Rückkehr in die Startelf:Ich, Schweinsteiger

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Bastian Schweinsteiger kämpft gegen den US-Amerikaner Jermaine Jones um den Ball. (Foto: Getty Images)

Er fordert Pässe, schimpft und zieht Fouls. In seinem 104. Länderspiel demonstriert Bastian Schweinsteiger seine Führungsqualitäten. Trainer und Mitspieler geraten nach dem Sieg gegen die USA ins Schwärmen. Achten aber darauf, einen anderen nicht zu beschädigen.

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Der Mittelfeldspieler der deutschen Mannschaft war unzufrieden: "Wir können mit der Art und Weise, wie wir im zweiten Spiel und teilweise auch heute aufgetreten sind, nicht zufrieden sein. Aber das weiß auch jeder. Wir müssen uns steigern", sagte er. Der Mittelfeldspieler erklärte außerdem, dass die deutsche Mannschaft beim 1:0 gegen die USA bisweilen zu langsam agiert habe, dass zu wenige Spieler den Weg in den Strafraum gefunden hätten. Die Aussagen trafen hier und da einen Punkt. Ungewöhnlich war nur, dass der Mittelfeldspieler, der nach dem Spiel gegen die USA da sprach, gar nicht gespielt hatte.

Sami Khedira stellte sich auch am Donnerstagabend in Recife der Öffentlichkeit. Oft scheuen Ersatzspieler das Reden nach dem Spiel, denn da werden Fragen nach dem Befinden gestellt, und der Spieler muss höllisch aufpassen, nichts Falsches zu sagen. Ein Ersatzspieler, der sich beschwert, ist nirgends gerne gesehen.

Dass sich der Profi von Real Madrid in der Arena Pernambuco dennoch kritisch äußerte, belegt sein Selbstverständnis, ein wichtiger Teil dieser Mannschaft zu sein. Einer, der gehört werden will. Khedira sprach wie immer ruhig und sachlich. Wer wollte, konnte etwas hineininterpretieren. Wer nicht wollte, der interpretierte nicht. In die zweite Gruppe reihte sich sicherlich Bundestrainer Joachim Löw ein. Er schätzt den 27-Jährigen viel zu sehr, als dass er ihm je Bösartigkeit unterstellen würde.

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Bastian Schweinsteiger zeigt, dass er keinesfalls verpflichtet ist, seinen Platz an Sami Khedira abzutreten. Jérôme Boateng erfindet eine neue Spielfigur - und Thomas Müller tut das, was er am besten kann. Das DFB-Team beim 1:0 gegen die USA in der Einzelkritik.

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Einen gelösten Eindruck hinterließ Khedira freilich nicht. "Für mich war einfach der richtige Zeitpunkt, Sami Khedira auch einmal zu schonen", sagte Löw. Nach dessen langwieriger Kreuzband-Verletzung und einer erheblich abbauenden Leistung gegen Ghana war das angebracht. Doch der Spieler wusste die Fürsorge vermutlich nicht zu schätzen. Wer ist schon froh, wenn er während einer Fußball-Weltmeisterschaft auf die Ersatzbank rotiert wird? Vor allem, wenn er sieht, dass sein Stellvertreter eine starke, auffällige Partie macht?

Bastian Schweinsteiger ist mit der größtmöglichen Vehemenz in diesem Turnier aufgetaucht. In Fortaleza gegen Ghana drehten er und Miroslav Klose nach ihrer Einwechslung den Gang der Dinge und retteten ein Remis. Gegen die Amerikaner durfte der 29-Jährige von Beginn an auf den Platz und wirkte, als wollte er das Spiel ganz alleine lenken.

Schweinsteiger forderte Pässe von den Mitspielern. Er schimpfte, wenn diese nicht entschlossen genug nach vorne spielten. Als ihn Jermaine Jones bei einem Konter am Trikot zog und niederriss, debattierte er lange mit dem Schiedsrichter, der das nicht geahndet hatte. Und wenn nicht alles täuscht, darf ein späteres Foul gegen Jones durchaus als kleine Revanche angesehen werden. Clint Dempsey stellte seinen Körper einmal als Rammbock in Schweinsteigers Laufweg, kurz darauf stand Schweinsteiger auf Dempseys Fuß. Auf dem Weg in die Halbzeitpause gerieten die beiden daraufhin in einen intensiven Streit.

Es wirkte wie eine Mission: Ich, Schweinsteiger, zeige heute, wer Herr auf dem Platz ist. Schließlich ist das mein 104. Länderspiel, und es kann nicht angehen, dass da bei dieser WM keine mehr dazukommen. Er hatte in der ersten Hälfte die meisten Ballkontakte aller Spieler und Anteil daran, dass die Deutschen Ball und Gegner kontrollierten. Und er nahm die Aufforderung des Bundestrainers wortwörtlich, dass die Spieler gegen die USA körperlich dagegenhalten müssten. Bastian Schweinsteiger hielt dagegen. Auch wenn es wehtat.

Nach der Pause sensten ihn zuerst Bedoya und dann Beckerman um, und bald schon ließ die Kraft nach. Schließlich war auch Schweinsteiger lange verletzt gewesen in den vergangenen Monaten. Bis zu seinen zwei dynamischen Auftritten bei dieser WM wusste eigentlich niemand so recht, wie belastbar der Münchner ist. Vielleicht wusste er es selbst nicht so genau. Da Bastian Schweinsteiger bekanntlich nicht mit der Öffentlichkeit spricht, weiß niemand außerhalb der deutschen Mannschaftsanlage, ob er es weiß.

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Mesut Özil gibt sich mit dem Achtelfinaleinzug nicht zufrieden. Bundestrainer Löw ärgert sich über verpasste Chancen. US-Coach Jürgen Klinsmann sieht bei seiner Mannschaft noch Steigerungspotential.

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Dafür sprachen in Recife andere über ihn. "Er war kämpferisch, solange seine Kräfte gereicht haben, sehr gut, hatte ein hohes Laufpensum und war auch dafür verantwortlich, dass wir eine gute Organisation hatten", urteilte der Bundestrainer. Per Mertesacker meinte: "Er ist superwichtig, bringt eine große Erfahrung mit." Sein Bayern- und Youtube-Kumpel Manuel Neuer sagte: "Er hat's gut gemacht. Er ist ein Stratege, kontrolliert das Spiel, gibt den Rhythmus vor. Das tut uns gut, wenn jemand die Kontrolle hat. Man merkt, dass er wieder da ist." Toni Kroos erklärte zum Mittelfelddreieck mit Philipp Lahm, Schweinsteiger und ihm selbst: "Wir haben das sehr oft gespielt zu dritt bei Bayern, wir harmonieren da gut."

Fast alle Beteiligten achteten aber penibel darauf, dass mit dem Lob für Schweinsteiger nicht ein anderer beschädigt wird. "Wir sind eine Mannschaft, wir sind ein Team, da gehören alle dazu. Da müssen alle ihre Leistung bringen", sagte Lahm. Es wäre auch unverantwortlich, nun Schweinsteiger in den Olymp zu loben und damit zum Beispiel Sami Khedira in die Schublade "verzichtbar" zu stecken. Kann gut sein, dass schon während des Achtelfinals in vier Tagen gegen Algerien plötzlich Schweinsteiger in ein Leistungsloch gerät. Bei ihm kommen Schwankungen durchaus vor.

Dann müsste wieder Khedira ran. Es ist das erste WM-Jobsharing der deutschen WM-Geschichte. Sie teilen sich sogar nach dem Spiel die Aufgaben: Der eine spricht, der andere nicht.

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