Stagnierende Preise:Ökonomen warnen vor Deflation

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Die Verbraucherpreise in der Euro-Zone steigen kaum noch, die Gefahr einer Deflation ist "zum Greifen nahe". (Foto: Reuters)

Für die Bürger ist es eine vermeintlich gute Nachricht, für Experten besteht Gefahr: Die Verbraucherpreise in der Euro-Zone steigen kaum noch. Nun will die EZB erstmals den Einlagenzinssatz unter null senken, um gegen die drohende Deflation vorzugehen.

Von Claus Hulverscheidt

Die Furcht vor einem EU-weiten Preisverfall setzt die Europäische Zentralbank (EZB) immer stärker unter Druck. "Die Gefahr, dass die Euro-Zone in eine Deflation abrutscht, ist mittlerweile mit Händen zu greifen", sagte der Chef des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn, der Süddeutschen Zeitung.

Der EZB-Rat müsse sich dieser Gefahr bei seiner Sitzung am Donnerstag entschlossen entgegenstellen. Die Geldpolitik allein könne es allerdings nicht mehr richten. Hinzu kommen müssten vielmehr staatliche Investitionsprogramme, um die Konjunkturflaute in weiten Teilen Europas endlich zu überwinden.

Nach Angaben des EU-Statistikamts lagen die Verbraucherpreise in der Euro-Zone im Mai nur noch um 0,5 Prozent über dem Vorjahresniveau. Das war einer der geringsten Anstiege seit Gründung der Währungsunion. Was für die Bürger nach einer guten Nachricht klingt, bereitet Experten erhebliche Sorgen. Sollten die Preise nämlich eines Tages tatsächlich auf breiter Front sinken, könnte eine gefährliche Spirale in Gang kommen: Die Verbraucher kaufen nicht ein, weil alles noch billiger zu werden verspricht, die Firmen vertagen Investitionen, die Konjunktur kollabiert.

Das ist auch der Grund, warum die EZB nicht etwa eine Inflationsrate von null, sondern von knapp zwei Prozent anpeilt. Von diesen knapp zwei Prozent ist man jedoch schon lange weit entfernt. Grund sind stagnierende oder gar rückläufige Preise für Nahrungsmittel, Energie und Industriegüter. In mehreren Euro-Staaten, darunter Griechenland, Zypern und Portugal, sinkt die Inflationsrate seit Monaten.

"Aber auch in Deutschland ist sie mit 0,9 Prozent eindeutig zu niedrig", sagte Horn. Allerdings hat die EZB ihr Standardrepertoire zur Deflationsbekämpfung praktisch ausgereizt. So liegen die Leitzinssätze bereits bei null oder nur leicht darüber. Nach SZ-Informationen bereitet sich die Notenbank deshalb darauf vor, ihren Einlagensatz erstmals unter null zu senken. Banken, die Kapital bei der EZB anlegen, müssten eine Art Strafzins zahlen. Um das zu vermeiden, so die Idee, leihen sie ihr Geld lieber Firmen und Verbrauchern und kurbeln so die Wirtschaft an.

Horn schlug zudem vor, dass die EZB selbst billige Kredite an die Finanzinstitute vergibt - mit der Maßgabe, dass diese die günstigen Darlehen nicht wieder in Staatsanleihen anlegen, sondern an Mittelständler weiterreichen. Theoretisch möglich wäre auch, dass die EZB in großem Stil Staatsanleihen und andere Wertpapiere aufkauft. Ein solcher Schritt gilt als scharfe Waffe gegen eine Deflation, ist aber besonders umstritten und derzeit unwahrscheinlich.

Aus Sicht Horns und vieler anderer Ökonomen ist der EZB-Rat bei seiner anstehenden Sitzung beinahe zum Handeln gezwungen. Johannes Mayr von der BayernLB sagte mit Blick auf die jüngsten Inflationsdaten, der "Sicherheitsabstand zur Nulllinie" sei nur noch sehr gering. Johannes Jander von der Landesbank Hessen-Thüringen erklärte, der Druck auf die Notenbank, etwas zu tun, werde bis Donnerstag weiter steigen.

© SZ vom 04.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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