WM 2010: Justiz in Südafrika:Ein Werkzeug der Fifa?

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Südafrika hat für die WM 56 neue Gerichte eingesetzt, die mit immensem Aufwand arbeiten und schnelle, teils drakonische Strafen aussprechen. Viele im Land sind dennoch begeistert.

Thomas Hummel, Johannesburg

Für Simon Wright ist die Sache noch nicht ausgestanden. Der Journalist der britischen Zeitung Sunday Mirror durfte das Justizgebäude in Kaptstadt zwar verlassen, musste aber etwa 300 Euro Kaution bezahlen, seinen Pass abgeben und muss nun jeden Tag der Polizei erzählen, wo er sich aufhält. Erwiesen ist bislang, dass Wright ein exklusives Interview mit Pavlos Joseph geführt hat, der sich laut eigener Angaben nach dem Spiel England gegen Algerien im Green-Point-Stadion verirrt hatte und in der englischen Kabine gelandet war. Südafrikas oberster Polizeichef Bheki Cele behauptet, die beiden seien Teil einer "Verschwörung", um die Sicherheit bei der WM in ein negatives Licht zu rücken.

Bei Schwarzhandel von Eintrittskarten verstand die Fifa schon immer wenig Spaß. Noch nie drohten dafür aber so schwere Strafen wie in Südafrika: bis zu fünf Jahre Gefängnis. (Foto: dpa)

Schlimmes ist an diesem Abend in Green-Point-Stadion nicht passiert, es heißt, Joseph habe sich ganz nett mit David Beckham unterhalten, ehe er abgeführt wurde. Joseph wurde inzwischen freigesprochen. Es ist ein Fall, der sinnbildlich für die Nervosität Südafrikas steht, das sich im Fokus der Weltöffentlichkeit befindet wie noch nie zuvor in seiner Geschichte. Und das deshalb zu ungewöhnlichen, für viele drakonisch wirkenden Gegenmaßnahmen greift. Das Zentrum der Maßnahmen bilden 56 sogenannten Fifa World Cup Courts, die WM-Sondergerichte.

Mehr als 50 Urteile sind inzwischen ergangen in den soccercourts, den Fußballgerichten, wie sie der Volksmund nennt. Und diese Urteile spalten das Land, rufen Irritationen im Ausland hervor. Die Angeklagten werden fast immer im Schnelldurchgang abgeurteilt und erhalten für kleinste Vergehen ein Strafmaß, das im westlichen Verständnis als völlig übertrieben gelten muss. Es ist bereits von Standgerichten die Rede.

Grundrechte auf der Kippe

Wegen eines Raubüberfalls auf Journalisten verurteilte ein Gericht zwei Simbabwer zu je 15 Jahren Haft. Sie hatten Handys, Laptops und Bargeld gestohlen und einen Fotografen mit vorgehaltener Pistole bedroht. Ein Nigerianer erhielt im gleichen Zusammenhang vier Jahre Haft wegen Besitzes von Diebesgut. Weil ein Mann in Johannesburg ein Handy geklaut hat, muss er nun fünf Jahre ins Gefängnis, das Gericht benötigte angeblich 20 Minuten für das Urteil. Ein anderer wollte aus dem Auto eines Touristen eine Decke stehlen und sitzt nun 20 Monate Haft ab.

"Diese Gerichte urteilen wesentlich strenger als das bei uns üblich ist", sagt Mia Swart, Jura-Professorin an der Witwatersrand-Universität in Johannesburg. Sie widersprächen bisweilen auch der südafrikanischen Rechtsprechung und sie hoffe, dass Grundrechte wie die Unschuldsvermutung dort geachtet werden. Doch es scheint, als stünde für Südafrika zu viel auf dem Spiel, als dass man die Grundrechte von vermeintlichen Dieben achten müsste.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die WM-Gerichte eine Vorbildfunktion für die Justiz des Landes übernehmen könnten.

Von nichts sprach die Weltöffentlichket vor der WM häufiger als von dem Sicherheitsproblem im Land der WM. Südafrika schien voll zu sein von Mördern, Dieben, Entführern. Eine Sicherheitsfirma riet der deutschen Delegation, nur mit Sicherheitswesten das Hotel zu verlassen, eine Meldung, die in Südafrika großes Aufsehen erregte. Einigen Journalisten und auch Fans wird empfohlen, nach Sonnenuntergang gegen 18 Uhr das Haus nicht mehr zu verlassen. "Es geht um das Image von Südafrika", erklärt Swart. Und so entschloss sich das Justizministerium, für drei Monate rund um die WM die Sondergerichte einzuberufen.

Sie lenkten erstmals die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf Südafrikas scharfe Vorgehensweise: Die niederländischen "Beer Babes" wurtden wegen des Verdachts auf Schleichwerbung in Polizeigewahrsam genommen.  (Foto: dpa)

Trotz der Kritik an den harten Urteilen, befürwortet Mia Swart grundsätzlich die Gerichte: "Es ist sehr wichtig, dass sie geschaffen wurden." Das Justizsystem arbeite normalerweise sehr, sehr langsam, bisweilen dauere es Jahre, um allein eine Anhörung zu einem Fall zu erreichen. Helen Zille, Premierministerin der Provinz Westkap und Vorsitzende der Demokratischen Allianz, kommentierte in der Zeitung The Citizen, die Arbeitsweise der Fußballgerichte sei eine "dramatische Verbesserung der Justizverfahren". Sie verwies darauf, dass erst vor zwei Jahren der stellvertretende Justizminister Johnny de Lange davon sprach, das südafrikanische Rechtssystem wäre wirkungslos. Die Fußballgerichte würden nun fünfmal mehr Verfahren in einem Monat bewältigen als normale Gerichte.

Das ist kaum verwunderlich, steckt der Staat doch eine vergleichsweise sehr hohe Summe in die Sondergerichte. 110 Richter, 260 Staatsanwälte, rund 200 Übersetzer sowie fast 1500 Hilfskräfte sollen freigestellt worden sein, es wird von 15-Stunden-Schichten berichtet. Die Wochenzeitung Mail & Guardian rechnete vor, dass jedes Verfahren den Steuerzahler rund 190.000 Euro gekostet habe. Ein Aufwand, der ohnehin schwer zu rechtfertigen ist - ohne eine Fußball-Weltmeisterschaft schon gar nicht. Immerhin verzeichnet Südafrika laut Statistik nicht nur 50 Morde am Tag, sondern auch mehr als 1,2 Millionen Diebstähle und andere Eigentumsdelikte im Jahr. Bei derartigen Strafen müsste das Land einige neue Gefängnisse eröffnen, denn die bestehenden sind bereits überfüllt.

Schleichwerbung in Orange

Der weltweit aufsehenerregendste Fall drehte sich um die sogenannten Beer Babes. Beim Spiel zwischen den Niederlanden und Dänemark hatte die Polizei 34 junge Frauen in orangefarbenen Kleidern abgeführt, die nach Ansicht der Fifa als Werbung für die Brauerei Bavaria zu erkennen waren. Und weil die Brauerei kein offizieller Fifa-Sponsor ist, sei das Tragen der Kleider im Soccer-City-Stadion nicht erlaubt und müsse als Schleichwerbung geahndet werden. Die Polizei hielt die Frauen stundenlang auf einem Revier fest, drohte ihnen Gefängnisstrafen an. Am Ende wurden zwei von ihnen angeklagt, erst als sich die niederländische Botschaft einschaltete, ließ sie die Justiz gehen. Brauerei und Fifa einigten sich hinter den Kulissen.

Und so hängt den Gerichten der Ruf nach, sich zum Werkzeug der Fifa zu machen und dessen bisweilen eigenwillige Regeln durchzusetzen. "Normalerweise wären die Frauen dafür nicht eingesperrt worden", wundert sich Mia Swart. Wer überschüssige Eintrittskarten vor dem Stadion oder im Internet verkaufen will, riskiert derzeit in Südafrika bis zu fünf Jahre Haft. Die Fifa ist bekannt dafür, gegen den Schwarzmarkt hart vorzugehen, um das eigene Geschäft zu schützen. Doch noch nie hat sich ein Staat bereiterklärt, den Weltverband dabei derart zu unterstützen.

Ob die Gerichte zeigen, dass die Fifa während der WM mehr oder minder den Staat übernimmt? "Nein, so kann man das nicht sagen", wehrt Mia Swart ab. Es würden ja nur Delikte behandelt, die im Zusammenhang mit der WM stehen. Zwei Wochen nach dem Finale werden die 56 Gerichte wieder geschlossen. Wie Politikerin Zille hofft auch Swart, dass sie dem südafrikanischen Justizsystem ein Beispiel sind.

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