Taktik des FC Bayern gegen Porto:Brillanz der weißen Schuhe

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Modischer Gau, taktische Brillanz: Pep Guardiola in zerrissener Hose mit seinen Spielern an der Seitenlinie (Foto: AFP)
  • Im Gegensatz zum Hinspiel lässt Pep Guardiola gegen Porto konsequent über die Außen spielen.
  • Philipp Lahm klebt zunächst an der Außenlinie, wechselt dann ins Mittelfeld und später in die Abwehr.
  • Jérôme Boateng und Holger Badstuber überzeugen in der Spieleröffnung, werden von Porto aber auch nicht daran gehindert.
  • Der Plan von Portos Trainer Julen Lopetegui geht dagegen nie auf.

Von Martin Schneider, München

Manuel Neuer sagte nach dem Spiel: "Philipp hat uns heute den Arjen gemacht." Und hatte damit vollkommen recht und vollkommen unrecht. Es stimmte natürlich, Philipp Lahm spielte rechts vorne wie sonst der Niederländer, aber er spielte ganz anders als Arjen Robben. Was allein schon daran lag, dass Lahm im Gegensatz zu Robben seinen rechten Fuß nicht nur zum Sprinten benutzt.

Wenn man dieses Spiel taktisch analysieren will, kommt man an Philipp Lahm natürlich nicht vorbei, aber um zu verstehen, warum der Kapitän plötzlich "den Robben machen soll", muss man sich erst mal das Hinspiel angucken.

Alonso wird einfach nicht mehr angespielt

Da kam Bayern nicht mit dem Pressing der Portguiesen klar. Die vorderste Linie um Ricardo Quaresma und Yacine Brahimi attackierte die Verteidiger extrem früh und Jackson Martinez gab den Leibwächter von Xabi Alonso. Das Hauptproblem des Hinspiels waren aus taktischer Sicht nicht die drei Gegentore (die resultierten zum Teil aus dem Pressing der Portugiesen, entstanden aber hauptsächlich durch individuelle Fehler), sondern dass Bayern - vor allem durch die Eliminierung von Alonso - nie zu einem geregelten Spielaufbau kam. Mal vom Tor durch Thiago abgesehen, hatte das Team von Pep Guardiola keine Torchance. "Im Hinspiel wussten wir nicht, dass sie Alonso zustellen werden. Jetzt wussten wir es", sagte Pep Guardiola auf der Pressekonferenz nach dem 6:1.

Guardiola dachte sich wohl: Wenn sie Alonso zustellen, spielen wir ihn eben nicht mehr an. Wenn das Zentrum dicht ist, verlagern wir das Spiel konsequent auf die Außen. Das ist normalerweise nicht Guardiolas Stil, er predigt die Taktik, wonach man im Zentrum immer mehr Spieler haben muss als der Gegner. Aber in dem Fall war das sehr schlau. Die beiden Stamm-Außenverteidiger Alex Sandro und Danilo (der Real Madrid 31,5 Millionen Euro wert war) des FC Porto waren nach dem Hinspiel gesperrt, stattdessen musste Julen Lopetegui mit Martins Indi und Diego Reyes zwei Notlösungen einbauen.

Porto attackiert nicht so konsequent wie im Hinspiel

Außerdem rückte Holger Badstuber für Dante in die Innenverteidigung. Nun war der linke Verteidiger ein Linksfuß (Badstuber) und der rechte ein Rechtsfuß (Boateng). Warum das wichtig ist, sah man wunderbar in den ersten Minuten. Da das ZDF das Spiel in voller Länge in seiner Mediathek zur Verfügung gestellt hat, kann man Guardiolas Plan sehr gut nachverfolgen.

Er positionierte Philipp Lahm und Mario Götze als Außenspieler quasi auf der Seitenlinie. Johan Cruyff nannte das in früheren Zeiten die Taktik der "weißen Schuhe". Weil Fußballschuhe damals noch schwarz waren und durch die Kreide der Seitenlinie weiß wurden. Damit zog Guardiola das Spiel in die Breite. Weil Porto kein Tor schießen musste, um Weiterzukommen, standen sie viel tiefer als noch im Hinspiel und verzichteten darauf, die Innenverteidiger beim Spielaufbau anzulaufen. Das spielte Bayern in die Karten.

Philipp Lahm klebt an der Außenlinie

Zu Beginn der Partie bestand der Spielaufbau der Münchner fast nur aus Diagonalbällen. Dabei spielte Boateng stets von rechts nach links und zwar in den Minuten 1:03 (auf Götze), 3:50 (Thiago), 6:56 (Götze), und 11:01 (Lewandowski) und Badstuber von links nach rechts in den Minuten 2:13, 8:04 und 8:21 (alle auf Lahm). Das Zentrum bleibt fast leer, weil Alonso dazu da war, Gegner zu binden und Thiago als freies Element immer zu der Seite lief, auf der er gebraucht wurde.

