Europa und die Finanzkrise:Warum es den Euro noch gibt und wo die Gefahr lauert

Weil Kanzlerin Merkel und EZB-Chef Draghi den Euro gerettet haben, ist die Finanzkrise nicht mehr das wichtigste Thema Europas. Doch der Spuk ist nicht vorbei - denn von Frankreichs schwächelnder Wirtschaft geht enorme Gefahr aus. Viel hängt von Präsident Hollande ab.

Ein Kommentar von Claus Hulverscheidt, Berlin

Vor einigen Tagen war Zyperns Präsident Nikos Anastasiades bei Angela Merkel in Berlin. Es ging um die Zukunft seines geteilten Landes, die Lage in der Ukraine und, ach ja, die Euro-Krise. Die Abfolge der Themen mag überraschen, schließlich gehört Zypern zu denjenigen Staaten, die von den EU-Partnern vor der Pleite bewahrt werden mussten. Das ganz große Drama aber, es scheint vorüber, immer seltener schafft es die Krise auf Platz eins der politischen Tagesordnung.

Ist der Spuk also vorbei? Die Euro-Kritiker von Wagenknecht über Sinn bis Lucke widersprechen vehement. Sie halten die Ruhe für trügerisch, die Währungsunion für fragiler denn je. Aus ihrer Sicht bebt die Erde nur deshalb nicht mehr, weil die Europäische Zentralbank (EZB) die tiefen Gräben, die sich in Euro-Land aufgetan haben, mit Unmengen billigem Geld zugeschüttet hat. Irgendwann aber, so die These, würden die tektonischen Spannungen so gewaltig, dass eine noch gewaltigere Katastrophe unvermeidlich sein wird.

Richtig daran ist, dass Mario Draghis Bestandsgarantie für den Euro die Lage beruhigt hat und dass der EZB-Chef und die Seinen seit Jahren am Rande des Erlaubten operieren. Richtig ist aber auch: Entgegen allen Prophezeiungen der Kritiker ist die Währungsunion mitnichten zerbrochen. Auch kam es weder zu Aufständen in den Krisenländern noch zu jener Hyperinflation, die Deutschland heimsuchen sollte. Eines nämlich haben die ebenso theorie- wie selbstverliebten Nörgler nicht begriffen: Eine politische Krise ist keine Naturgewalt, kein Fallbeil, das sich - einmal ausgelöst - mit grausiger Zwangsläufigkeit ins Leben schneidet. Eine politische Krise ist gestaltbar, eindämmbar, abwendbar.

Frankreich ist der neue kranke Mann in der EU

Dass es den Euro noch gibt, ist außer Draghi auch Merkel zu verdanken, die für ihre Politik der kleinen Schritte belächelt und beleidigt worden ist. Dabei waren es diese kleinen Schritte, die eine fatale Überreaktion der Krisenmanager verhinderten und zugleich in Deutschland ein ums andere Mal das nötige Mindestmaß an Akzeptanz ermöglichten. Selbstverständlich hat auch Merkel Fehler gemacht, ihr aber etwa die unerträglich hohe Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa anzulasten, ist schon regelrecht bösartig: Die Situation vieler junger Menschen in den Krisenländern ist Folge der Krankheit, nicht der Medizin.

Aber: Auch wenn die Kritiker die Augen vor dem Erreichten verschließen, haben sie doch Recht mit der Mahnung, die Krise sei nicht vorbei. Sie tritt sogar in eine weitere äußerst gefährliche Phase ein. Gerade weil es Lichtblicke gibt, weil der Schmerz nachlässt, schwindet allerorten der Reformeifer, feiern die Finanzmärkte wieder Partys, drücken sich Politiker in Berlin wie Athen immer mehr davor, den Bürgern reinen Wein einzuschenken. Der Umbau der Euro-Zone aber darf nicht auf halbem Weg stecken bleiben, er muss weiter gehen - wirtschaftlich, politisch, institutionell, ideell. Sonst war aller Schmerz für die Katz.

Die größte Gefahr geht jetzt von Frankreich aus, dem neuen kranken Mann Europas. Doch die Signale, die Präsident François Hollande sendet, widersprechen sich: Einerseits will er nach zwei vertanen Jahren endlich mit dem Aufräumen beginnen. Andererseits eröffnet er einen neuen Nebenkriegsschauplatz, indem er dem starken Euro die Schuld an seiner Misere gibt. Dem starken Euro? Jener Brösel-Währung, der angeblich der Exitus droht? Es klingt wie ein Witz. Natürlich ist der Euro derzeit vergleichsweise teuer und nicht gerade ein Exportverstärker; auch Draghi hat darauf verwiesen. Nur: Was hat das mit den vielfältigen wirtschaftlichen und politischen Verkrustungen in Frankreich zu tun? Hollande hat es in der Hand: Statt über die Währung zu lamentieren, sollte er endlich Reformen angehen - sonst gibt es diese Währung nämlich eines Tages nicht mehr.

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