Debatte über steigende Preise:Bundesbank-Chef bestreitet Aufweichung der Inflationsziele

Etwas höhere Inflation könnte den verschuldeten Krisenstaaten helfen. Die Bundesbank galt bislang als harter Gegner einer solchen Politik. Nun akzeptiert sie, dass die Preise in Deutschland etwas stärker steigen. Großbritannien sieht darin sogleich eine politische Wende. Bundesbank-Chef Weidmann weist das in der SZ vehement zurück.

Harald Freiberger, Hans-Jürgen Jakobs und Markus Zydra

Über ganz viel wurde in den vergangenen Wochen geredet und gestritten: über das Sparen, über Banken, Jobs und natürlich über Wachstum. Über eines wurde kaum gesprochen - Inflation.

Jahrespressekonferenz Bundesbank - Jens Weidmann

Weidmann bei der Jahrespressekonferenz der Bundesbank.

(Foto: dpa)

Das ist nun anders. Am Mittwoch trat der Volkswirt der Deutschen Bundesbank bei einer Bundestagsanhörung in Berlin auf, und die schriftliche Stellungnahme (PDF-Datei) wirbelte bei Angelsachsen viel Staub auf. Wenn die angelaufenen Reformen in Europas Krisenstaaten zu mehr Wettbewerbsfähigkeit, also zu niedrigeren Preisen, führten, dann dürfte Deutschland "in diesem Szenario künftig in der Währungsunion eher überdurchschnittliche Inflationsraten aufweisen", heißt es im Statement der deutschen Geldhüter.

Geldentwertung beim deutschen Musterknaben? Eine Wende ins Laxe? Und dazu neue Stärken in Griechenland, Portugal oder wie die Erholungskandidaten heißen? Da gab es prompt einen Big Bang der Freude bei der Financial Times: "Ein Riss taucht auf in der Rüstung der Bundesbank." Und die Financial Times Deutschland kombinierte scharf: "Bundesbank duldet höhere Inflation."

Die Reaktion ist Teil der Generaldebatte, wie viel die ökonomisch überaus starken Deutschen jetzt opfern müssen, damit die Euro-Zone insgesamt mit ihren schwachen Südstaaten wieder auf die Beine kommt - und was die Europäische Zentralbank (EZB) tun muss. Doch die Reaktion der Bundesbank auf die Freude der Angelsachsen über mehr deutsche Inflation zeigt: Da ist viel Wunschdenken dabei.

Es handele sich um eine "absurde Diskussion", erklärt Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, 44, der Süddeutschen Zeitung, die Haltung seiner Institution habe sich nicht verändert: "Als Teil des Euro-Systems ist es unser Mandat, die durchschnittliche Inflationsrate im Euro-Raum bei knapp zwei Prozent zu halten. Das kann im Einzelfall aber auch bedeuten, dass die Inflation in Deutschland zeitweise über dem Durchschnitt und gleichzeitig in anderen Euro-Ländern unter dem Durchschnitt liegt."

In Weidmanns Umfeld heißt es, allenfalls eine Teuerungsrate von 2,4 Prozent in Deutschland sei damit gemeint. "Wenn wir im EZB-Rat", so Weidmann, "darauf achten, dass die durchschnittliche Inflation nicht über zwei Prozent ansteigt, dann läuft die Inflation auch in Deutschland nicht aus dem Ruder. Die Bürger können sich auf die Wachsamkeit der Bundesbank verlassen."

Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank, lobt die Signale aus Deutschland. "Wenn wir Europa gemeinsam verbessern wollen, muss jeder seinen Beitrag leisten." Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sagte, "vielleicht müssen wir im Lohnbereich etwas flexibler sein", und die Bundesbank erklärte, "vielleicht ist auch die Inflationsvorgabe nicht ganz so eng auszulegen". Wenn man Anpassung nur von den Problemländern erwarte, berge dies die Gefahr "nicht mehr mehrheitsfähiger Regierungen und auch von Sicherheitsproblemen".

Ackermann sprach bei "Forum Manager", einer Veranstaltung von SZ und dem TV-Sender Phoenix, vor Studenten der Frankfurt School of Finance and Management. Er zeigte sich besorgt über die europäische Schuldenkrise: "Ich bin erstmals seit längerer Zeit beunruhigt."

Deutsche Phobie vor Geldentwertung?

In Deutschland liegt die Inflationsrate bei zwei Prozent - deutlich weniger als die 2,6 Prozent für die Euro-Zone. Für Kritiker aus den USA und England drückt sich hierin eine Phobie der Deutschen vor Geldentwertung aus, die sich aus dem kollektiven Erlebnis zweier Hyper-Inflationen (1923 und 1948) speise - also aus etwas angeblich Pathologischem. Die Bundesbank wird dabei als "Falke" kritisiert, als schwierige Institution, die aus Sorge ums Geld Enthaltsamkeit predige und die Konjunktur abwürge. US-Ökonomen wie Paul Krugman empfehlen sogar vier bis fünf Prozent Inflation - das würde die Konjunktur anheizen und die Schulden entwerten.

Solchen Perspektiven will Bundesbank-Chef Weidmann auf keinen Fall folgen. "Es kann nicht um Inflationsraten von vier Prozent in Deutschland gehen. Eine solche Entwicklung sehe ich nicht, und sie wäre auch nicht mit der Preisstabilität im Euro-Raum vereinbar." Die deutsche Wirtschaft sei durch Reformen in den vergangenen Jahren wettbewerbsfähiger geworden, heißt es im Umkreis der Bundesbank, dieser Vorteil dürfe nicht durch zu hohe Preise zunichtegemacht werden. Weidmann wird genau beobachten müssen, welcher Spielraum für Lohnerhöhungen genutzt wird. Jahrelang hat der Ökonom Kanzlerin Angela Merkel beraten, er weiß um die Finessen im Geschäft.

Finanzminister Schäuble findet, "wir sind bei der Inflation in einem Bereich, der hinnehmbar ist". Und: "Die Bundesbank würde sich mit Empörung wehren gegen die Interpretation, sie wolle mehr Inflation zulassen." Irgendwie aber kommt es den Strategen der Bundesbank wohl nicht ganz ungelegen, international einmal nicht als "Scharfmacher" zu erscheinen, sondern sozusagen als Haus von Flexibilitätsökonomen. Geldpolitiker Weidmann kann ohnehin via Zinsen in Deutschland nichts erreichen, denn die Zinssätze werden von der EZB einheitlich für alle Euro-Länder festgelegt.

Ihm bleibt nur, die Kreditvergabe der deutschen Banken zu lenken - über Normen, wie viel Eigenkapital vorzuhalten ist. Vor Illusionen im Kampf gegen die Krise hat Weidmann erst jüngst gewarnt: "Entgegen der weitverbreiteten Überzeugung ist die Geldpolitik kein Allheilmittel und die 'Feuerkraft' der Zentralbanken nicht unbegrenzt, vor allem nicht in einer Währungsunion." So schrieb er am Mittwoch, ausgerechnet in der Financial Times - und das am Tag, an dem sein Volkswirt in Berlin auftrat.

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