Finanzpsychologie:Die Finanzmärkte zittern schon

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Hochspannung an der New Yorker Börse. Werden die Informationen unübersichtlich, bestimmt oft die Psychologie die Kurse. (Foto: Brendan McDermid/Reuters)
  • Die Nervosität an den Finanzmärkten ist gerade so groß wie lange nicht mehr. Das sehen auch einflussreiche Fondsmanager so.
  • Der Brexit, die Konjunktur in China, ein möglicher Präsident Trump: Die Zahl der Risiken ist für die Märkte derzeit groß - und an diesen droht Ansteckungsgefahr.

Von Jan Willmroth

Zwischen Mut und Panik liegt momentan nicht viel, Dan Ivascyn weiß das sehr gut. Er betritt die Dachterrasse eines Münchner Hotels, graues Haar, weiße Stühle, dunkelblauer Anzug, wohl dosierte Mimik. Seit September 2014 ist Ivascyn Investmentchef der Fondsgesellschaft Pimco und damit einer der einflussreichsten Geldverwalter des Planeten. Sein Vorgänger Bill Gross war ein Lautsprecher und Provokateur, Ivascyn ist so ziemlich das Gegenteil davon, er äußert sich selten öffentlich und konzentriert sich aufs Geschäft. Besonnen wie immer spricht er bei seinem Kurztrip nach München über die gestiegene Unsicherheit weltweit. Oder, wie er es bezeichnet: die Fragilität.

"Die weltweite Verschuldungsquote ist auf einem Allzeithoch, und die Wachstumsraten bleiben niedrig", sagt er. "Das ist eine gefährliche Situation. Sie sorgt für Fragilität in den Märkten." So klingt Investmentprofi-Sprache. Ivascyn nennt damit nur zwei Merkmale für eine Gesamtlage, die teilweise kaum noch zu überblicken ist. Die Nervosität an den Finanzmärkten ist hoch, und sie kann sich jederzeit entladen.

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Die chinesische Konjunktur bleibt ein unkalkulierbares Risiko

Womöglich bestimmt diese Verunsicherung der Anleger das Geschehen am Markt wie seit dem bisherigen Höhepunkt der Euro-Krise im Jahr 2012 nicht mehr. Das ist bald vier Jahre her. Das Wirtschaftswachstum in Europa kommt noch immer kaum in Gang. Die chinesische Konjunktur und die Schuldenblase bleiben nahezu unkalkulierbare Risiken. Die Unternehmensgewinne steigen im Schnitt viel weniger als erhofft. Die Zentralbanken in den entwickelten Volkswirtschaften kämpfen seit Jahren und zunehmend verzweifelt gegen zu tief sinkende Inflationsraten; die Zinsen dürften auf absehbare Zeit historisch niedrig nahe null bleiben. Strenge Regulierungen zwingen Banken dazu, sich gesundzuschrumpfen. In Großbritannien steht die Brexit-Abstimmung über den Austritt aus der Europäischen Union bevor. In den USA könnte ein unberechenbarer Milliardär der nächste Präsident werden.

Für Investoren vermischt sich das zu einer undurchschaubaren Lage. Es ist eine Situation, in der es viel zu lernen gibt über die Psychologie der Finanzmärkte, ein Umfeld, in dem selbst erfahrene Spezialisten zurückhaltend und demütig werden.

"Anleger legen Nachrichten an einem Tag positiv und am nächsten Tag mitunter negativ aus", sagt Martin Lück, Leiter der Kapitalmarktstrategie für Deutschland, Österreich und Osteuropa beim weltweit größten Vermögensverwalter Blackrock. "Das zeigt, wie schwer es ihnen fällt, die Fülle von Markttreibern und Risiken aus Wirtschaft und Politik zu sortieren."

Insgesamt habe er den Eindruck, als sei der Markt momentan vor allem von der Psychologie getrieben. Das passiert immer dann, wenn die Fülle an Informationen so groß wird, dass die Masse der Marktteilnehmer sie nicht mehr angemessen verarbeiten kann. Die Folge sind Übertreibungen, etwa heftige Preisausschläge nach oben und unten binnen kurzer Zeit.

Wie stark solche Ausschläge ausfallen, zeigt die Volatilität, sie ist wie eine Messgröße der Unsicherheit. Ablesen kann man sie an den Volatilitätsindizes bestimmter Märkte. Sie bilden ab, wie heftig sich die Kurse bewegen. Für den deutschen Leitindex etwa gibt es den VDax, der seit Jahren immer wieder innerhalb von kurzer Zeit stark steigt oder fällt. Kaum ist Ruhe eingekehrt, schlagen die Kurse schon wieder deutlich aus.

Zu Jahresbeginn war das eindrücklich zu beobachten, als der Dax in wenigen Wochen bis zu 20 Prozent verlor und sich schon Krisenangst breitmachte. "Das Volatilitätsniveau unterliegt sehr starken Schwankungen, und das Gleiche gilt für die Ängste und Panikverkäufe der Anleger", sagt Colin Moore, globaler Investmentchef bei der britischen Fondsgesellschaft Columbia Threadneedle. "Ängste und Panikverkäufe nehmen zu, wenn auch die Volatilität steigt, und sie schwinden, wenn die Volatilität fällt."

Während erfahrene Spezialisten wie Dan Ivascyn gern davon sprechen, dass das aktuelle Umfeld immer wieder Chancen biete, tun sich private Anleger mit schwankenden Kursen eher schwer. In der Literatur zur Verhaltenspsychologie ist etwa die Verlustaversion gut dokumentiert. Sie besagt, dass sich Menschen mehr über Verluste ärgern, als sie sich über Gewinne freuen. Verluste werden in den gleichen Hirnregionen verarbeitet wie Schmerzen oder Angstzustände. Der Psychologe Daniel Kahnemann beschreibt das Konzept der Verlustaversion als "zweifellos wichtigsten Beitrag der Psychologie zur Verhaltensökonomik". Durch die Negativverzerrung wird die Verlustaversion noch einmal verstärkt: Unangenehme Erinnerungen - zum Beispiel an einen Verlust - halten sich tendenziell hartnäckiger als angenehme.

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Mit atemberaubenden Renditen sollte derzeit niemand rechnen

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Wenn Investoren beobachten, dass viele andere Marktteilnehmer ihre Wertpapiere verkaufen und die Kurse fallen, machen sie mit und verkaufen auch. Wie das abläuft, war zuletzt Anfang des Jahres zu beobachten, als an den Weltbörsen die Preise einbrachen. Solche Verwerfungen, glaubt Colin Moore, werden künftig über etliche Jahre hinweg häufiger auftreten. "Anleger müssen lernen, damit umzugehen", sagt er.

Das findet auch Pimco-Investmentchef Dan Ivascyn. Eine andere Wahl dürften Sparer und Anleger sowieso nicht haben. "Wenn Sie als Investor geduldig bleiben", sagt er, "wenn Sie liquide und flexibel bleiben, dann können Sie auf diese sprunghafte Furcht am Markt reagieren." Private Investoren tun also gut daran, kurzfristig Bargeld zur Verfügung zu haben - um dann reagieren zu können, wenn alle anderen ihrer Nervosität erliegen. Mit atemberaubenden Renditen sollte aber auch dann niemand mehr rechnen.

© SZ vom 17.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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