Krim-Krise:Angst vorm Blick in die Röhre

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Auch Deutschland importiert große Mengen Rohöl und Gas aus Russland. Die Ölimporte lagen 2013 bei mehr als 31,4 Millionen Tonnen, rund 35 Prozent der gesamten Einfuhren. (Foto: Bloomberg)

Moskau droht der Ukraine, den Gashahn abzudrehen. Doch auch in Deutschland und dem restlichen Europa wachsen die Bedenken vor einem Poker ums Gas. Besonders ein russischer Multi könnte den Kontinent in die Zange nehmen.

Von Markus Balser, Berlin, und Cerstin Gammelin, Brüssel

Sigmar Gabriel (SPD) ist gern ein Mann der Tat. Als solcher will sich der Bundeswirtschaftsminister an diesem Donnerstag in die Höhle des russischen Präsidenten wagen und nach Moskau fliegen. Der Plan hat ihm am Dienstag im Kreise seiner europäischen Kollegen einiges an Misstrauen und Skepsis ein-, Gabriel aber nicht von diesem Vorhaben abgebracht.

Am Dienstag verlautete nach den Treffen in Brüssel am Nachmittag aus deutschen Regierungskreisen, Gabriel fliege planmäßig nach Moskau. Das Ausmaß der Probleme, das ihn dort erwartet, machte am Dienstag eine knappe Mitteilung aus der Zentrale des größten Rohstoffkonzerns der Welt klar: Die Ukraine könne ihre Februarrechnung für Gas nicht zahlen und stehe mit 1,5 Milliarden US-Dollar in der Kreide, rechnete Gazprom-Chef Alexej Miller vor. Der zuletzt gewährte 30-Prozent-Rabatt müsse deshalb entfallen, kündigte der Staatskonzern mit kühler Logik an. Regierungschef Dmitrij Medwedjew begrüßte die Entscheidung. Wer nicht rechtzeitig für Waren zahle, der müsse eben die Folgen tragen.

Es sind die Stunden einer unerbittlichen Machtdemonstration des Kreml, die einem ganzen Kontinent vor Augen führen, wie groß seine Abhängigkeit vom unheimlichen Partner Russland und seinem Rohstoffriesen Gazprom längst ist. Vor allem die gigantischen Pipelines Russlands gen Westen sind zu überlebenswichtigen Adern der westlichen Volkswirtschaften geworden. Der Anteil des Landes an der Gasversorgung in Europa liegt bei rund einem Drittel. Moskau weiß: Wer sie beherrscht, hat Einfluss, bestimmt und kontrolliert.

Erst im November hatte Russland der Ukraine den Preisnachlass eingeräumt - als Lohn für ein Abrücken vom Assoziierungsabkommen mit der EU. Der Preisanstieg könnte für Kiew nun fatale Konsequenzen haben. Das Land steht kurz vor dem Staatsbankrott und ist auf russische Gaslieferungen angewiesen. Auch für Europas Gasversorgung sind die ukrainischen Pipelines von gewaltiger Bedeutung. Beinahe 80 Prozent des russischen Gasexports fließen durch die Riesenröhren.

Sorge um russische Gaslieferungen nach Europa

Und so stritten am Dienstag die für Energie zuständigen Minister von 28 EU-Staaten in Brüssel nur offiziell über neue Klimaziele bis 2030. Wirklich drängend aber waren ganz andere Fragen: Was wird aus den Energielieferverträgen, die viele europäische Länder mit Russland abgeschlossen haben? Und: Besteht die Gefahr, dass Moskau Gaslieferungen stoppt - oder die Europäer Verträge aufkündigen?

Spaniens Außenminister José Manuel García-Margallo hatte schon am Montag "die Kurzsichtigkeit" der europäischen Energiepolitik scharf kritisiert. Es gehe in den Beziehungen mit Russland natürlich auch um die Frage der Energiesicherheit der EU, sagte der Spanier. Schließlich kämen 35 Prozent des europäischen Gases über drei Pipelines aus Russland.

"Nur so am Rande bemerkt", fügte García-Margallo hinzu, "nun rächt sich, was wir immer gesagt haben, dass man Verbindungen schaffen muss zwischen Spanien und dem Rest Europas. Spanien bekommt Gas aus Algerien über zwei Pipelines. Aber wir können es nicht weiter transportieren." Die Krise sei "ein guter Augenblick", noch mal darüber nachzudenken.

Der Schelte am Montag folgten am Dienstag einige bilaterale Treffen am Rande der Brüsseler Energiegespräche. Gabriel hatte offensichtlich einen besonders vollen Terminkalender, dieser musste jedenfalls als Entschuldigung dafür herhalten, dass er keine Zeit fand, der Presse nach den stundenlangen Beratungen die Meinung der Bundesregierung und seiner europäischen Kollegen zu erläutern. Gabriel habe einige Kollegen getroffen, hieß es in diplomatischen Kreisen, und ja, die russischen Energielieferungen seien immer wieder angesprochen worden.

EU-Diplomaten aus den baltischen Staaten berichteten übereinstimmend von der Sorge, dass Russland seinen Ländern den Gashahn zudrehen könne. Auf Skepsis unter zahlreichen Kollegen stießen angesichts der Drohgebärden die Pläne des deutschen Ministers, im Alleingang zu Gesprächen nach Moskau zu reisen.

Deutschland spiele wegen seiner engen Beziehungen zu russischen Gaslieferanten "eine spezielle Rolle unter den europäischen Partnern", sagte ein hoher EU-Diplomat. Gabriel versuchte, die Sorgen der Kollegen zu zerstreuen. "Zumindest die europäischen, die westeuropäischen Erfahrungen sind die, dass Russland ein absolut vertragstreuer Lieferant war." Den beinahe zu 100 Prozent von Russland abhängigen Balten nahm dieser Satz die Sorgen nicht.

Aber auch in Deutschland wachsen die Bedenken. Deutschland importiert große Mengen Rohöl und Gas aus Russland. Die Ölimporte lagen 2013 bei über 31,4 Millionen Tonnen, rund 35 Prozent der gesamten Einfuhren. Bei Gasimporten sind es sogar fast 40 Prozent. Für kürzere Lieferstopps wäre Deutschland gerüstet. Der Staat bunkert große Mengen Öl in riesigen unterirdischen Speichern. Die strategische Ölreserve muss per Gesetz für 90 Tage reichen. Die Gasspeicher sind die viertgrößten weltweit. Nach dem milden Winter sind die 47 Anlagen gut gefüllt.

Kritiker warnen davor, dass die Macht von Gazprom mit dem Bau neuer Pipelines in Richtung Europa in bedrohliche Dimensionen wachsen könnte. Im Norden hat der Moskauer Multi bereits die Ostsee-Pipeline Nord Stream gebaut. Auch im Süden hat sich Moskau beim Zugang zu Gas aus Zentralasien zunächst mit seinem Projekt South Stream gegen die Konkurrenz-Pipeline der EU, Nabucco, durchgesetzt. Gazprom könnte so einen ganzen Kontinent in die Zange nehmen, heißt es in der Branche.

© SZ vom 05.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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