WM 2010: Südafrika:Der Onkel schickt Heuschrecken

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Die WM war Sepp Blatters Geschenk an Südafrika - heute begreift das Land, welchen Preis es dafür bezahlt. Der Fifa-Boss träumt dagegen von einem ganz anderen Preis.

Thomas Kistner

Am Anfang war Afrika.

Am Ziel aller Träume und am Anfang aller Probleme: Nelson Mandela im Jahr 2004 bei Südafrikas Kür zum WM-Gastgeber. (Foto: ag.rtr)

1998, eine Juninacht in Paris. Pralle Geldkuverts kursieren im Hotel der afrikanischen Fifa-Delegierten, sie finden 18 Abnehmer. Stunden darauf ist Wahltag im Fußballweltverband, der Brasilianer João Havelange soll den Thron nach 24 Jahren seinem Generalsekretär übergeben, Sepp Blatter. Nichts darf schiefgehen: Blatters Herausforderer, Europas Verbandschef Lennart Johansson, hat offen die Korruption in der Fifa beklagt und angekündigt, alle Geschäfte und Geschäftspartner in der Züricher Zentrale zu durchleuchten.

Wie fatal es gewesen wäre, hätte der Schwede die Fifa-Bücher geöffnet, wird erst zehn Jahre später auffliegen: Da hält das Strafgericht im Schweizer Zug fest, dass Sportfunktionäre allein in den neunziger Jahren von der (bankrott gegangenen) Hausagentur ISL 138 Millionen Franken Schmiergeld kassiert haben - darunter hohe Fifa-Leute. Es ist also viel zu tun 1998 bei jenem Stabwechsel. Und so erhält Afrika, das bei der Präsidentenkür über 50 Wählerstimmen verfügt, neben der wundersamen Geldbescherung, für die angeblich der Fifa-Vorständler Mohamed Bin-Hammam aus Katar Sorge trägt, etwas Gewaltiges versprochen: die WM 2006 in Afrika!

Zwei Jahre später, bei der WM-Vergabe in Zürich, schlugen jedoch die gedemütigten Europäer zurück. Erstmals bei einer Wahl hielt ihr Block aus acht (von 24) Fifa-Vorständlern zusammen, dazu kamen alle vier Asiaten. Den Rest besorgte Deutschland: Zufälligerweise platzierten in den Tagen vor der Wahl deutsche Konzerne in drei der asiatischen Wählerländer milliardenschwere Investments, das vierte, Saudi-Arabien, erhielt eine Waffenlieferung. Auch entdeckte eine Firma des damaligen Kirch-Imperiums ihr Faible für wertlose TV-Rechte an eilig eingefädelten Freundschaftskicks des FC Bayern in den Heimatländern asiatischer Wahlmänner - und zahlte Fantasiepreise.

Deutschland torpediert Blatters Dankeschön

Europa und Asien also, aber Blatter blieb guter Dinge. Es würde 12:12 ausgehen, bei Gleichstand würde sein Präsidentenvotum doppelt gewertet - und Südafrika die WM 2006 sichern. Doch die Abstimmung endete 12:11 - denn plötzlich war Charlie Dempsey weg. Der Vertreter Ozeaniens hätte Südafrika wählen sollen, war aber überfallartig abgereist. So torpedierte Deutschland Blatters Dankeschön an Südafrika. Die Afrikaner schäumten, drohten sogar mit Klage.

Bei der nächsten Wahl wackelte Blatters Thron, Herausforderer war Afrikas Kontinentalchef Issa Hayatou. Nun ging der Präsident auf Nummer sicher, er verfügte: Die WM 2010 geht definitiv nach Afrika. Bei der Kür 2004 musste Südafrika nur Marokko und Ägypten bezwingen. Da aber die vier Afrikaner im Fifa-Vorstand alle zu arabischen Kandidaten tendierten, musste erneut Nelson Mandela ran; wobei ihm die größte Skandalnudel der Fifa übel zusetzte, Blatters Stimmenlieferant Jack Warner aus Trinidad und Tobago. Der Boss des Nord- und Zentralamerikaverbands Concacaf forderte Mandela auf, bei ihm in Trinidad aufzukreuzen, sonst könne er 2010 vergessen.

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"Bedauerlich, dass Mandela mit so etwas belästigt wurde", sagte Trinidads Premier Patrick Manning; Südafrikas Nobelpreisträger musste Warners Wahlkampagne im Inselstaat schmücken. Auch Blatter jettete herbei, um die Bühne mit Mandela zu teilen. "Das ist meine letzte Auswärtsreise, ich bin als Bittsteller hier", sagte Mandela, dann ging er ins Hotel. Später redete er sieben Minuten bei einem Privatessen Warners, der dafür jedem Teilnehmer 200 Dollar abknöpfte.

Die Hände am Pokal: Fifa-Präsident Sepp Blatter (links) und Südafrikas Präsident Jacob Zuma. Eine Studie behauptet, dem Gastgeberland würde von der Fifa ein "überproportionaler Kostenanteil aufgebürdet". (Foto: dpa)

Südafrika holte die WM mit 14:10 gegen Marokko. Blatter saß fest im Sattel.

