Globalisierungsgegner:Furcht vor der Freiheit

Linke Demonstranten in Berlin

Wut gegen rechte Demonstranten, Wut gegen den Staat: linker Protest in Berlin.

(Foto: Getty Images)

Sie sind gegen freien Handel und Zuwanderer. Ihre Angst speist sich aus Terrorismus, Flüchtlingsbewegungen und Finanzkrise. Es ist eine seltsame Koalition von Rechten und Linken, die unsere offene Gesellschaft gefährdet.

Essay von Ulrich Schäfer

Donald Trump müsste eigentlich wissen, warum es keinen Sinn hat, Zäune und Mauern zu errichten - und warum Freiheit und Offenheit so viel wert sind: für den Einzelnen, aber auch für die Gesellschaft als Ganzes.

Trump stammt aus einer Einwandererfamilie, sein Großvater Friedrich Trumpf wurde in Kallstadt in Rheinland-Pfalz geboren, im Jahr 1885 wanderte dieser in die Vereinigten Staaten aus und fand dort sein privates und wirtschaftliches Glück: als Unternehmer, der Restaurants betrieb und mit Grundstücken spekulierte. Aus Friedrich wurde so Fred, aus dem Pfälzer Trumpf der Amerikaner Trump, und aus einer armen Familie wurde im Laufe der Jahrzehnte ein reicher Clan.

Trumps scheinheilige Position gegen Immigranten

Amerika, das freie, offene Land. Was den Trumps half, Wohlstand zu erlangen, das stellt Freds Enkel nun in Frage: Freiheit, Offenheit - nicht mit Donald Trump. Es ist eine scheinheilige Position, denn der Kandidat mit Migrationshintergrund wäre kein US-Bürger, hätten die Vereinigten Staaten nicht seinen Großvater aufgenommen. Und er wäre nicht so reich ohne den grenzenlosen Kapitalismus.

Dennoch vergeht im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf kein Tag, an dem der Republikaner nicht gegen Immigranten wettert, an dem er nicht gegen den Freihandel polemisiert und verlangt, Amerika solle sich stärker vom Rest der Welt abgrenzen. Diesen Geist der Unfreiheit, diesen Versuch, sich den Einflüssen einer vernetzten Welt zu entziehen, kann man derzeit vielerorts beobachten: in den USA und in Europa, bei Linken und Rechten, bei Reichen und Arbeitslosen, bei Unternehmern und Globalisierungsgegnern.

Bei immer mehr Menschen trifft man auf Zweifel und Skepsis, und immer häufiger auch auf offenen Widerstand, wenn es um freien Handel geht, um offene Märkte. Oder wenn es um die Wanderung von Menschen aus anderen Ländern und Kulturen geht, die entweder einen Arbeitsplatz suchen - oder Schutz vor Krieg, Terror und Verfolgung.

Die informelle Koalition der Skeptiker von Trump bis Sanders

Es ist eine seltsame informelle Koalition, die da mal lauter, mal leiser das Prinzip der Freiheit in Frage stellt - und damit eines der wichtigsten Prinzipien der westlichen Gesellschaften. Liberté war neben der Gleichheit und Brüderlichkeit eines der drei Elemente der Französischen Revolution, Liberty ist die entscheidende Leitlinie in der amerikanischen Verfassung, und auch Europa ist, als Antwort auf die Verheerungen des Zweiten Weltkriegs, nicht bloß ein großes Friedensprojekt, sondern auch ein Freiheitsprojekt. Die Europäer können sich frei bewegen, müssen kein Geld mehr tauschen, Schlagbäume verschwanden.

Doch der wachsende Geist der Unfreiheit stellt vieles davon in Frage. In den USA reicht die informelle Koalition der Skeptiker von Trump bis hin zu Bernie Sanders, dem linken Demokraten, der Hillary Clinton im Nacken saß. Noch vielfältiger ist diese Koalition in Europa. Zu ihr gehören - um am rechten Ende anzufangen - Populisten und Nationalisten: vom Front National in Frankreich bis zur Alternative für Deutschland, von den Anhängern eines Viktor Orbán in Ungarn bis hin zur britischen UKIP-Partei; zu ihr zählen aber auch - am linken Ende des Spektrums - jene Globalisierungsgegner, die hinter dem Freihandel bloß eine Verschwörung des Großkapitals wittern und Verträge wie TTIP und Ceta mit teils pauschalen Argumenten schlicht verhindern wollen, ohne anzuerkennen, wie sehr sich Europas Politik um Verbesserungen bemüht.

