Streit um neue Stromleitungen:Bundesregierung im Trassenkampf gegen Seehofer

Stromtrasse

Blick auf eine Stromtrasse bei Unterspießheim (Bayern).

(Foto: dpa)

Keine neuen Stromautobahnen, dafür ein energieautarkes Bayern - so stellt sich Horst Seehofer die Energiewende vor. Jetzt reicht es der Bundesregierung. In einem Papier erteilt sie den bayerischen Alleingängen erstmals offen eine Abfuhr.

Von Markus Balser, Berlin

Noch vor ein paar Tagen reiste Horst Seehofer ins Zentrum des Protests: "Wir sagen Nein", stand auf Bettlaken im kleinen Dorf Bergen, einem Ortsteil von Neuburg an der Donau. Plakate warnten vor der "Monstertrasse", die hier vorbeiführen soll. Die Rede ist von 60-Meter-Masten, so hoch wie der Kirchturm.

Der CSU-Ministerpräsident nutzte die kleine Bühne vor 500 Demonstranten auf dem Kirchplatz Anfang April für neue Spitzen gegen Berlin. "Wir alle wollen die Trasse nicht", sagte Seehofer in seinem Stimmkreis. Es sei für ihn eine politische Verpflichtung, gegen die grauen Ungetüme zu kämpfen. Denn: "Wir sind der Freistaat Bayern."

Wo immer Pläne für neue Masten und Leitungen auf dem Tisch liegen, ist der Ärger in Deutschland derzeit nicht weit. Seit die Stromnetzbetreiber Amprion und 50 Hertz angekündigt haben, gar eine 450 Kilometer lange Stromautobahn von Sachsen-Anhalt weit hinein in den Süden Bayerns bauen zu wollen - eine der größten weit und breit -, wächst vor allem im Süden der Widerstand.

Bisher schwieg die Regierung zu Seehofers Alleingängen

Entlang der Route von Lauchstädt bei Halle nach Meitingen nördlich von Augsburg macht sich bei Bürgern und Lokalpolitikern Ärger breit - mit Unterstützung aus München. Bayern brauche keine Stromtrasse Süd-Ost, glaubt Seehofer und fordert ein Moratorium beim Stromnetzausbau. Begründung: Durch die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ändere sich die Geschäftsgrundlage für den Leitungsbau.

Zwar löste der Widerstand aus Bayern in Berlin schon seit Längerem heftiges Kopfschütteln aus. Bislang aber hat die Bundesregierung zu Seehofers Alleingängen meist geschwiegen. Selbst beim jüngsten Energiegipfel im Kanzleramt wurde der Trassen-Streit ausgeklammert. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung bezieht die Bundesregierung in der Auseinandersetzung nun jedoch erstmals offiziell Stellung - und erteilt Seehofers Alleingang mit deutlichen Worten eine Abfuhr. "Eine Eigenversorgung Bayerns ist unter den gegebenen rechtlichen, ökonomischen und technischen Rahmenbedingungen weder realistisch noch anzustreben", teilt die Bundesregierung in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen mit.

Das siebenseitige Schreiben stammt aus der Feder von Uwe Beckmeyer, Parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschafts- und Energieministerium von SPD-Chef Sigmar Gabriel. Und es lässt tief blicken in das Zerwürfnis zwischen Berlin und München. Ein "Verzicht von Stromimporten nach Bayern " sei nicht mit den gegebenen Rahmenbedingungen vereinbar und stehe dem Ziel der Integration erneuerbarer Energien entgegen, heißt es in dem Schreiben.

Neue Trassen sind zentral für die Energiewende

Speziell für die Protesthaltung der bayerischen Landesregierung beim Netzausbau, etwa gegen die Ost-Süd-Trasse, hat man in Berlin offenkundig kein Verständnis: "Diese Leitung soll zukünftig zur ausreichenden Stromversorgung in Bayern und zur Netzstabilität beitragen", mahnt Gabriels Wirtschaftsministerium. Im Klartext: Seehofer erweist der sicheren Stromversorgung in Bayern einen Bärendienst.