Doch Südafrika wird auch bei der nächsten Wahl im Mai 2011 über Blatters Geschicke entscheiden, und diesmal könnte das nicht zu seinen Gunsten sein. Als Erfolgsstory lässt sich das Turnier 2010 nicht an, Blatters Widersacher stehen mit dem Dolch bereit. An der Spitze der langjährige Königsmacher mit dem Geldkoffer: Bin-Hammam, Asiens Verbandschef. Er ist jetzt mit Fifa-Vorständler Chung Mong-Joon aus Südkorea im Bunde, einem Spross der Hyundai-Dynastie. 2011 wollen sie Blatter stürzen, sie würden dafür gar den Franzosen Michel Platini, Chef des europäischen Fußballverbandes Uefa, aufs Schild heben - der gilt als weltweit wählbar.

Aber auch Blatter und sein Gefolge befürchten Imagedellen für ihr wertvollstes Gut: die WM. Wie Heuschrecken fielen die Fifa-Marketender über Südafrika her; die Exklusiv-Agentur Match hat mit ihrer Hochpreispolitik bis kurz vor dem Anpfiff die Binnenwirtschaft gegängelt: Fluglinien, Reiseagenturen, Hotels - alle waren dem Diktat von Match unterworfen. Der Fifa-Boss selbst hat es deshalb in Rekordzeit vom Lieblingsonkel zu einem der meistgeschmähten Weißen im Lande geschafft. Die Menschen merken, dass ihr Alltag bis ins Detail reglementiert wird: vom Verbot für Tausende Straßenhändler, ihrem Broterwerb in den WM-Zonen nachzugehen, bis zum Verbot, Haustiere in Brunnen zu baden.

Viele Südafrikaner wurden enttäuscht

Viele hatten den Fensterreden von Blatter und seinen Funktionären geglaubt und gehofft, diese WM-Vergabe basiere wirklich auf entwicklungspolitischen Überlegungen - und würde für ihr Leben eine Wende bringen. Sie wurden enttäuscht. Südafrikas Steuerzahler kostet der Spaß fünf Milliarden Dollar, statt der halben Million Fans kommt nur ein Drittel. Große Bevölkerungsteile werden nichts von der WM haben, heißt es in einem Report des südafrikanischen Instituts für Sicherheitsstudien. Die meisten Stadien, hochgelobt ob ihrer Architektur, verwandeln sich nach der WM in Denkmäler. Wie schon die Sportstätten in Japan und Südkorea nach der WM 2002 oder in Peking nach Olympia 2008.

Zuweilen soll Blatter selbst mitgedreht haben: 2005 äußerte er in Kapstadt den Wunsch, die Spiele dort nicht, wie vorgesehen, im brandneuen Athlone-Stadion auszutragen, sondern an einem freien Flecken: Green Point. Sein Wille sei Staatschef Thabo Mbeki Befehl gewesen, heißt es in den Gerichtsakten zu den folgenden Umweltprozessen. Um politische Widerstände einzudämmen, wurde bald kolportiert, die Stadt werde sonst nur fünf WM-Spiele abkriegen. Kosten für Green Point: 400 Millionen Dollar.

Mit Einkünften von bis zu vier Milliarden Dollar werde die Fifa (und ihre Partner-Agenturen wie Infront, geführt von Blatters Neffen Philipp) Hauptprofiteur der WM sein, sagt eine Wirtschaftsstudie der Citibank. Südafrika werde ein "überproportionaler Kostenanteil aufgebürdet". Die Macht im Land sei dramatisch zugunsten der Fifa und "mächtiger internationaler und wirtschaftlicher Eliten" mit Geschäftsinteressen verschoben. "Zum Schaden der gastgebenden Regierung und ihrer Bürger", ergänzt die südafrikanische Sicherheitsstudie. Landesweit gibt es heute 2600 Elendssiedlungen, achtmal so viele wie 1994, als die Apartheid endete und Mandelas ANC den Armen rasche Abhilfe versprach.

Blatter träumt vom Friedensnobelpreis

Blatter wird all das kaum registrieren. Er logiert in Edelhotels und den gläsernen Präsidentenlogen der WM-Stadien. Wie sein Kalkül aussieht? Erst eine glänzend inszenierte WM - prächtige Fernsehbilder, jubelnde Berichterstatter -, dann träumt er vom Friedensnobelpreis. Die Lobbyisten laufen sich seit Jahren in Oslo einen Wolf. Blatter ist so frei, sich schon mal zur Entgegennahme des Preises bereit zu erklären, alles andere würde ja "niemand der Fifa verzeihen". Nelson Mandela hat den Preis schon, fehlt noch der größte aller Südafrikaner: Sepp Blatter aus dem Alpendorf Visp.

Afrika wird sein Schicksal sein.

© SZ vom 09.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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