FC Bayern in der Einzelkritik
:Thiago spannt den Portugiesen die Mädchen aus

Bayerns Spanier spielt wie ein zwinkernder Cha-Cha-Cha-Tänzer, Philipp Lahm überrascht als Rechtsaußen und Pep Guardiola vermisst wegen einer gerissenen Hose Dr. Müller-Wohlfahrt. Die Bayern beim 6:1 gegen Porto in der Einzelkritik.

Aus dem Stadion von Thomas Hummel

Das 1:0 war dann eine direkte Folge der Taktik, Porto mit der vollen Breite des Spielfeldes zu schlagen. Badstuber und Boateng stehen vor dem Spielzug tief in der gegnerischen Hälfte und werden trotzdem nicht gestört. Der Ball kommt von Badstuber über Rafinha zu Lahm, der an der Außenlinie klebt und die sehr tief stehenden Gegner auseinanderzieht. Lahm spielt zurück zu Rafinha, der den Ball auf die andere Seite schlägt, wo Götze wartet. Bernat hinterläuft, Flanke, Thiago, Tor.

Der Eckball, der zum 2:0 führt, entsteht aus der gleichen Situation - nur spiegelverkehrt. Boateng spielt den Diagonalball mit der Zwischenstation Lewandowski auf Götze (linke Seite). Juan Bernat schlägt ihn auf Philipp Lahm (rechte Seite), doch statt des direkten Tores, springt eben ein Eckball heraus, den Boateng zum 2:0 verwandelt.

Wie Guardiola tickt, sieht man unter anderem daran, dass er Boateng quasi noch während seines Torjubels neue Anweisungen gibt. Denn nun ist ja eine neue Spielsituation eingetreten. Porto ist mit dem 2:0 ausgeschieden und muss mehr agieren. Die Diagonalbälle bleiben nach Guardiolas Anweisung an Boateng aus. Badstuber und Boateng passen nun die direkten Anspielpartner auf ihrer Seite (Rafinha rechts und Bernat links) an. So fiel dann das 3:0.

Das 4:0 ist fast ein trivialer Treffer

Jackson Martinez, der bisher Xabi Alonso wie im Hinspiel stets gefolgt ist, lässt ihn für einen Moment allein, beziehungsweise deutet bei Minute 26:14 an, dass ihn ein Mitspieler übernehmen soll. Es spricht für die Klasse des 33-Jährigen, dass er die Situation sofort erkennt. Er startet, bekommt den Ball und spielt mit einem Ballkontakt Thiago an. Der mit einem Ballkontakt zu Lahm, ein Ballkontakt zu Müller, ein Ballkontakt zu Lewandowski, ein Ballkontakt ins Netz. Ein Supertor, bei dem sich Philipp Lahm auf der Kreidelinie nach vorne bewegt. Arjen Robben, der ja nach innen ziehen muss, um den Ball auf dem linken Fuß zu haben, hätte das so nicht gekonnt.

Pressestimmen zum Bayern-Sieg
:"Guardioooolé massakriert Porto"

Portugiesische Medien sehen eine "Horror-Halbzeit" und bedauern ein "kolossales Desaster" gegen den FC Bayern. In England attestieren sie dem 6:1 "fast schon perverse Züge".

Das 4:0 ist dagegen fast schon ein trivialer Treffer (abgefälschter Schuss nach gutem Ballgewinn) das 5:0 entsteht aber wiederum aus einer Kombination aus Lahm und Thiago an der Außenlinie - und weil Thomas Müller (wie fast immer) eine Spielsituation schneller erkennt als der Gegner.

Am Ende hat Philipp Lahm fast überall gespielt

Peps Plan, das Zentrum mit dem gedeckten Alonso zu ignorieren und stattdessen zunächst diagonal und dann direkt die Außen einzusetzen, hätte besser nicht aufgehen können. Es bleibt ein Rätsel, warum Portos Trainer Julen Lopetegui nicht wie im Hinspiel seine Stürmer die Bayern-Innenverteidiger aggressiver anlaufen ließ und er trotz zwischenzeitlichen zehn Spielern vorm eigenen Sechzehner keine Kompaktheit herstellten konnte.

Als Porto in der zweiten Hälfte sein System auf eine Dreier-Abwehr umstellte, um über einen zusätzlichen Offensiv-Spieler selbst Druck zu machen (schließlich mussten sie drei Tore schießen), wechselte Philipp Lahm kurzerhand wieder ins Mittelfeld. Was ihn aber nicht daran hinderte, beim Angriff wieder die Außenposition einzunehmen. "Wir haben heute so oft umgestellt, es gab fast keine Position, auf der ich heute nicht spielte", sagte Lahm dann später.

Als Sebastian Rode für Rafinha eingewechselt wurde, rückte Lahm übrigens auf die Rechtsverteidiger-Position. Wahrscheinlich meinte Guardiola genau solche Spiele, als er mal sagte, Lahm sei der intelligenteste Spieler, den er je hatte. Und Guardiola selbst hat erneut bewiesen, dass er seine Mannschaft taktisch flexibel wie kaum ein anderer Trainer auf die jeweiligen Gegebenheiten einstellen kann.

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