Russisches Schwimm-Team:Auffällig anfällig für Doping-Missverständnisse

Lesezeit: 3 min

Nach einer Doping-Sperre rechtzeitig zur WM zurück: die Russin Julija Jefimowa. (Foto: Getty Images)
  • Seit Kasan den Zuschlag für die Schwimm-WM erhielt, gab es 21 russische Dopingfälle. Befürchten müssen die Russen nichts.
  • Präsident Wladimir Putin setzt sich für den Sport in seinem Land ein und erhält den höchsten Orden im internationalen Schwimmsport.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen der WM.

Von Claudio Catuogno, Kasan

Die russische Brustschwimmerin Julija Jefimowa, 23, schob sich über die Leinen in Richtung Beckenrand, stemmte sich aus dem Wettkampfpool und blickte sich um. Schwimm-Weltmeisterschaften in einem Fußballstadion. Gab es auch noch nie. Dort, wo sonst Rubin Kasan seine Heimspiele austrägt, sind jetzt zwei 50- Meter-Becken aufgebaut, eines zum Einschwimmen und eines für die Rennen, dazu eine gigantische Tribüne aus Stahl.

Von hier unten sieht es so aus, als würden die Zuschauerränge bis in den Himmel reichen, und alleine das Podest, auf dem die Medaillen verliehen werden, ist so hoch wie ein Einfamilienhaus. Schon am Montagmorgen ist der Lärm atemberaubend, dabei hat Julija Jefimowa gerade nur ihren Vorlauf über 100 Meter Brust gewonnen und sich für das Halbfinale qualifiziert.

Deutsche bei der Schwimm-WM
:Drei Kugeln Eis sind sicher

Die deutschen Schwimmer haben bei der WM in Kasan nur geringe Medaillenchancen - dafür bieten sie witzige, traurige und wütende Geschichten. Ein Kaderrundgang.

Von Claudio Catuogno

Alles ist riesig, herrlich und wunderbar bei dieser WM in der Hauptstadt der Republik Tartastan. Das ist das, was man sieht.

Manche Dinge sieht man aber auch nicht auf den ersten Blick, man muss sie suchen. So war das zum Beispiel mit dem Dehydroepiandrosteron in Julija Jefimowas Körper, das ihr im Oktober 2013 eine Doping-Sperre einbrachte. 16 Monate, gerade so lang, dass sie in Kasan jetzt wieder an den Start gehen darf. Das anabole Steroid sei ohne Absicht in Jefimowas Körper gelangt, befand der Schwimm-Weltverband Fina, sie habe sich bei einem Nahrungsergänzungsmittel auf die Angaben des Verkäufers verlassen. Mildernde Umstände.

Die Hälfte der betroffenen Athleten ist minderjährig

Tatsächlich ist der regelkonforme Umgang mit Asthmasprays, Hustenstillern, Appetitzüglern, Haarwuchsmitteln und anderen Begleitern des Sportleralltags so kompliziert geworden, dass nicht hinter jedem Dopingfall gleich Betrugsabsicht steckt. Das Problem ist nur, dass russische Schwimmer irgendwie besonders anfällig sein müssen für Missverständnisse und Irrtümer dieser Art.

Schwimm-WM
:Van der Burgh reizt Peaty

Der Südafrikaner Cameron van der Burgh stellt im Vorlauf über 50 Meter Brust den erst vor kurzem aufgestellten Weltrekord von Adam Peaty ein. Die deutschen Schwimmer Hendrik Feldwehr und Alexander Kuhnert erreichen die Halbfinal-Läufe.

Seit Kasan vor sechs Jahren den Zuschlag für die WM bekam, gab es 21 Dopingfälle im russischen Schwimmen. Kein anderes Land kommt annähernd auf so eine Zahl. Die Hälfte der betroffenen Athleten ist minderjährig, 14 Jahre und aufwärts.

Es gibt keinen Grund für die Annahme, dass das offenkundig staatlich abgesicherte Dopingsystem im russischen Sport, das zuletzt eine ARD-Dokumentation offengelegt hat, ausgerechnet um das Schwimmen einen Bogen machen soll. Sogar Witali Mutko hat das Problem im vergangenen Jahr eingestanden: Da sorgte er mit der Warnung für Aufsehen, der russische Schwimmsport stehe "auf Messers Schneide". Mutko hat eigentlich keinen Anlass, den russischen Sport schlecht zu reden, er ist der russische Sportminister. Warum er damals trotzdem Alarm rief? Weil die Lage ernst war, auch für ihn.

Russland stand kurz vor einer Kollektivstrafe - oder doch nicht?

Es gibt in den Fina-Regularien den Absatz 12.1, er besagt, dass der gesamte nationale Verband für ein Jahr suspendiert werden muss, wenn innerhalb eines Zwölf- Monats-Zeitraums vier seiner Athleten Positivtests abliefern. Wobei in diese Rechnung nicht alle Wirkstoffe hineinfallen und es zudem eine Rolle spielt, wer den Fahndungserfolg erzielt hat. Rein nationale Fälle zählen nicht. Trotzdem stand Russland im Sommer 2014 bei drei relevanten Fällen gleichzeitig - ein weiterer hätte die Kollektivsperre zur Folge haben müssen. Aber wäre das wirklich vorstellbar gewesen: dass die Fina erst den russischen Verband suspendiert - und dann mit ihm gemeinsam die WM in Kasan ausrichtet?

Nun, man darf davon ausgehen, dass die Fina schon einen Weg gefunden hätte, diese Peinlichkeit zu umgehen. Selbst wenn es dafür einer anderen Peinlichkeit bedurft hätte - in der Hinsicht ist der Weltverband nicht gerade kleinlich.

Ein Beispiel? Pressekonferenz am Montagabend, eigentlich geht es um die Vorstellung eines Sponsors, eines Matratzenherstellers, aber der Fina-Generalsekretär Cornel Marculescu wird auch nach der Anzahl der Dopingtests in Kasan gefragt. "3000", rechnet er vor. So viele, bei 2500 Athleten? Da kommt Marculescu doch ins Grübeln ("vielleicht sind es auch nur 300"), er muss kurz telefonieren, dann weiß auch er: Etwa 1000 werden es sein. So wichtig ist das Thema den Zuständigen also.

Eher unangemessen fand es ein großer Teil der Schwimmwelt auch, dass Fina- Präsident Julio Maglione, ein 79-jähriger Zahnarzt aus Uruguay, im vergangenen Oktober unbedingt Russlands Staatschef Wladimir Putin den höchsten Fina-Orden verleihen musste. Auf einer internationalen Konferenz namens "Russland - eine Sport-Macht". Nomen est omen. Unter anderem erhielt Putin die Auszeichnung für seine Bemühungen, Schwimm-Wettkämpfe nach Russland zu bringen.

Dass Putin da gerade den Krieg in die Ukraine gebracht hatte, ist für einen Sportverband wie die Fina traditionell kein Grund, auf Orden zu verzichten - "Sport ist keine Politik", konterte Maglione ein paar entsprechende Proteste. Aber warum ist für die Fina auch das russische Doping-Problem, das ja offenkundig in der Politik wurzelt, kein Thema?

Fina verkürzt stillschweigend Doping-Sperre

In Kasan kann es nun sogar zu dem Novum kommen, dass in der russischen Lagen-Staffel gleich drei Athletinnen mitschwimmen, die schon mal des Dopings überführt waren. Neben der zurückgekehrten Jefimowa, Bronze-Gewinnerin bei Olympia 2012, dürfte Daria Ustinowa, 16, die Rücken-Strecke übernehmen - im Alter von 14 wegen Dopings nur gerügt, da noch zu jung für eine Sperre. Und Natalija Lowtsowa ist die schnellste Schmetterlings-Schwimmerin des Landes. Die Fina hat kürzlich stillschweigend ihre Sperre von zweieinhalb auf zwei Jahre reduziert. Lowtsawa hatte angegeben, sie habe lediglich einen Schluck aus der Trinkflasche einer Teamkollegin getrunken, da müsse die verbotene Substanz drin gewesen sein.

Sie werden dann gemeinsam aus der Tür treten, die unten in das gigantische Siegerpodest eingelassen ist. Und man ahnt: Es wird unbeschreiblich laut werden im Fußballstadion von Kasan.

© SZ vom 04.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Schwimm-WM
:Biedermann krault ins Finale

Paul Biedermann kann nicht mit Ryan Lochte mithalten, erreicht aber das WM-Finale über 200 Meter Freistil. Sarah Sjöström und Katinka Hosszu pulverisieren zwei Weltrekorde.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: