Öko-Hochhäuser:Es grünt so grün

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Paris bleibt immer noch die Stadt für Visionen. Hier entstehen neue Öko-Wolkenkratzer mit unterschiedlichen Bepflanzungsarten. Biofassaden und Mikroalgen helfen dabei, die Heizung und Kühlung der Gebäude erheblich zu reduzieren.

Von Joseph Hanimann

Das 200 Meter hohe Montparnasse-Hochhaus aus den Siebzigerjahren als vertikaler Central Park mit hängenden Gärten und eigener Energieversorgung, die Haussmann'schen Stadthäuser aus dem 19. Jahrhundert als Sockel für begrünte Wohntürme: Visionen wie die des Architekturbüros Vincent Callebaut im Rahmen seiner Studie "Paris Smart City 2050" gibt es schon viele. Die meisten sind kaum mehr als Gedankenspiele. Anders steht es mit den konkreten Projekten, die im Austausch zwischen Denkfabriken, architektonischen Designbüros und wissenschaftlichen Forschungslabors entworfen werden. "Réinventer Paris", Paris neu erfinden, heißt ein vor zwei Jahren lancierter Projektzyklus der Stadt, der für 23 Vorhaben auch schon konkrete Standorte vorsieht. Besonders gut vertreten sind dabei allerlei Arten von Öko-Hochhäusern. Die im Zentrum schon äußerst dichte und weitgehend denkmalgeschützte Metropole hat für neue Ideen fast nur noch den Raum in der Höhe anzubieten und sucht der gegenüber Wolkenkratzern skeptischen Stadtbevölkerung die Sache durch Umweltfreundlichkeit schmackhaft zu machen. Überall quillt es da in den Entwürfen, im umgebauten Vorstadtbahnhof Masséna von Lina Ghotmeh oder in den gelifteten Wohnblocks von Nicolas Laisné, grün aus Balkonen, Fassaden und Flachdächern.

Der Turm M6B2 versteht sich als Samenfabrik mitten in Paris

Die Initiativen sind vielfältig. Am Südostrand der Stadt unweit der neuen Staatsbibliothek François Mitterrand, einem der letzten Areale mit größeren Freiflächen, ist das Projekt "M6B2", auch "Turm der Biodiversität" genannt, vom Architekturbüro Edouard François schon fertig. Dieses Wohngebäude, das die sonst geltende Maximalhöhe von 37 Metern überschreiten durfte und 50 Meter erreicht, versteht sich als vegetabile Samenfabrik mitten im Stadtgebiet. Vor einer hellgrünen Titanfassade spannt sich da über die Balkone mit je nach Sonnenorientierung wechselnden Neigungswinkeln ein Metallgitter übers ganze Gebäude, an dem eine Vielfalt von stadtverträglichen Pflanzen großflächig emporwachsen kann und dank guter Windexposition die Samen über die umliegenden Stadtviertel verstreuen soll. Revolutionär neu ist dieses Projekt nicht, doch trägt es dazu bei, grünes Bewusstsein im sonst eher mineralisch geprägten Bewusstsein des historischen Paris Wurzeln schlagen zu lassen.

Technisch kühner ist das unweit davon ebenfalls im 13. Arrondissement angesiedelte Projekt "In Vivo". Es steht noch in der Anfangsphase, soll aber ein Schaustück werden für die Biofassaden der Architekten Anouk Legendre und Nicolas Desmazières vom Büro X-TU. Das von diesem Büro zusammen mit französischen Forschungslabors entwickelte Verfahren "SymBio²" integriert Mikroalgen in die Fassade. Die Vegetation wuchert hier nicht frei über Balkone und Fenstersimse, sondern oszilliert hinter glatten Glasflächen. In einem Wasserbad von wenigen Zentimetern Tiefe zwischen zwei Glasscheiben sollen die Mikroalgen helfen, die Heizung und Kühlung des Gebäudes erheblich zu reduzieren und die Klimaschwankung drumherum zu dämpfen. Neu ist an "SymBio²" gegenüber anderen Versuchen mit Algenfassaden, dass die Wand hier Gebäudemantel und Biomassenfabrik in einem ist und die beiden Funktionen nicht mehr getrennt sind. Die Fassade ist wasser-und wärmedicht, nimmt Kohlenstoff aus der Atmosphäre auf, gibt die durch das Algenwachstum entstandene Wärme für den Heizungsbedarf ans Gebäude ab und liefert durch regelmäßiges Absaugen der Algen Biomasse vorab für die medizinische Forschung. An einem bestehenden Gebäude östlich von Paris ist die Biofassade "SymBio²" als Pilotversuch gerade installiert worden.

Das Wohnbauprojekt "In Vivo" des Büros X-TU soll im neuen "Quartier Latin" unweit der Universitätsgebäude um die Nationalbibliothek auf einem Teil seiner Außenwand diese jüngste Generation von Biofassaden demnächst zur Schau tragen. Neben dem "Algo House" wird es aber mit unterschiedlichen Bepflanzungsarten auch andere Aspekte einer biotechnologisch grünen Architektur vorführen, bis hin zum "Lombric House" mit integrierter Wurmaufzucht. Niemand soll der Stadt Paris nachsagen können, sie ersticke an ihrem historischen Glanz.

© SZ vom 13.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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