Olympia:"Mein Doping ist Gott, sonst nichts"

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Nach dem Rekord über 10 000 Meter von Almaz Ayana kommen Zweifel an ihrer Sauberkeit auf. (Foto: Srdjan Suki/dpa)

So erklärt die Äthiopierin Almaz Ayana ihren Fabelrekord über 10 000 Meter. Doch viele Beobachter haben heftige Bauchschmerzen.

Von Johannes Knuth, Rio de Janeiro

Und dann schwoll der Jubel an, als sei jemand versehentlich gegen den Lautstärkeregler gestoßen und habe auf volle Kraft gedreht. Die Äthiopierin Almaz Ayana, 24, bog gerade auf die letzten Meter ein. Sie hatte Runde an Runde gereiht in diesem Finale am Freitagmittag über 10 000 Meter, kühl und präzise. Das Olympiastadion in Rio spürte, dass es gerade einen speziellen Moment bezeugte. Für ein paar Minuten vergaß man, dass die Hälfte der Plätze verwaist war (obwohl der Weltverband IAAF für jedes Finale ein ausverkauftes Stadion gemeldet hatte, aber gut). Ayana musste sich auf den letzten 100 Metern jedenfalls nicht beeilen, so flink war sie während der ersten 9900 gewesen. Sie traf nach 29:17,45 Minuten ein, knapp 14 Sekunden früher als die Chinesin Junxia Wang bei ihrem unwirklichen Weltrekord vor 23 Jahren.

Das Prozedere nach einem Leichtathletik-Weltrekord folgt fast immer dem gleichen, ungeschriebenen Skript. Die Athleten posieren vor ihrer Zeit auf der Anzeigetafel, sie hüllen sich in ihre Landesflagge und laufen eine Ehrenrunde. Während Ayana am Freitag fröhlich ihre Runde drehte, ohne allzu große Anstrengung im Gesicht, spielte die Stadionregie ein Lied von Avicii ein, eines dieser Tausend neumodischen Lieder, die alle gleich klingen, bis zum Refrain. "So wake me up when it's all over", heißt es da, weck mich auf, wenn alles vorbei ist. Dann wummern die Beats, als sei jemand aus Versehen gegen den Lautstärkeregler gekommen.

Olympische Vormittage im Leichtathletik-Stadion sind eigentlich unaufgeregte Angelegenheiten. In Rio haben sie nun das eine oder andere Finale in die Vormittage eingebaut, für die TV-Stammkundschaft in Europa. Und das erste Finale am Freitag riss die Szene dann gleich aus ihrer routinierten Betriebsamkeit. Der Regen hatte am Morgen die Luft gereinigt, es war weder zu warm noch zu kalt. Die blaue Bahn im Estádio Nilton Santos ist offenbar tatsächlich so schnell, wie im Vorfeld kolportiert wurde. Auch wenn manche am Freitag darüber stritten, ob die Organisatoren vielleicht doch nur 350 statt 400 Meter verlegt hatten. Die Art und Weise, mit der Ayana sich am Freitag auf ein neues Niveau hob, hatte ja niemand erwartet. Zwölf der schnellsten 13 Läuferinnen schafften persönliche oder nationale Rekorde, Ayana verbesserte ihre eigene Bestmarke um rund 50 Sekunden. Rio war ihr zweites Rennen über 10 000 Meter auf der Bahn gewesen, überhaupt.

Ihr Manager, der Niederländer Jos Hermens, stellte später im Bauch des Stadions feierlich fest: Ayanas Rekord sei beeindruckender als alles, was ihre Landsmänner Haile Gebrselassie und Kenenisa Bekele an Rekorden erschaffen haben. "Schaut Euch die Entwicklung an, 14 Sekunden!", rief Hermens. Ja, diese Entwicklung hatten tatsächlich viele Beobachter studiert, und die meisten hatten dabei heftige Bauchschmerzen erlitten.

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Wang hatte in den 90er Jahren der Langstreckengruppe von Ma Junren angehört, die mit dem Etikett "dubios" wohlwollend umschrieben ist. Mas Armee, wie seine Läuferinnen genannt wurden, schoss schnell in die Weltspitze und produzierten dort Weltrekord im Akkord. Alles mit der Kraft von hartem Training und Schildkrötenblut, wie der Trainer beteuerte. Als sechs Läuferinnen um die Jahrtausendwende positive Tests einreichten, wurde Ma suspendiert.

Wang selbst hat Jahrzehnte später, im vergangenen Februar öffentlich zugegeben, dass sie damals in ein systematisches Dopingprogramm eingegliedert war. Die IAAF ermittelt, noch ohne Ergebnis. Wangs Behauptung liege bislang leider nicht schriftlich vor, sagte ein IAAF-Sprecher der Deutschen Presse-Agentur.

"Lasst mich eines sagen", sagte Hermens am Freitag, "die Chinesinnen sind damals ja alle wie Enten gelaufen", er wackelte steif durch den Raum. "Die hatten nur ihr Epo-Doping." Ayana sei natürlich anders. "Sie läuft perfekt, ihr Laufstil, wunderschön", sagte Hermens. Frei übersetzt: Sie ist derart begabt und gut ausgebildet, dass sie kein Doping braucht. Ayana selbst befand zunächst, sie habe "nie gedacht, dass so etwas passieren kann". Angesprochen auf die wuchernden Zweifel, sagte sie: "Ich habe mein Training auf die 5000 und 10 000 Meter ausgerichtet. Den Rest hat mir Gott gegeben. Mein Doping ist Training. Mein Doping ist Gott, sonst nichts. Ich bin kristallklar."

Nicht einmal einen Vormittag hat es in Rio gedauert, und die Leichtathletik steckt wieder tief in der alten Falle. Man kann Ayana nichts unterstellen, es gibt keine Belege. Aber man kann ihr auch nicht vertrauen, weil das Vertrauen in die Kontrollen und Instanzen längst erodiert ist. Schwedens Läuferin Sarah Lahti, die Zwölfte wurde, gab den Zweifeln in schwedischen Medien eine Stimme: "Ich glaube nicht wirklich, dass sie hundertprozentig sauber ist. Es geht zu leicht für sie. Man sieht bei ihr keinerlei Gesichtsausdruck, sie läuft einfach weiter, während wir anderen dahinter um unser Leben kämpfen. So ein großer Unterschied ist eigentlich nicht möglich."

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Äthiopien war bei der WM im vergangenen Jahr die fünfstärkste Nation, die Dopingnetzte sind allerdings löchrig. Die nationale Anti-Doping-Agentur hatte es 2015 offenbar geschafft, nicht eine Trainingskontrolle zu organisieren. Im vergangenen März wurden drei äthiopische Athleten suspendiert, im Juni verhafteten spanische Behörden den Trainer Jama Aden, vernetzt mit Genzebe und Tirunesh Dibaba, in den Zimmern fanden sie anabolen Steroide und Epo-Spritzen. Tirunesh wurde am Freitag Dritte (29:42,56), Genzebe verbesserte vor einem Jahr den Weltrekord über 1500 Meter (3:50,09 min). Die alte Bestmarke hatte die Chinesin Yunxia Qu gehört, die damals ebenfalls von Ma betreut wurde.

Ayana wird in Rio übrigens noch über 5000 Meter antreten, nach Lage der Dinge wird ihr schwer beizukommen sein. Mit ihren 14:30 Minuten auf den zweiten 5000 Metern am Freitag hätte sie den olympischen Rekord auf der einfachen Strecke locker unterboten, um knapp 15 Sekunden.

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