Die Angst vor der Bedrohung wächst

Diese Furcht vor der Freiheit, die sich da artikuliert, hat ihren Ursprung in drei großen Entwicklungen seit der Jahrtausendwende. Die erste Entwicklung begann mit den Anschlägen am 11. September 2001: Islamistische Terroristen haben den Westen dazu gebracht, nach und nach die Reise- und Bewegungsfreiheit seiner Bürger einzuschränken, nicht zuletzt auch die Freiheit der Daten.

Die zweite Entwicklung begann 2003: Damals landete auf der italienischen Insel Lampedusa erstmals eine größere Zahl von Bootsflüchtlingen aus Afrika. Kaum jemand nahm davon Notiz; doch es waren die Anfänge jener Flüchtlingskrise, die im vorigen Jahr in Ungarn, Mazedonien und Österreich Zäune entstehen ließ und das Votum für den Brexit mit beförderte.

Die dritte Entwicklung schließlich begann 2007: Damals brach die Finanzkrise aus, ein Jahr später ging Lehman pleite, und die Staaten wendeten Milliardenbeträge auf, um die Banken zu retten. Ein Vorgang, der für viele Bürger bis heute unfassbar ist, weil die Politik urplötzlich Summen bewegte, die sie anderswo, etwa im Sozialen, nie so schnell bewegen würde. Der Protest gegen die Globalisierung, der seit den gewaltsamen Demonstrationen 1999 beim WTO-Gipfel in Seattle lange nur ein linkes Projekt war, rückte in die Mitte der Gesellschaft.

Terror, Finanzkrise und Flüchtlinge treten gleichzeitig auf

Das Fatale ist, dass Terror, Finanzkrise und Flüchtlingskrise zur gleichen Zeit auftreten. Deshalb potenziert sich das Unwohlsein, deshalb wächst die Angst vor der Bedrohung von außen, und deshalb finden immer stärker jene Gehör, die auf Abschottung setzen und den Eindruck erwecken, damit ließen sich alle Probleme lösen.

Bei den Linken überwiegt dabei das Bestreben, den Markt einzuschränken, also den Fluss der Waren und des Kapitals; den Rechten geht es eher darum, die Flüchtlinge abzuwehren und die heimischen Konzerne zu beschützen. Aus unterschiedlichen Ecken kommend, befördern Linke wie Rechte wechselseitig den Geist der Unfreiheit. Und so könnte es sein, dass wir vor einer Zeitenwende stehen: hin zu einer teils geschlossenen Gesellschaft.

Neoliberalismus war einst die Abkehr vom alten Liberalismus

Es wäre eine Abkehr von jener Idee, über die Karl Popper, der österreichisch-britische Philosoph, 1945 in seinem Buch "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" geschrieben hat. Popper hatte zuvor erlebt, wie totalitäre Regime - Nazis, Faschisten, Kommunisten - die Menschen ihrer Freiheit beraubt und Völker in den Krieg gestürzt haben.

Dem setzte er das Modell der offenen Gesellschaft entgegen. Er lieferte damit ein Gedankengebäude für Demokratie und Marktwirtschaft, das auch viele Ökonomen inspirierte. Manche sagen: Popper sei damit einer der Wegbereiter des Neoliberalismus, jener ökonomischen Denkschule, die gern missverstanden wird, weil mit ihr fälschlicherweise ein völlig zügelloses Marktdenken verbunden wird.

Tatsächlich haben die Vordenker des neuen, des Neo-Liberalismus, so wie Popper, dem Staat sehr wohl eine wichtige Rolle zugewiesen und wollten sich damit bewusst vom Laissez-faire des frühen 20. Jahrhunderts unterscheiden: vom ungezügelten Liberalismus. Alexander Rüstow, einer der deutschen Vordenker des Neoliberalismus, formulierte es so: "Der neue Liberalismus, der heute vertretbar ist, fordert einen starken Staat, einen Staat oberhalb der Wirtschaft, oberhalb der Interessenten, da, wo er hingehört."

Freie Gesellschaften müssen Debatten aushalten

Dieser neue Liberalismus war nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst ein theoretisches Konstrukt, doch er gewann von Mitte der 1970er-Jahre an immer mehr an politischer Bedeutung, erst in den USA, später in Europa. Märkte wurden geöffnet, Staatskonzerne privatisiert, Zölle abgebaut, in Europa ermöglichte der Binnenmarkt den freien Verkehr von Waren, Kapital, Dienstleistungen und Arbeitskräften.

Manchmal übertrieb es die Politik dabei, sie ging zu weit, etwa an den Kapitalmärkten, deren Entfesselung in der Finanzkrise mündete. Weil der Staat sich zu sehr zurückzog, war an die Stelle eines vertretbaren Liberalismus im Sinne Rüstows eine "Anything-goes"-Mentalität getreten: mit Banken oberhalb der Wirtschaft, ja sogar oberhalb des Staats, der für sie die Haftung übernahm.

Mehr Regulation ist richtig, den Freihandel verdammen ist falsch

Es ist mithin richtig, dass die Politik versucht, diesen Bereich der Wirtschaft strenger zu regulieren, damit der Staat nicht wieder in Geiselhaft genommen werden kann. Es ist aber falsch, deshalb auch den freien Handel in toto zu verdammen und Abkommen wie Ceta und TTIP prinzipiell abzulehnen, anstatt zu fragen: Wie lassen sich diese verbessern? Genauso ist es falsch, innerhalb Europas wieder Grenzzäune hochzuziehen und Einwanderung auf ein Minimum zurückzufahren, anstatt zu fragen: Wie lässt sich die Einwanderung bestmöglich organisieren, ohne die Gesellschaft zu überfordern?

Alles andere würde die Freiheit, an die wir uns gewöhnt haben, gefährden: die Freiheit, Produkte aus aller Welt zu kaufen - von der Orange bis zum Smartphone; aber auch die Freiheit, sich in dieser Welt einfach bewegen zu können - über den Brenner, über den Ärmelkanal und in andere Regionen der Erde.

Freie Gesellschaften müssen kontroverse Debatten, wie sie nun geführt werden, um den Handel, die Flüchtlinge, die Regeln für die Wirtschaft, aushalten; sie sind elementarer Bestandteil einer offenen Gesellschaft. Aber es wäre eine Gefahr, wenn diese seltsame Koalition aus Linken und Rechten es schaffen würde, die Entwicklung zu weit zurückzudrehen - eine Sorge, die selbst Kirchenleute umtreibt: "Freiheit wird fälschlicherweise als etwas Gefährliches angesehen", sagt zum Beispiel der Münchner Kardinal Reinhard Marx.

Der Schritt zur verantwortungsvollen Freiheit

Freiheit ist für ihn eines der Fundamente unserer Gesellschaft, und auch Marx sieht diese Freiheit derzeit bedroht: einerseits von Populisten diesseits und jenseits des Atlantiks, von Politikern, die Flüchtlinge in erster Linie abweisen wollen, statt ihnen zu helfen; andererseits von jenen, die immer noch auf die "beschleunigte Globalisierung" setzen, wie Marx es nennt. Er plädiert deshalb dafür, die richtige Balance zu finden, im Sinne einer "verantwortungsvollen Freiheit".

Zu solch einer "verantwortungsvollen Freiheit" gehört es, all jenen zu helfen, die Mühe haben, am Markt zu partizipieren: den Arbeitslosen und sozial Benachteiligten in Europa; aber auch den Menschen in den Fluchtländern, damit sie dort eine Zukunft haben (hier hat Europa fürchterlich versagt). Zu solch einer "verantwortungsvollen Freiheit" gehört es aber auch, dem Markt bestimmte Grenzen zu setzen und dafür zu sorgen, dass Unternehmer (und vor allem Banker), die gewaltige Risiken eingehen, am Ende selber haften.

Aber klar ist auch: Die Marktwirtschaft ist und bleibt die bestmögliche aller denkbaren Alternativen, ohne sie wäre eine offene, demokratische und auch soziale Gesellschaft undenkbar. Oder wie es Karl Popper formuliert hat: "Wir müssen für die Freiheit planen und nicht für die Sicherheit, wenn auch vielleicht aus keinem anderen Grund als dem, dass nur die Freiheit die Sicherheit sichern kann."

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