Tod von João Havelange:João Havelange war der Dinosaurier des Weltsports

Joao Havelange

João Havelange und sein Ziehsohn Sepp Blatter.

(Foto: dpa)

Er zog Blatter groß und auch sonst alle Strippen: Ein Vierteljahrhundert lang herrschte João Havelange eisern über die Fifa - jetzt ist er im Alter von 100 Jahren gestorben.

Von Thomas Kistner, Rio de Janeiro

Er hatte sich gewünscht, die Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land noch erleben zu dürfen. Und natürlich die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro, seiner Heimatstadt, wo sich die Leichtathleten in einem Stadion messen, das seinen Namen trägt. Das hat João Havelange geschafft, wiewohl unter anderen Umständen als erhofft. Am Dienstagmorgen ist der Mann, der über mehr als ein halbes Jahrhundert den Weltsport geprägt hatte, im Alter von 100 Jahren in einer Klinik in Rio gestorben.

Havelange regierte 24 Jahre lang den Fußball-Weltverband Fifa, er saß 48 Jahre im Internationalen Olympischen Komitee (IOC). Doch am Ende einer einzigartig stilbildenden Funktionärskarriere war dem alten Mann nur die Bitterkeit geblieben. Erst musste er, 2011, einem Urteil des IOC zuvorkommen und seine Mitgliedschaft niederlegen. Die hätte er verloren, als Resultat von Korruptionsermittlungen des Ethikkomitees, das Havelanges Rolle in seinem zweiten Sportamt beleuchtet hatte: als Fifa-Chef.

Zwei Jahre später musste er auch die hier die Ehrenpräsidentschaft abgeben.

Ein Vierteljahrhundert, von 1974 bis 1998, hat Havelange die Fußballwelt im Wortsinne beherrscht, den Thron überließ er seinem sportpolitischen Ziehsohn Sepp Blatter. Die Regentschaft dieses Duos überdauerte vier Jahrzehnte, bis zu Blatters Sperre 2015; ebenfalls durch ein Ethikkomitee, das der Fifa. Diese Ära sah Milliarden in die Fifa-Kassen fließen, Konsequenz der globalen Sportkommerzialisierung.

Wie Havelange sein System errichtete

Zugleich eroberten die Schlüsselpositionen im Weltverband allerdings so viele fragwürdige Figuren, dass der Begriff Fifa zu einem Synonym für Korruption wurde. Heute versuchen das FBI und die Schweizer Bundesanwaltschaft, den noch immer ziemlich blickdichten Geschäftsverhau zu lichten, den die Havelange-Blatter-Ära um das größte Gesellschaftsevent des Planeten, die Fußball-WM, hat wuchern lassen.

Jean-Marie Faustin Godefroid Havelange, Brasilianer mit belgischen Wurzeln, war selbst kein Fußballer; er war Olympier. An den Sommerspielen 1936 in Berlin nahm er als Schwimmer teil, mit Sportlern wie Jesse Owens. 1952 in Helsinki trat er für Brasiliens Wasserballer an. Die Athletenkarriere verschaffte ihm Zugang zu den Sportämtern im Land. Über den Schwimmverband rückte er ins Nationale Olympische Komitee und 1963 in das IOC ein. 1958 wurde er zudem Chef des brasilianischen Sportverbandes CBD, von dem sich später der Fußballverband CBF abspaltete.

Havelange kam stets zur idealen Zeit. 1958 wurde Brasilien erstmals Fußball-Weltmeister, dabei ging der Stern von Edson Arantes do Nascimento auf, der für die nächsten zwei Jahrzehnte den Rasen beherrschte - Künstlername: Pelé. Dreimal gewann die Seleção bis 1970 den WM-Titel. Allein diese Triumphe verhinderten, dass Havelange nicht selbst in das gewaltige Finanzloch stürzte, das er der Verbandskasse beschert hatte. Sogar bei der ab 1963 herrschenden Militärjunta fiel er in Ungnade; ob seiner Amtsführung drohte ihm Mitte der Siebzigerjahre der Verlust der Bürgerrechte. Havelange rettete sich auf einen globalen Posten: Er wurde Fifa-Präsident.

Abgeluchste Stimmen und Topdeals

Schon dieser Coup bei der WM 1974 in Deutschland trug die Zeichen der heranbrechenden neuen Zeit. Dem britischen Amtsinhaber Sir Stanley Rous luchste er in den letzten Stunden vor der Wahl entscheidende Stimmen ab, danach war viel von Korruption die Rede. Der neue Boss setzte der Ära der britischen Gentlemen an der Verbandsspitze in jeder Hinsicht ein jähes Ende. Mit Hilfe des Adidas-Chefs Horst Dassler, selbst eine umstrittene Figur, holte er Coca-Cola als ersten Topsponsor zur Fifa.

Und dazu den Schweizer Marketingmann Blatter, der die neuen Förderprogramme betreute. Wieder war der Zeitpunkt ideal, die Füllhörner von Sponsoren und Fernsehen begannen sich zu öffnen. Ab 1982 lief der Rechteverkauf der Fifa über eine von Dassler gegründete Agentur namens ISL. Die ISL hielt exklusiv die WM-Werberechte, später kamen die TV-Rechte dazu. Dass hinter der Agentur ein schlichtes Korruptionssystem mit enormen Schmiergeldausschüttungen an Havelange und viele andere stand, flog erst Jahrzehnte später auf.

Bei der WM 1982 musste Havelange sein Wahlversprechen an die kleineren Fußball-Länder einlösen und das Turnier von 16 auf 24 Teilnehmer erhöhen. Mit demselben Versprechen sicherte sich der Autokrat, der aus Europa zunehmend angefeindet wurde, 1994 eine letzte Amtszeit; seit der WM 1998 in Frankreich bestreiten 32 Teams das Weltturnier.

Präsident mit fürstlichem Gefolge

Havelange, vielsprachig, Typ Grandseigneur mit wuchtigem Cäsarenkinn und eisblauen Augen, füllte mit seiner Aura Säle. Niemand wagte Widerspruch, die Fifa hielt er eisern im Griff. Während Blatter als Generalsekretär das Tagwerk versah, jettete der Präsident mit fürstlichem Gefolge auf dem Fifa-Ticket durch die Welt und räumte zahllose persönliche Ehrungen ab; darunter drei Erhebungen in den Ritterstand. Bestens abgeschirmt blieb indes Havelanges Geschäftswelt. Havelange hielt Anteile an Bus- und Versicherungsfirmen, die von WM-Geschäften profitierten; der Sohn eines Waffenhändlers war an einer Waffenfabrik beteiligt, die ob ihrer Deals mit Südafrikas Apartheid-Regime und Boliviens Militärjunta attackiert wurde. Eine landesweite Glücksspielermittlung fand Havelanges Name auf der Begünstigtenliste des nationalen Lotto-Paten. Havelange aber blieb in der Heimat unantastbar. 1989 beförderte er seinen Schwiegersohn Ricardo Teixeira, einen verkrachten Finanzjongleur, an die Spitze des Fußballverbands CBF; 1994 holte er ihn in den Fifa-Vorstand. Weitere Verwandte rückten in den CBF; Zug um Zug geriet die Fußballnation in die Hände einer Familie. Auch die Amtsübergabe 1998 an den Adjutanten Blatter war korruptionsumwittert. Ausstaffiert mit Privatbüro und Ehrensold, zog sich der 82-Jährige nach Rio zurück. Die Schatten der Vergangenheit rührten ihn erst zehn Jahre später - als gerichtskundig wurde, dass die 2001 bankrott gegangene ISL über ihr Bestechungssystem insbesondere Havelange und Teixeira mit Millionen versorgt hatte. Ein Verfahren gegen die beiden wegen untreuer Geschäftsbesorgung zum Nachteil der Fifa wurde 2010 nur gegen die Anerkennung der Vorwürfe und Bußzahlungen in Millionenhöhe eingestellt. Als das bekannt wurde - Medien hatten auf die Herausgabe des Einstellungsdokuments geklagt - geriet die Fifa in große Turbulenzen. Und Havelange musste 2013 die Fifa-Ehrenpräsidentschaft abgeben. Erspart blieb ihm auch nicht der Niedergang seiner Protegés, von denen er sich schon abgewandt hatte. Teixeira musste alle Ämter als Chef des CBF und der WM-Organisation 2014 sowie im Fifa-Vorstand abgeben. In Brasilia laufen Korruptionsermittlungen gegen ihn, weil ihn auch das FBI sucht, traute er sich nicht mehr aus dem Land. João Havelange, geboren im Mai 1916, war ein Dinosaurier des Weltsports; er ist zugleich der Urvater der modernen Sportführer geblieben. Das bezeugen die wachsenden Affären um Fifa und IOC. Symbolisch bezeugt es das Olympiastadion in Rio de Janeiro, das seinen Namen trägt. Havelange hat sie einst alle überragt, nun wird er sie alle überleben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: