Das Sprint-Duell Justin Gatlin (USA) gegen Usain Bolt (Jamaika), das sollen in der Nacht zum Montag gegen 3.25 Uhr europäischer Zeit die spannendsten zehn Sekunden der Olympischen Sommerspiele werden. Länger werden sie für den Lauf über 100 Meter kaum brauchen - vorausgesetzt, sie überstehen die Vorläufe. Was macht diese Männer nur so schnell?
Mutmaßungen über oder Nachweise von Doping gibt es immer wieder bei den Rekordhaltern, Gatlin wurde bereits positiv getestet. Doch jenseits der chemischen Hilfsmittel zerbrechen sich Sportwissenschaftler seit Jahren den Kopf über die Frage, was Bolt und seine Konkurrenten antreibt.
"Eine einfache Antwort gibt es nicht", sagt Biomechaniker Jan-Peter Goldmann von der Deutschen Sporthochschule Köln. Lange glaubten Bewegungsforscher, die besondere Begabung von Spitzensprintern liege darin, Beine und Füße in der Luft schneller für den nächsten Schritt positionieren können. Erst im Jahr 2000 konnte der Professor für Biomechanik, Peter Weyand, in seinem Labor in Dallas zeigen: Die schnellsten Läufer sind die, die am kräftigsten auftreten können. Die Beine der Sprinter federn nicht sanft ein, wie die Stoßdämpfer eines Autos. Weyand vergleicht sie mit Kolben, die mit heftigen Stößen den Boden attackieren. Das scheinen Gatlin und Bolt besonders gut zu können. Doch woran liegt das?
Jan-Peter Goldmann vergleicht Muskeln und Sehnen mit einem Motor, das Skelett mit dem Getriebe. Beides lasse sich recht gut erforschen. Wie allerdings die Muskeln an die notwendige Energie, den "Sprit" kommen, das nennt Goldmann eine "Blackbox". Zu diesen drei Komponenten kommt noch die Technik des Läufers, die sich laut Weyand bei Bolt verbessern ließe. Auch Goldmann sagt: "Bolt könnte den Boden noch aktiver mit dem Vorderfuß greifen." Für die Forscher bedeutet die mangelnde Perfektion des Champions in diesem Bereich, dass er in den übrigen extrem überlegen sein muss.

Laufen:Die Knie der Elite
Jamaika hat weniger Einwohner als Los Angeles, stellt aber einen Großteil der Weltklassesprinter. Biologen und Anthropologen haben nun das Geheimnis dieses Erfolges ein Stück weit aufgeklärt: Es liegt in den Knien.
Das Verhältnis von Oberschenkellänge zu Unterschenkel soll bei Bolt ideal sein. Über seine Zehenlänge wird viel spekuliert, offizielle Angaben dazu gibt es nicht, als wäre es ein Betriebsgeheimnis. Seine Größe und Kraft verhelfen ihm zu einem sehr starken Auftritt. Dass Bolt beim Start langsamer weg kommt als die Konkurrenz, gleicht er durch eine für Kurzstreckenspezialisten erstaunliche Ausdauer aus. Die meisten Sprinter erreichen zwischen 60 und 70 Metern Laufstrecke ihre Höchstgeschwindigkeit und werden dann bereits wieder langsamer. "Bolt kann die 100 Meter fast voll durchlaufen", sagt Goldmann.
"Aus den vier Komponenten, Muskeln, Skelett, Energie und Technik hat jeder Mensch eine mehr oder weniger gute Kombination", sagt Goldmann. Bei Bolt seien die Voraussetzungen schlicht "sensationell gut". Für den Kölner Biomechaniker steht außer Frage, dass es schnellere Läufer geben wird, und auch eine Zeit von unter 9,5 Sekunden hält er für möglich - nur wahrscheinlich nicht am kommenden Montag.