Bertelsmann-Studie zu Arbeitsmigration:Gekommen, um wieder zu gehen

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Mit dem Bus in eine bessere Zukunft (Aufnahme aus Sofia, Bulgarien): Immer mehr Arbeitnehmern aus EU-Krisenländern erscheint Deutschland als gelobtes Land.  (Foto: AFP)

Deutschland zieht immer mehr qualifizierte Arbeitnehmer aus dem Ausland an. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie - und klingt erst mal positiv. Doch über das Bildungsniveau der Migranten insgesamt sagen die vorgestellten Zahlen nichts aus. Und auch den Fachkräftemangel können die Zuwanderer auf Zeit langfristig nicht ausgleichen.

Von Melanie Staudinger, Berlin

Sie sind jung, wollen hier arbeiten und besitzen im Schnitt sogar eine bessere Ausbildung als die Deutschen: Längst entsprechen Menschen, die neu in die Bundesrepublik einwandern, nicht mehr dem Klischee von Wohlstandsflüchtlingen, die sich nur an den sozialen Sicherungssystemen bereichern wollen. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie.

"Die Struktur der Einwanderung nach Deutschland hat sich radikal verändert", sagt Wirtschaftswissenschaftler Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg. Er hat im Auftrag der wirtschaftsnahen Bertelsmann-Stiftung die Auswirkungen von Migration auf Arbeitsmarkt und Sozialstaat untersucht.

Auf den ersten Blick ist Deutschland so beliebt wie schon lange nicht mehr. Im vergangenen Jahr zogen fast 390.000 Menschen mehr in die Bundesrepublik, als sie verließen. Vor fünf Jahren waren es lediglich 11.000 mehr Zuzügler als Auswanderer. Nur nach dem Fall der Berliner Mauer und während der Balkan-Kriege suchten noch mehr Leute eine bessere Zukunft in Deutschland als jetzt.

Doppelt so viele qualifizierte Zuzügler wie 2000

43 Prozent der Zuzügler zwischen 15 und 65 Jahren brachten demnach im Jahr 2009 einen Hochschul-, Meister- oder Technikerabschluss mit. Dieser Wert ist nicht nur fast doppelt so hoch wie im Jahr 2000 (23 Prozent). Er liegt auch wesentlich höher als bei der einheimischen Bevölkerung (25,3 Prozent). Zugleich stieg der Anteil der Studenten unter den Neu-Migranten von 14 Prozent im Jahr 2000 auf 21,7 Prozent in 2009.

Doch trotz des Wandels, der sich in den vergangenen zehn Jahren bei der Arbeitsmigration vollzogen hat, gebe es in der Öffentlichkeit noch immer die Vorstellung, Zuwanderer stammten überwiegend aus gering qualifizierten Bevölkerungsgruppen, sagt Brücker.

Tatsächlich konzentriert die Studie den Blick auf solche Migranten, die in jüngerer Vergangenheit in die Bundesrepublik eingewandert sind. Das Bildungsgefälle zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund ist in Deutschland aber nach wie vor hoch, da Neuzuwanderer nur einen kleinen Teil der Migranten insgesamt ausmachen. Auch hierzu nennt Brücker Zahlen: Demnach ist die Quote der Migranten, die keinen Schulabschluss haben, vier Mal höher als bei Deutschen.

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Brücker führt das hohe Qualifikationsniveau der Neueinwanderer auf eine Verschiebung der Herkunftsländer zurück. Heute sind es die EU-Osterweiterung und die Wirtschaftskrise in Südeuropa, die junge Menschen in die Bundesrepublik treiben - zumeist Staaten, in denen der Bildungsstandard vergleichsweise hoch ist. "Der Anstieg der Einwanderung seit 2007 ist zu 71 Prozent auf die Verschlechterung der ökonomischen Bedingungen in anderen Ländern der EU zurückzuführen, nicht weil es in Deutschland so brillant läuft", sagt Brücker.

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Sein Fazit: Die Politik hat den Trend kaum beeinflusst. Das aber müsste sie tun, um die dringend benötigten ausländischen Fachkräfte dauerhaft ins Land zu locken. Denn die Wirtschaftsflüchtlinge, die ihr Auskommen aktuell im Ausland sichen, werden wieder in ihre Heimat zurückkehren, sobald sich die Situation dort entspannt.

Arbeitnehmer aus Nicht-EU-Ländern locken

Deutschland brauche daher mehr qualifizierte Zuzügler vor allem aus Ländern außerhalb der EU, sagt Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung. Doch für diese Bürger sei die momentane Migrationspolitik unattraktiv. Trotz einer gewissen Öffnung halte sie noch immer an der Logik des Aufnahmestopps aus den 1970er Jahren fest. "Wir schaffen eine rechtliche Ausnahme nach der anderen, anstatt Einwanderung als erwünscht und normal zu betrachten", sagt er.

Die gesteuerte Arbeitsmigration von Drittstaatlern spiele kaum eine Rolle - mit der Folge, dass nur ein Bruchteil aller Einwanderer Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten seien und viele von ihnen nach spätestens drei Jahren wieder verschwänden. Vier von zehn Drittstaatlern, die 2009 einreisten, haben das Land bereits wieder verlassen.

"Schwarz-Rot-Gold"-Karte

Das Bertelsmann-Konzept will das ändern. Um mehr Fachkräfte ins Land zu locken, empfiehlt die Stiftung ein Paket aus neuen Einwanderungsregeln, reformiertem Staatsbürgerrecht und einer besseren Willkommens- und Anerkennungskultur. Der Vorschlag der Stiftung sieht für Hochqualifizierte und Fachkräfte in Mangelberufen eine "Schwarz-Rot-Gold"-Karte vor. Diese würde nach einem Punktesystem vergeben und eine unbeschränkte Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis enthalten. Bildungszuwanderer und temporäre Fachkräfte hingegen würden eine befristete Arbeitserlaubnis bekommen, die sich verlängern lasse.

Brückers Berechnungen zufolge würde der Sozialstaat von der zusätzlichen Migration profitieren. Schon jetzt nimmt er im Schnitt 2000 Euro pro Person mit Migrationshintergrund und damit jährlich insgesamt 14 Milliarden Euro ein. Steigt das Bildungsniveau weiter, könnte die Sozialversicherung gar mit bis zu 42 Milliarden Mehreinnahmen rechnen. Vor allem die umlagefinanzierten Renten-, Kranken- und Pflegeversicherungen haben einen Vorteil davon, dass Migranten im Schnitt jünger sind.

Alternativen zur Einwanderung sieht der Experte nicht: Wenn keiner mehr kommt, schrumpft das Potenzial an Arbeitskräften hierzulande von 45 Millionen auf 27 Millionen in 2050.

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