Denn klar ist: Neue Trassen werden in Deutschland dringend gebraucht. Insgesamt sind drei neue Stromautobahnen von Nord nach Süd geplant: neben der Gleichstrompassage Süd-Ost auch noch das sogenannte Ultranet im Westen. Es soll von Emden in Ostfriesland zum Atomkraftwerk Philippsburg in Baden-Württemberg führen. In Planung ist außerdem die Trasse "Suedlink" von Schleswig-Holstein bis in die Nähe von Heilbronn. Den Trassen kommt eine zentrale Funktion zu: Sie sollen Energie nach Süden bringen, wenn bis 2022 auch noch die letzten sechs Atomkraftwerke in Süddeutschland vom Netz gehen.

Das Kalkül hinter den Plänen: Sonnenstrom und Biomasse - jene Energiequellen, auf die etwa Bayern setzt - werden die Lücke allein nicht füllen können. Bayern wird nach Einschätzung Berlins auf Windstrom aus dem Norden angewiesen sein. "Konkrete Alternativen zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit in Bayern liegen der Bundesregierung derzeit nicht vor", ätzen die Autoren des Schreibens.

Die Opposition nutzt die Auseinandersetzung der Regierungsparteien in Berlin für eine Generalabrechnung: "Die Antwort der Bundesregierung ist eine schallende Ohrfeige für den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer", sagt Grünen-Vizefraktionschef Oliver Krischer. Die Bundesregierung bestätige die Notwendigkeit der Leitung. "Frei von energiepolitischem Sachverstand wettert Seehofer seit Monaten gegen neue Stromtrassen, Windenergieanlagen und sogar neue Gaskraftwerke", kritisiert Krischer weiter. "Wer so handelt, gefährdet nicht nur die Energiewende, sondern viele deutsche Industriearbeitsplätze."

Die Zeit für den Netzausbau ist knapp

Für den Erfolg der Energiewende sind die Auseinandersetzungen in jedem Fall ein gewaltiges Problem. Ohne Investitionen ins Stromnetz - die vier Netzbetreiber gehen von mehr als 20 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren aus - wird aus dem ehrgeizigen Energiewende-Plan nichts. Werde der Trassenkampf nicht schnell befriedet, gerate der ehrgeizige Zeitplan der Bundesregierung zum Atomausstieg bis 2022 in Gefahr, warnen die Netzbetreiber. "Die Zeit ist sehr knapp", befürchtet etwa Amprion-Chef Hans-Jürgen Brick. Auf lokaler Ebene, glauben Experten, werde sich nun entscheiden, ob Berlin das Versprechen halten kann, dass in den nächsten vier Jahrzehnten 80 Prozent des Stroms aus sauberer Wind-, Wasser- oder Solarenergie kommt.

Am weiteren rasanten Ausbau der Ökostromkapazitäten besteht für die Bundesregierung unterdessen kein Zweifel. Sie geht dem Schreiben zufolge in den nächsten Jahren vor allem von starkem Wachstum der Windenergie aus. Das sorge schon heute dafür, dass der erzeugte Strom nicht mehr zu jeder Zeit über das vorhandene Stromnetz aufgenommen und übertragen werden könne, heißt es in dem Papier. Allein in Ostdeutschland sollen in den nächsten zehn Jahren laut Ausbauzielen der Bundesländer 31 Gigawatt installiert sein - das Dreifache der heutigen Kapazitäten.

Damit tritt die Regierung auch Befürchtungen in Süddeutschland entgegen, die Stromautobahnen könnten klimaschädlichen Braunkohlestrom aus Ostdeutschland in den Süden transportieren: Die neue Leitung wäre auch dann nötig, wenn in den kommenden 15 bis 20 Jahren alle Braunkohlekraftwerke in Ostdeutschland abgeschaltet würden.

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