Usain Bolt bei Olympia:Der Entrückte

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Wenn Usain Bolt sprintet, vergisst die Leichtathletik, wie sehr es überall qualmt, brennt und stinkt. Der Jamaikaner ist längst sein eigenes Kunstprodukt.

Von Johannes Knuth, Rio de Janeiro

Das Kulturzentrum von Rio de Janeiro, das Cidade das Artes, trägt einen schönen Namen, den es mit atemraubender Hässlichkeit paart. Es ist ein Kasten aus Beton, groß wie ein Raumschiff, das verloren in der Landschaft steht, eingeklemmt zwischen Verkehrsadern und einem Busbahnhof. Dessen Vorzug besteht vor allem darin, dass er Fahrten anbietet, die von diesem Ort wegführen. Drinnen, im turmhohen Foyer des Kunsthauses, ändert sich das Bild, dort hängen Bilder zeitgenössischer Maler, das Parkett ist dunkelbraun, der Konzertsaal mit roten Polstersesseln bestückt. 2013 haben sie den Saal mit einem Musical eingeweiht, "Rock in Rio" hieß es.

Der Sprinter Usain Bolt hat im Cidade das Artes vor ein paar Tagen eine Pressekonferenz gegeben, wobei: Pressekonferenz traf es nicht ganz. Es war eine bizarre Show, mit Sambatänzerinnen und rappenden TV-Reportern, mittendrin ein Sprinter, der seinem Sport längst entrückt ist, als sein eigenes Kunstprodukt. Man könnte mit den Ereignissen problemlos ein Musical produzieren.

Die Olympischen Spiele von Rio rollen gerade auf ihre zweite Woche zu. Olympia vertraut sich immer gerne seinen wenigen Überfiguren an, die aus dem Gewusel ragen, und in der zweiten Woche fällt diese Aufgabe mal wieder Usain Bolt zu. Dem zweimaligen Dreifach-Olympiasieger, der dieses Triple jetzt zum dritten Mal schaffen will, 100 Meter, 200 Meter, Staffel. Das ist noch niemandem gelungen in seinem Sport. Die Konkurrenz ist ihm noch mal ziemlich nahe gerückt.

Mit Justin Gatlin, seinem Herausforderer über 100 Meter am Sonntagabend, hat er zuletzt ein paar Nettigkeiten ausgetauscht, weil Bolt nach seiner Oberschenkelverletzung nicht bei den jamaikanischen Trials startete und trotzdem nominiert wurde; die Amerikaner fanden das lächerlich. Bolt fand die Kritik wiederum "einen Witz". Ich, Usain Bolt, habe Jahr für Jahr gezeigt, dass ich der Größte bin, sagte er. Jetzt also Rio, es wird seine letzte olympische Sause. Im nächsten Jahr wird er die WM in London bestreiten, danach soll Schluss sein.

Und dann?

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Usain Bolt, 29, aus Kingston/Jamaika. Erster großer Auftritt bei der Junioren-WM in Kingston, als er die 200 Meter gewann, mit 15. Er spielte schon damals mit dem Publikum, mit einer Lässigkeit, die die Leute anzog. Peking war der Durchbruch, bei Olympia 2008 drückte er den Weltrekord über 100 Meter auf 9,69 Sekunden. Die letzten Meter joggte er jubelnd ins Ziel, während sich die Schnürsenkel seiner goldenen Spikes öffneten. Bolt knallte noch zwei weitere Weltrekorde in die Welt, über 200 Meter und mit der Staffel. Viele verloren die Fassung, andere den Glauben.

Bolt verdient jährlich 30 Millionen US-Dollar

Er machte ungebrochen weiter, die WM 2009 in Berlin, 9,58 Sekunden über 100, 19,19 über 200 Meter, beide Rekorde stehen bis heute unverrückt und einsam in der Landschaft. Die Szene hat sich eingerichtet mit ihm, mit seiner Sternendeutergeste, die er routiniert in die Luft malt. Die Stadien werden oft nur dann voll, wenn er läuft. Die Zweifel an seinen Taten lassen sich nicht erhärten. Wenn Bolt auftritt, vergisst die Leichtathletik, wie sehr es überall qualmt, brennt, stinkt.

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Man spürt das in diesen Tagen immer kräftiger, neulich bei der Diamond League in London wieder. Bolt wies dort nach, dass er wieder fit ist, es war einer wenigen Auftritte in diesem Jahr, sein Rücken ärgert ihn immer häufiger. Wird es jemals wieder einen wie dich geben?, fragte ihn ein Reporter. "Ich bezweifle es", sagte Bolt, Gelächter im Saal. Dann fügte er an: "Du kannst nie der nächste Usain Bolt sein. Aber du kannst immer du selbst sein."

Man selbst sein, das war ein schöner Satz, und im Grunde gilt er in diesen Tagen mehr denn je für die Leichtathletik.

Die Leichtathletik ist Olympias Kernsport. Sie ist schlicht und klar, nur der Mensch ist das Maß, wenn er läuft, springt und wirft. Mit wohl keinem Sport lassen sich motorische Fertigkeiten bei Kindern derart umfassend schulen. Die Leichtathletik lebt von der Schönheit der Bewegung, wenn ein Hochspringer vom ersten Schritt bis zum Flop in eine fließende Bewegung eintaucht. Und sie lebt von Duellen, wenn die Zeiten, Weiten und Höhen in den Hintergrund rücken. Wenn die Leichtathletik sie selbst ist, dann ist sie ein Kulturgut. Aber das scheint der Sport längst vergessen zu haben. Rekorde und Superstars, das war jahrzehntelang das Geschäftsmodell, gepflegt vom ehemaligen Weltverbands-Chef Lamine Diack. Diack hat Bolt einmal als Retter der Leichtathletik bezeichnet, er verkörpert das ja mehr als jeder andere: Rekorde und Superstars.

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Diack, 83, ist vor einem Jahr abgetreten, mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft. Er soll mit Söhnen und Mitwissern positive Dopingtests gegen Geld vertuscht haben. Und die Leichtathletik mit Diacks schwer angeschlagenem Nachfolger Sebastian Coe spürt, wie endlich ihr Geschäft mit den Rekorden ist, mit dem sie sich vor einem Jahrzehnt vor dem Fall in die Bedeutungslosgkeit retten wollte. Es verspricht flüchtige Aufmerksamkeit, aber wenn nur die Sensation zählt, ist schon das Gute oft enttäuschend, auch das Schöne. Bolt hat sich für Rio noch mal einen Weltrekord vorgenommen, er will die 200 Meter in weniger als 19 Sekunden schaffen.

Vor drei Wochen ist er in London 19,89 Sekunden gelaufen, es wäre eine irre Steigerung. Aber das ist der Leichtathletik egal. Während der Anti-Doping-Kampf irgendwo zwischen gut und schlecht feststeckt, soll er, der einem Feld mit chronisch überführten Dopern mit offenem Schnürsenkel davonjoggte, den Zuschauern in Rio wieder Glauben schenken. Dass es in seinem Sport doch mit rechten Dingen zugeht. Der Sport braucht mich, "weil zuletzt ein paar blöde Dinge passiert sind", hat Bolt der BBC in Rio gesagt.

Was bleibt?

"Ich mag es zu unterhalten"

Wenn ihm das Triple gelingen würde, hat Bolt in Rio gesagt, dann sehe er sich endgültig in einer Ahnengalerie mit Pelé und Muhammad Ali, "all diesen Jungs". Er müsse nur schaffen, was niemand zuvor geschafft hat. Aber da hat Bolt das Prinzip der Sportlerhelden nicht so ganz erfasst. Ali berührte Menschen, weil er eine Haltung vertrat, weil er sie an das Unrecht der Welt erinnerte. Bolt bewegt Menschen, weil er sie davon ablenkt, herumkaspert. Es gibt noch keine Frage, die sie Bolt nicht gestellt haben, über seinen Lieblingsklub Manchester United, über indische Cricket-Klubs, den Gaza-Konflikt, Doping. Es ist viel Unsinn dabei, aber zu den drängenden Angelegenheiten seines Sports sagt Bolt halt nur so viel wie nötig. "Ich mag es, zu unterhalten", sagte er in Rio, "das wollen die Leute nun mal sehen." Er wolle damit eine Botschaft senden, inspirieren.

Die Frage ist nur: inspirieren wozu?

© SZ vom 13.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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