deutlichsten bezogen zu diesem Punkt die Tamedia-Redaktionen Stellung, mit denen die Süddeutsche Zeitung - abgesehen von diesem Mal - kooperiert. "In unserem Land, im 21. Jahrhundert, macht sich ein Journalist schwerst strafbar, wenn er auf [verbrecherisches] Geld hinweist. Das ist untragbar", kommentiert 24 heures aus der Westschweiz. Der Tages-Anzeiger schreibt von einem "Maulkorb-Artikel im Bankdatengesetz", der dringend abgeschafft werden müsse. "Offenbar zählt im Zweifel noch immer das Geschäft, nicht das Gesetz. Genau darum braucht es auch in der Schweiz Journalistinnen und Journalisten, die recherchieren dürfen. Dass das nun ausländische Kollegen für uns erledigen müssen, ist eine Schande."

Der Schweizer "Tages-Anzeiger" zur eingeschränkten Berichterstattung über die Suisse Secrets. (Foto: Tages-Anzeiger)

Ähnlich sahen das am Sonntagabend linke und grüne Politikerinnen und Politiker. Samira Marti, Nationalratsabgeordnete der Sozialdemokraten (SP) twitterte: "#SuisseSecrets zeigt: Zensurartikel verbietet Schweizer Medien, Steuerkriminalität aufzudecken. Das muss sich ändern." Ihre Partei werde in der am 28. Februar beginnenden Sitzungsphase des Parlaments einen entsprechenden Vorstoß einreichen. SP-Parteipräsident Cédric Wermuth verwies auf einen weiteren Vorstoß seiner Partei, der stärkere Sanktionsinstrumente für die Schweizer Finanzmarktaufsicht zum Ziel hat. "Die Aufdeckung der #SuisseSecrets zeigt: Die Schweiz braucht eine Bankenaufsicht, die diesen Namen verdient. Die heutigen Bußen beindrucken keine Bank", twitterte Wermuth.

Auch die politischen Kräfte, die die Verschärfung des Bankengesetzes vorangetrieben hatten, waren am Sonntagabend auf Twitter ein Thema. "Dank der @FDP_Liberalen und ihrer Hörigkeit gegenüber den Banken und ihren kriminellen Kunden wurde die Pressefreiheit in der Schweiz eingeschränkt", twitterte ein SP-Politiker. Die frühere Grünen-Präsidentin Regula Rytz fragte: "Könnte bitte mal jemand nachfragen, welche Parteien Spenden der @CreditSuisse annehmen? Und wieviel? Ich habe während meiner Zeit als Parteipräsidentin mehrmals darauf verzichtet." Tatsächlich ist das Thema Parteienfinanzierung und Interessenbindung von Abgeordneten in der Schweiz heikel. Erst seit Sommer 2021 hat das Land ein Gesetz, das Parteien dazu verpflichtet, hohe Spenden und Finanzierungshilfen für Kampagnen offenzulegen.

Im Gegensatz zu Vertretern linker Parteien äußerten sich liberale, konservative und rechte Politiker auffallend wenig zu den Enthüllungen. Auch Andrea Caroni, jener FDP-Politiker, der in der Bankengesetz-Debatte 2014 den denkwürdigen Satz "Es gehört nicht zur Aufgabe von Journalisten, geheime, intime, persönliche Daten, die gestohlen wurden, in den Medien auszubreiten" gesagt hatte, blieb am Sonntagabend stumm. Inzwischen hat er sich gegenüber dem Tages-Anzeiger geäußert und in Bezug auf das Gesetz eingeräumt: "Möglicherweise ist der Regler nicht perfekt eingestellt."

SZ Plus22 Geschichten aus 2022 - Suisse Secrets
:Das ist das Leak

Eine anonyme Quelle hat der SZ einen riesigen Datenschatz aus der Credit Suisse zugespielt. Erstmals lässt sich zeigen, wie Kleptokraten, Autokraten und Kriminelle ihr Geld bei einer Schweizer Bank bunkerten.

Von SZ-Autorinnen und Autoren

Deutliche Worte fanden dagegen mehrere mit Transparenz und Pressefreiheit befasste Nichtregierungsorganisationen. Reporter ohne Grenzen Schweiz twitterte: "Artikel 47 des Schweizer Bankengesetzes ist eine untragbare Bedrohung für die Informationsfreiheit." Die Schweizer Regierung und das Parlament könnten nicht untätig bleiben, das Gesetz müsse korrigiert werden.

"Die Schweiz respektiert europäische Rechtsnormen zur Meinungs- und Pressefreiheit einfach nicht", lässt sich Ricardo Gutiérrez, Generalsekretär der European Federation of Journalists, in einem Statement zitieren. Das Land stelle die spezifischen Interessen von Bankern über allgemeine Interessen. Das erinnere an autoritäre Staaten.

SZ PlusSZ im Dialog
:Suisse-Secrets-Team erzählt von Recherche

Reporter aus dem Investigativ-Team sprechen über die Enthüllung und ihre Folgen. Die Veranstaltung "SZ im Dialog" zum Nachschauen.

Banken könne nicht zugetraut werden, sich selbst zu überwachen, kritisiert Transparency International

Transparency International bezeichnet die Credit Suisse in einer Stellungnahme als "professionelle Ermöglicherin von Finanzverbrechen" und fordert Regierungen auf der ganzen Welt dazu auf, entschieden gegen solches Verhalten vorzugehen. "Die Suisse-Secrets-Recherchen zeigen einmal mehr, dass Banken nicht zugetraut werden kann, sich selbst zu überwachen. Die Öffentlichkeit ist es leid zu hören, wie Banken korrupten Beamten auf der ganzen Welt helfen, ihr Geld zu waschen - und wie sie es beim nächsten Mal besser machen werden", so Maíra Martini, Geldwäsche-Expertin der Organisation.

Der US-Ökonom und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz zeigt sich in seiner Reaktion auf die Enthüllungen überrascht von der Dichte problematischer Kunden in den geleakten Daten. "Was würden wir dann erst sehen, wenn das Fenster in die Bank größer gewesen wäre?", fragt Stiglitz. Er hebt auch das noch immer wirkmächtige Schweizer Bankgeheimnis hervor: "Die Suisse Secrets bestätigen, wovor Experten schon seit Langem gewarnt haben: Die Schweiz hat dem automatischen Informationsaustausch vor allem mit anderen Industriestaaten zugestimmt, nicht aber mit ärmeren Ländern." Kleptokratie und Korruption könnten dort weiter gedeihen, warnt Stiglitz.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusExklusivSuisse Secrets
:Das sind die heikelsten Kunden der Credit Suisse

Vom jordanischen König bis zum jemenitischen Geheimdienstchef - diese umstrittenen Männer hatten Konten bei der Schweizer Großbank.

Von Mauritius Much und Hannes Munzinger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: