Make-up für Männer:Darum tragen diese Männer jetzt Make-up

Lesezeit: 4 min

Die zwei Gesichter des Patrick Simondac: geschminkt und ungeschminkt. (Foto: Instagram Patrick Starrr)

Männer, die sich schminken, sind die neuen Stars auf Youtube und Instagram. Die "Beauty Boys" pflegen damit eine neue, subtile Art des Protests.

Von Hanna Sellheim

Dicke schwarze Haare, akkurat nachgezogene rote Lippen und ein perfekt geschwungener Lidstrich: Diese Fotos lassen viele Frauen vor Neid erblassen. In diesem Fall stammen sie allerdings von einem Mann. Seit 2013 betreibt der 27-jährige US-Amerikaner Patrick Simondac einen Youtube-Kanal unter dem Namen PatrickStarrr, auf dem er in Video-Tutorials Schmink-Tipps gibt.

Simondac war einer der ersten "Beauty Boys", eine Bewegung junger Männer, die in sozialen Medien anderen erklären, wie man sich auch als Mann schminken kann. Innerhalb kurzer Zeit wurden die Beauty Boys mit ihren Videos ebenso erfolgreich wie ihre weiblichen Konkurrentinnen Christen Dominique oder Dagi Bee. Alle von ihnen haben inzwischen weit mehr als eine Million Follower auf Instagram, die meisten ihrer Youtube-Videos um die 700 000 Aufrufe. So wurde auch die Make-up-Industrie auf die männlichen Make-up-Experten aufmerksam.

Beauty-Blogger Patrick Starrr hofft, dass Make-up bei Männern bald Alltag wird. (Foto: https://www.instagram.com/p/BNGNa1shr2f/?taken-by=patrickstarrr)

"Der Anteil der pflegebewussten Männer steigt"

Simondac ist nun regelmäßiger Gast auf Modenschauen und posiert bei der New York Fashion Week mit Stars wie Kendall Jenner oder Blake Lively. Sein guter Freund Manny Gutierrez - auf Youtube und Instagram als MannyMua zu finden - ist kürzlich zum offiziellen Markenbotschafter des Kosmetikherstellers Maybelline ernannt worden. Der siebzehnjährige James Charles ist der erste Coverboy der amerikanischen Kosmetik-Marke Covergirl und damit Nachfolger von Berühmtheiten wie Katy Perry und Taylor Swift. Charles erregte erstmals große mediale Aufmerksamkeit, als er auf Twitter verkündete, er habe für die Aufnahme seines Jahrbuch-Fotos seine eigenen Scheinwerfer mit in die Schule genommen - damit sein Highlighter besser zur Geltung komme.

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Die Beauty Boys ermutigen Frauen wie Männer, ihren Anleitungen zu folgen. Auf Männer, für die Make-up immer noch ein unbekanntes Gebiet ist, dürften die ausgefallenen Looks eher abschreckend wirken. Dabei ist Make-up für Männer längst kein Tabubruch mehr. "In den vergangenen Jahren ist in Europa der Anteil der pflegebewussten Männer deutlich gestiegen", sagt der Münchner Visagist Horst Kirchberger. Er habe mit vielen Männern zu tun, für die es inzwischen Alltag sei, Concealer oder getönte Tagescreme zu verwenden.

"An sich ist diese Bewegung aber nicht neu", sagt Kirchberger. "Im alten Ägypten schminkten sich zum Beispiel schon die Pharaonen." Auch außerhalb des westlichen Kulturkreises benutzen zahlreiche Völker wie Massai oder Maori bis heute Schminke als Ausdruck der Zugehörigkeit. In den vergangenen Jahren machten in Amerika und Europa Prominente wie Jared Leto oder Zac Efron Kajal und Concealer als kleine Hilfsmittel für Männer salonreif, Rockstars wie David Bowie und Kiss etablierten das geschminkte Gesicht als Gesamtkunstwerk.

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So versucht auch die Make-up-Industrie schon länger, auf den Zug aufzuspringen, fast alle großen Kosmetikfirmen bieten inzwischen auch Produkte für Männer an. 2014 verzeichnete L'Oreal einen Profitzuwachs von zehn Prozent beim Verkauf von Männerkosmetik, im Jahr 2015 entfiel etwa ein Viertel aller Einnahmen der großen Marken auf Herrenprodukte. Während also Cremes und Haarpflege bei vielen Männern offenbar schon selbstverständlich sind, tun sie sich mit Schminke immer noch schwer.

Männer mit Make-up, keine Drag Queens

Wegbereiter der Beauty-Boys-Bewegung war sicher auch das schrille Make-up der Drag Queens. Dennoch distanzieren sich die Video-Blogger davon, selbst Drag Queens zu sein. Sie betonen immer wieder, dass sie mit dem Make-up nicht etwa in die Rolle von Frauen schlüpfen wollen, sondern sich voll und ganz mit ihrem männlichen Geschlecht identifizieren. Sie setzen sich dafür ein, Make-up von seiner Geschlechtszuschreibung loszulösen, damit Männer es genauso vielseitig benutzen können wie Frauen.

Der Brite Jake-Jamie Ward, der auf seinem Kanal vor allem natürliches Männer-Make-up demonstriert und inzwischen Werbegesicht für L'Oreal ist, startete kürzlich eine Kampagne unter dem Hashtag #makeupisgenderless. Männer überall auf der Welt schlossen sich an und posteten Bilder von sich - von dezent bis wild geschminkt. Auch Gutierrez, dessen Make-up häufig exzentrischer ausfällt, schminkt getrost um seine Bartstoppeln herum, ohne sich ihrer zu schämen. Charles malt sich ab und zu sogar welche auf. Fast alle bekennen sich zwar offen dazu, homosexuell zu sein, was viele ihrer weiblichen Fans jedoch nicht davon abhält, ihnen per Kommentar unter den Videos Heiratsanträge zu machen.

Immer wieder erleben die Beauty Boys aber auch Anfeindungen, die die jungen Männer jedoch mit bewundernswerter Lässigkeit abschmettern. Als der konservative US-Blogger Matt Walsh im Januar ein Foto von Gutierrez twitterte, versehen mit den Worten "Väter, das ist der Grund, weshalb ihr da sein müsst, um eure Söhne großzuziehen", antwortete dieser nur trocken, dass sein Vater tatsächlich für ihn arbeite und sehr stolz auf ihn sei.

In Deutschland ist die Bewegung bisher noch nicht angekommen. Wer hier von Make-up für Männer hört, denkt meistens an Harald Glööckler und protzigen Gold-Lidschatten. "Die USA sind Deutschland in diesem Trend wie immer weit voraus", sagt Kirchberger. Einzig der deutsche Youtuber Sami Slimani zeigt anderen Männern schon seit Jahren, dass sie sich trauen können, Kosmetik zu benutzen. Von glitzrigen Eyeliner-Kunstwerken à la Simondac und Gutierrez ist Slimani allerdings weit entfernt, er empfiehlt lediglich Pflegeprodukte und erklärt hin und wieder, wie man als Mann mit Foundation und Concealer umgeht. Eine extremere Richtung schlägt in Österreich Tom Neuwirth alias Conchita Wurst ein, der 2014 mit glitzerndem Kleid, perfektem Make-up und Vollbart beim Eurovision Song Contest siegte. Doch trotz der Gesichstbehaarung ist Conchita Wurst mit ihrer Performance mehr Drag Queen als geschminkter Mann.

Mit Mascara zu mehr Diversität

Die Beauty Boys profitieren von jener Berühmtheit, die die sozialen Medien möglich machen. Noch nie war es dank Instagram und Snapchat so einfach, mithilfe einer Handykamera zu Ruhm zu kommen. Aber genau das macht den Charme der Beauty Boys aus: Sie könnten Brüder, Cousins, Freunde sein, so unbeholfen wirken sie in ihren Videos manchmal, so überrascht davon, statt Außenseitern auf einmal Prominente zu sein. Zahlreiche junge Mädchen bewundern sie - auch, weil es so leicht fällt, sich mit ihnen zu identifizieren.

Man kommt wohl nicht umhin, die Bewegung der Schmink-Jungs auch als Ergebnis der politischen Weltlage zu verstehen. In einer Welt, in der Donald Trump Frauen dazu auffordert, sich auch wie solche zu kleiden, wirken Männer mit Make-up herrlich subversiv.

Mit ihrem oszillierenden Verständnis von Geschlecht und ihrer "Es gibt nichts, was ein bisschen Glitzer nicht retten kann"-Haltung können die Beauty Boys Wegweiser sein für eine ganz neue, subtile Art des Protests. Denn wer vermag schon zu sagen, ob die minutiös ausgeführten Schattierungen auf ihren Gesichtern noch alltägliche Schönheitspflege sind oder schon Performance-Kunst?

Das Spiel der Beauty Boys mit Konventionen ist vielleicht sogar noch eine Spur gewiefter als das der Drag Queens. Reaktionen wie der Tweet von Komiker Walsh zeigen, dass Männer, die eindeutig Männer sein wollen, sich aber trotzdem ausgefallen schminken, eine gewisse Beunruhigung auslösen und das starre Weltbild des Populismus hinterfragen. Mädchen, die zuvor dünne Models anhimmelten, werden gerade zu Fans von jungen Männern, die fröhlich alle Stereotype über Bord werfen - auch das könnte ein Schritt sein, in Richtung einer aufgeschlosseneren, diversen Gesellschaft.

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