Fünf Jahre ist es her, dass in der Schweizer Stadt Zug der Strafprozess um den Schmiergeldskandal des Fifa-Vermarkters ISL eingestellt wurde. Aber die Affäre wirkt bis heute nach. Das damals gepflegte Korruptions-Schema bildet die Blaupause für die zahlreichen Durchstechereien, die derzeit von der amerikanischen Justiz rund um den Fußball-Weltverband aufgedeckt werden, mit vorläufigem Schwerpunkt in Lateinamerika.
Schweizer und US-Justiz sind diesbezüglich in engem Kontakt, nach SZ-Informationen soll auch der ISL-Fall selbst wieder aufgerollt werden. Angeblich haben sich verschiedene Anknüpfungspunkte ergeben - und ein Fokus der amerikanischen Ermittler soll auf dem derzeit suspendierten Fifa-Präsidenten Sepp Blatter liegen. Die US-Justiz ist offenbar in Besitz eines bisher unbekannten Schreibens, das von Blatters Amtsvorgänger Jõao Havelange stammen soll und seine Kenntnisse der damaligen ISL-Vorgänge in neuem Licht erscheinen lässt. Das Schweizer Bundesamt für Justiz will das Dokument nicht kommentieren, bestätigt nun aber auf Anfrage, dass die US-Behörden schon im März im Zuge eines Rechtshilfeersuchens auch Strafakten aus dem ISL-Verfahren ersucht hätten. Die BBC zitiert einen Vertreter der US-Bundespolizei mit den Worten, sie würden Havelanges Aussagen überprüfen. Der frühere Fifa-Chef, der selbst Gelder von der Agentur erhielt, soll nach SZ-Informationen in dem Dokument bekräftigen, der damalige Generalsekretär Blatter habe uneingeschränkt Kenntnis über sämtliche Aktivitäten im ISL-Kontext gehabt und sei stets informiert gewesen - damit auch über Durchstechereien. Zugleich soll Havelange die an ihn ergangenen Beträge als Provisionen dargestellt haben. Blatter hat stets jede Verfehlung in der ISL-Affäre von sich gewiesen. In einem SWR-Interview bestritt er am Montagabend erneut, Kenntnis von Bestechungen gehabt zu haben. "Das stimmt nicht", sagte der 79-Jährige. Auch für das Fehlverhalten anderer Fifa-Funktionäre trage er keine Verantwortung. Eingedenk der jüngsten Verhaftungen und weiteren Ermittlungen der US-Justiz sagte Blatter: "Sicher habe ich das nicht gewusst. Wenn ich gewusst hätte, was die machen, hätte ich ein Fragezeichen gemacht, hätte gesagt, hört damit auf. Ich bin sauer. Ich bin aber auch sauer, dass ich für alles verantwortlich sein soll.
Das kann ich ja nicht sein." Die Causa ISL war bis vor kurzem der größte Skandal in der Geschichte der Sportpolitik. Von 1989 bis zum Bankrott der Firma 2001 bestachen die Verantwortlichen des Sportrechtevermarkters Funktionäre des Weltsports mit mindestens 142 Millionen Franken, um sich die TV- und Vermarktungs-Rechte zu sichern. Bei einem Großteil des Geldes ist der Verbleib noch ungewiss. Belegt ist, dass unter den Empfängern mehrere Fifa-Funktionäre waren, vorneweg Havelange und sein Schwiegersohn Ricardo Teixeira. Beide kassierten insgesamt 22 Millionen Franken.
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2010 wurde das Verfahren eingestellt - gegen die Zahlung von 5,5 Millionen Franken, womit die Beschuldigten zugleich ihre objektive Schuld anerkennen mussten. Die Funktionäre Havelange und Teixeira zahlten zusammen drei Millionen Franken, die Fifa selbst musste 2,5 Millionen Franken aufbringen. Sie war im Laufe des Verfahrens vom Opfer zum Beschuldigten geworden, weil sie nicht kooperiert hatte. Für die Schweiz war der Fall damit erledigt, für die Experten des FBI ist er das noch nicht.
Dass Blatter von Zahlungen wusste, steht seit Veröffentlichung der ISL-Einstellungsverfügung im Juli 2012 außer Frage. Im Gerichtspapier ist notiert, wie der Agentur einst ein kurioser Irrtum unterlief. Als eine Tranche über eine Million Franken an Havelange überwiesen wurde, landete das Geld nicht auf dessen Privatkonto - sondern auf einem Fifa-Konto.
Von dort wurde es eilig weiter transferiert. In dem erst auf Mediendruck in der Schweiz hin publizierten ISL-Dokument ist auch zu lesen, dass von der irrlichternden Überweisung an den Weltverband nicht nur Havelange, sondern auch eine Person Kenntnis hatte, die in den teils anonymisierten Gerichtsakten als P1 chiffriert wurde. Und P1 ließ sich unschwer als Blatter identifizieren.
Einen Tag nach Offenlegung der Einstellungsverfügung räumte Blatter in einem Selbst-Interview auf der Fifa-Webseite dann ein, dass er sich hinter dem Kürzel P1 verberge. Im selben Gespräch verharmloste er dies Wissen: Natürlich habe er gewusst, dass "Provisionen" gezahlt worden seien. "Damals konnte man solche Zahlungen als Geschäftsaufwand sogar von den Steuern abziehen. Heute wäre dies strafbar. Ich kann also nicht von einem Delikt gewusst haben, das keins war", erklärte er.
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Bei der Fifa-internen Ethikkommission kam er mit dieser Haltung damals durch. Der Münchner Strafrichter Hans-Joachim Eckert als Chef der Spruchkammer des Ethiker-Gremiums attestierte Blatters lediglich ein "ungeschicktes Verhalten". In der Schweiz erhielt Blatter persönlich auch keine Strafe. Die amerikanischen Behörden sehen das nun offenkundig anders.
Sie interessieren sich nicht nur dafür, ob Blatter von den Schmiergeldzahlungen wusste, sondern auch für die Frage der Verantwortung. Offenkundig geht es ihnen um das Thema "ungetreue Ge schäftsbesorgung". Das spielt schon im Hinblick auf TV-Rechte eine Rolle, die Blatter im Jahr 2005 für einen Spottpreis an den langjährigen Vize-Präsidenten Jack Warner vergab und zu denen die Schweizer Bundesanwaltschaft bereits ermittelt.
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Zudem handelte es sich bei der geleisteten Sanktionszahlung von 2,5 Millionen Franken auch nur um einen Teil des Schadens, der dem Weltverband entstanden war, wie der damals zuständige Staatsanwalt Thomas Hildbrand festhielt. Nun ist zu klären, wer diesen Millionenschaden verursachte, indem er nicht angemessen mit den Ermittlern kooperierte.
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Auch ein anderer Punkt aus Havelanges Darlegungen könnte die US-Ermittler mit Blick auf Blatter interessieren. Nach SZ-Informationen soll der Brasilianer darauf verweisen, dass im von 2008 bis 2010 währenden Zuger Prozess sämtliche Kosten vom Weltverband übernommen worden seien. Da stellt sich die Frage, ob der Fifa ein weiterer finanzieller Nachteil entstand - und auch, wer dafür verantwortlich war.