WM 2010: Presseschau:Brasilianischer Kaltstart

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Die Presseschau "Indirekter Freistoss" befasst sich heute mit dem zähen Auftakt Brasiliens, einem historischen Tag für Neuseeland, Zwanzigers Lob an den Bundestrainer und den Pechvögeln der WM.

Sven Goldmann ( Tagesspiegel) bescheinigt Portugal und der Elfenbeinküste der Torlosigkeit zum Trotz ein gutes Spiel: "So blieb als Erkenntnis des ersten Gipfeltreffens dieser WM, dass auch Spiele ohne Tore durchaus ihren Reiz haben können. Das ist bisher gewiss noch kein Markenzeichen dieser Weltmeisterschaft, aber dieses Spiel am Dienstag zeigte, was noch alles möglich sein kann in den kommenden Wochen Südafrika." Sowohl Didier Drogba als auch Cristiano Ronaldo, beides Spieler, die das Turnier prägen könnten, hätten ansatzweise ihr Können unter Beweis gestellt: "Ronaldo zeigte manche Mätzchen, aber auch viele wunderschönen Dinge, die diesen mit allen Gaben gesegneten Fußballspieler nun mal zu einem ganz besonderen machen. Schon nach ein paar Minuten lief er Didier Zokora so unwiderstehlich davon, dass der Verteidiger vom FC Sevilla beim Hinterhereilen nur noch die Beine des Weltstars traf und sich dafür die Gelbe Karte abholte."

Temperaturen um den Gefrierpunkt machten den brasilianischen Spielern und ihren Fans zu schaffen. (Foto: dpa)

Sorgen um Dunga

Für Matthias Linnenbrügger ( Welt) entgingen die Brasilianer beim 2:1 gegen Nordkorea nur knapp einer Blamage: "Die Temperatur in Johannesburg fiel pünktlich zur Premiere der Südamerikaner erstmals bei dieser WM unter den Nullpunkt - ähnlich verhielt es sich über weite Strecken der ungleichen Partie mit ihrer Stimmung." Der Autor sorgt sich vor allem um den Nationaltrainer und Ex-Stuttgarter Carlos Dunga: "Der Trainer hatte sich am Tag vor dem Spiel einmal mehr mit den brasilianischen Medienvertretern angelegt. Sowohl am Samstag als auch am Sonntag sperrte der 46-Jährige die mitgereisten Reporter vom Training aus. Damit reagierte er vergrätzt auf die harsche Kritik an seiner für brasilianische Verhältnisse so defensiv geprägten Ausrichtung. Erfüllt Brasilien die Erwartungen nicht, dürfte er nach der WM arbeitslos sein."

Sean Ingle ( The Guardian) fror im Ellis Park von Johannesburg bei Temperaturen um den Gefrierpunkt: "Brasilien hatte Probleme, die Herzen der Zuschauer zu erwärmen. Vielleicht sollten einen die Probleme der Brasilianer gegen so kompakt stehende Mannschaften nicht überraschen. In der Qualifikation ergatterte die Selecao nur einen Punkt gegen Bolivien - die ebenfalls mit fünf Verteidigern spielten." Bei den Nordkoreanern beeindruckte ihn besonders "Jong Tae-Se aus der der japanischen J-League. Sein Spitzname: Rooney des Volkes. Bereits bei der Nationalhymne brach der Stürmer in Tränen aus, auf dem Feld war er lange die einzige Offensivkraft der Koreaner."

Einen Lobgesang stimmt Chris Rattue ( NZ Herald, Neuseeland) an. Der Autor preist das späte 1:1 von Neuseeland gegen die Slowakei als "historischen Punktgewinn. Winston Reids Name wird für viele Jahre in den Geschichtsbüchern weiterleben." Der kleine Traum vom Achtelfinale geht für die Kiwis weiter, zusammen mit dem ersten Punkt in der Geschichte des Landes, in dem Rugby den Volkssport Nummer eins darstellt. "Das Stadion explodierte vor Freude, sogar die Vuvuzelas wurden für einen Moment übertönt. Ich habe schon viele tolle Momente in der neuseeländischen Sport-geschichte erlebt, aber nichts kommt an diesen Treffer heran." Die "All-Whites" würden sich nach dem Erfolg nicht mehr in der Rolle des Davids gegen Goliath fühlen, "eher im Duell kleiner David gegen großer David. Natürlich sind Italien und Paraguay der Favorit für das Achtelfinale. Aber die Neuseeland-Fans verließen das Stadion in Rustenburg mit erhobenen Köpfen und dem Glauben, auf diesem Level mithalten zu können."

WM 2010: Der fünfte Tag in Bildern
:Brasilien bleibt blass

Elfenbeinküste gegen Portugal - Didier Drogba gegen Cristiano Ronaldo. Das Treffen der Stars endet torlos, während Brasilien gegen Nordkorea viel Mühe hat. Neuseeland feiert dagegen einen Last-Minute-Ausgleich.

Michael Ashelm ( FAZ) strahlt mit Lukas Podolski um die Wette. Dank der Nibelungentreue des Bundestrainers blühe "Poldi" nach einer völlig verkorksten Saison wie so häufig im Nationalteam auf. "Die größten Probleme erscheinen aus der Ferne ganz klein und taugen plötzlich sogar für eine spaßige Betrachtung, zumal sich die sportliche Ausgangslage komplett verändert hat. Aus dem enttäuschten Podolski ist nach nur einem Spiel bei dieser WM wieder der strahlende Deutschland-Poldi geworden." Löw verfolge seine Linie und verteidige auch kritisierte Spieler: "Es ist eines der Prinzipien Joachim Löws, auf einen Kreis eingesessener Spieler zu vertrauen, von deren Stärken er von Beginn an fest überzeugt war - unabhängig davon, wie sich diese Profis im Vereinsalltag schlagen und auch unabhängig von aufkommenden Diskussionen in der Öffentlichkeit"

DFB-Präsident Theo Zwanziger (links) buhlt um Bundestrainer Joachim Löw. (Foto: dpa)

Nicht wieder hingerückt

Matti Lieske ( Berliner Zeitung) kittet die Risse in der Beziehung zwischen Bundestrainer Joachim Löw und dem DFB-Präsidenten Theo Zwanziger. Trotz der öffentlichen Liebesbekundungen "war es unverkennbar, dass der Bundestrainer immer noch vergrätzt ist, weil man ihn beim DFB im Februar behandelte wie einen x-beliebigen Angestellten, über dessen Weiterbeschäftigung debattiert wird, und nicht wie den großen Fußballerneuerer, als der sich der 50-Jährige sieht." Obwohl das Aus für Löw nach der WM noch vor Wochen festgestanden habe, scheine Löws Zukunft als Bundestrainer mittlerweile rosig: "Selbst wenn man die mangelnde Klasse Australiens in Betracht zieht, hat das 4:0 unmissverständlich gezeigt, dass Löw als Bundestrainer erste Wahl ist. Seine oft bespöttelte These, die Mannschaft zu einer spielerisch, kämpferisch und läuferisch homogenen Einheit formen zu können, wenn ihm nur genug Zeit gegeben wird, hat er eindrucksvoll bestätigt."

Auf eine Erwiderung seiner Lobhudelei jedoch warte der DFB-Präsident vergebens, kommentiert Jan Christian Müller ( FR): "Zeit für neue Gefühle bei Theo Zwanziger. Live im Fernsehen noch dazu. Gefühle indes, die einseitig in eine Richtung auszustrahlen scheinen. Vom Präsidenten hin zum Bundestrainer - und von dort nicht wieder zurück." Löws Reaktion ordnet er so ein: "Später, als er direkt angesprochen wurde, sagte Löw in einem Akt der hohen Diplomatie, er wolle dem Präsidenten danken für dessen Worte, die Dinge seien 'wieder hingerückt', er habe jetzt aber 'andere Dinge im Kopf' als eine mögliche Vertragsverlängerung. Im Klartext: Die Dinge sind eben nicht 'wieder hingerückt'. Jedenfalls noch längst nicht wieder dorthin, wo sie mal waren."

WM 2010, Einzelkritik: Deutschland
:Stilles Schaffen, scharfe Pässe

Ein Özil-Pass von Lukas Podolski, ein Gerd-Müller-Tor von Müller und ein Miroslav-Klose-Tor von Miroslav Klose - die Spieler des DFB in der Einzelkritik.

Christof Kneer und Philipp Selldorf

Eine Gruppe von 36 Holländerinnen wird aus dem Stadion abgeführt und mehrere Stunden von der Fifa festgehalten. Ihr Vergehen: Das falsche Outfit. Der orangene Minidress, in den die Frauen allesamt gekleidet waren, war Teil einer Werbeaktion einer holländischen Biermarke. Jedoch liege diese schon länger zurück und auf den Kleidungsstücken hätte sich auch kein Label befunden. Angelique Serrao ( Independent Online) dokumentiert den Fall und erinnert sich: "Es ist nicht das erste Mal, dass die Biermarke bei einer Weltmeisterschaft im Zentrum einer Kontroverse steht. Vor vier Jahren in Deutschland wurde niederländischen Fans, die orangene Lederhosen mit dem Bavaria-Logo und künstlichem Löwenschwanz trugen, beschieden, dass sie ihre Hosen beim Besuch der Spiele nicht tragen dürften." Vielen dieser Fans sei nichts anderes übrig geblieben, als die Spiele in Unterhosen zu verfolgen.

Flattert der Ball oder doch schon die Nerven?

Angus McKinnon ( Timeslive) erinnert daran, dass Jabulani in der Bundesliga bereits vor Monaten eingeführt wurde und hört sich die Klagen Carraghers an: "'Es ist für die Deutschen auf jeden Fall einen Vorteil. Das ist mit Sicherheit so. Es ist offensichtlich. Der Ball ist sehr gewöhnungsbedürftig.'" Dennoch stelle Carragher aber klar, "dass er mit seiner Kritik am WM-Ball nicht den beeindruckenden Auftritt relativieren will, der gezeigt hat, dass auch diesmal Deutschland eine Größe ist, mit der bei der WM zu rechnen sein wird."

"Es scheint, als hätten uns die Deutschen wieder überlistet", beginnt Matt Lawton ( Daily Mail) seinen Kommentar, um dann festzustellen: "Ebenso die Spanier, Niederländer, Franzosen, Schweizer, Japaner, Portugiesen und die cleveren Burschen aus Argentinien. Selbst die Amerikaner, scheinen etwas mehr gesunden Menschenverstand gezeigt zu haben. Warum? Im Gegensatz zu den Engländern, haben sie alle seit Monaten mit dem umstrittenen neuen Adidas-Ball gespielt." Zum Beweis werden alle Wettbewerbe aufgelistet in denen der Ball zum Einsatz kam und es wird durchgerechnet: "51% der Spieler bei dieser Weltmeisterschaft haben im Vorfeld mit dem Jabulani gespielt, aber niemand aus dem englischen Team."

Presseschau zusammengestellt von Matthias Nedoklan und Jan-Carl Ronnecker

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