Neymar beim FC Barcelona:Er tanzt so leicht und frei

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Neymar jubelte auch im Hinspiel gegen den FC Bayern. (Foto: dpa)

Neymar erlebt beim FC Barcelona, was die Spanier eine "Explosion" nennen: die volle Entfaltung seines Talents. Und doch verzichtet er auf manches Kunststückchen, das er eigentlich beherrscht.

Von Oliver Meiler, Barcelona

Manche Zugabe hat die Wucht eines Gnadenstoßes, mag sie auch in der Eleganz geboren sein, verfeinert von einer künstlerischen Finte. Es lief schon die 94. Minute im Hinspiel Barças gegen die Bayern, da durchmaß Neymar Junior mit ausladenden Schritten das halbe Spielfeld, präsentierte sich vor Manuel Neuer, deutete einen Torschuss an, ließ den Fuß kurz hängen, zog ihn nach, schoss dann doch. Alles in einer schnellen Bewegung, in einer fließenden Geste.

Es gibt keine verbindlichen Bilder, die dieses Tor zum 3:0, zu dieser Ergebnisextravaganz, eindeutig als Beinschuss ausweisen würden. Metaphorisch funktioniert das Bild aber ganz gut. "Ney" düpierte wohl auch die letzten feinen Hoffnungen der Münchner. Seine Zugabe zwingt sie zur Öffnung von Schleusen und Räumen, zum Risikospiel - auch, wenn sie erst mal kontrolliert spielen wollen.

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Und dieses Risiko verdichtet sich nicht nur in Lionel Messi, der aus dem Spiel eine veritable Messiade gemacht hatte, oder in Luis Suárez, der sich seine Chancen mit dem Biss eines Boxers erkämpft, sondern eben auch in diesem 23 Jahre alten Brasilianer mit dem ungemein markttauglichen Lächeln und der Kälte des Vollenders. Nichts behagt ihm mehr, als wenn er mal etwas mehr Platz hat in seiner Arbeitszone, auf der linken Außenbahn, Barças fröhlicher Flanke.

Neymar erlebt gerade, was die Spanier eine "Explosion" nennen. Gemeint ist die volle Entfaltung seines Talents, gepaart mit der nötigen Dosis an statistisch Registrierbarem: Rechnet man alle Wettbewerbe, hat er nun schon 50 Tore erzielt für den FC Barcelona, dem er bald zwei Jahre angehört. In dieser Saison allein kamen schon 35 Treffer zusammen. Von allen Sturmpartnern, die Messi über die Jahre beiseite gestellt worden waren, schaffte nur Samuel Eto'o einmal noch ein Saisontor mehr. Und es bleiben ja noch einige Gelegenheiten, um diese Marke zu übertreffen. Mehr noch als die zählbare Ausbeute begeistert in Barcelona aber diese Symbiose zwischen Leo und Ney. Auch davon gibt es ein hübsches Bild aus dem Hinspiel. Da zerren sich die beiden beim Jubel gegenseitig zu Boden: Man hat Messi selten so herzhaft lachen sehen, so erlöst.

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Als Neymar im Sommer 2013 vom FC Santos zu Barça stieß, drohte eher eine Wiederholung früherer Verkrampfungen. Zumal der Brasilianer ja recht unverhohlen als Messis Erbe in spe engagiert worden war, mit viel Vorlauf: Der Argentinier war damals erst 26 Jahre alt. Die Missstimmung wurde noch von der Kunde verstärkt, dass sich der junge Zugang ein stattliches Gehalt ausgehandelt hatte, allzu nahe dran an jenem sehr großzügig bemessenen Salär des Vereinsheiligen.

Barça zahlte auch mehr als 300 000 Euro, um Neymar und seine Kindheitsfreunde im Privatjet nach Barcelona zur Präsentation des Spielers zu fliegen. Ein Riesenzirkus wurde da veranstaltet. Der damalige Präsident des Klubs, Sandro Rosell, sagte einmal, das sei ganz normal bei Transfers "solcher Spieler". Bald sollte bekannt werden, dass er nicht nur 57 Millionen Euro für Neymar bezahlt hatte, wie er es dem Finanzamt gemeldet hatte, sondern wohl etwa 90 Millionen.

Da kam also ein gemachter und moderner Star, ein Popstar aus dem aufstrebenden Brasilien. Ein Mann mit Charisma und Millionen von Followern in den sozialen Netzwerken, deren Anhängerschaft er mit immer neuen Selfies nährt, denen er musikalische und modische Vorlieben offenbart. Zudem hatte Neymar schon ein beträchtliches Portfolio an Marken, die mit ihm warben, bevor er übersiedelte. Nun sollten aber schnell weitere dazukommen: eine Autofirma, ein Handylabel, Kosmetikprodukte. Sie schwören auf dieses Lachen, auf die Frische von Neymars Optimismus, auf dessen Leichtigkeit. Seine Lebensmottos trägt er auf der Haut, eingraviert: "Tudo passa", steht auf seinem Hals - etwa: "Alles wird gut." Oder dieses Tattoo: "Life is a joke" - "das Leben ist ein Scherz."

Ganz so spielend einfach war sein neues Leben zunächst aber nicht. Neymar nahm einige seiner "Toiss", wie er die Kameraden aus São Paulo mit einer Wortkreation nennt, mit nach Barcelona, wo sie seitdem mit ihm und seinen Verwandten leben. Er brauche sie für die Bewirtung seines emotionalen Haushalts, hieß es, zur Abfederung der Wehmut nach Brasilien. Oft widmet er ihnen seine Tore, formt die Arme zu einem "T" - für "Toiss". Zuweilen zeigt er sich auch mit seinem Sohn, dem drei Jahre alten Davi Lucca, der die meiste Zeit mit seiner Mutter in Santos lebt, in einem Penthouse, das er ihnen für eine Million Dollar gekauft hat. Der Kleine ist die Frucht einer kurzen Liebe. Sie war 17, als sie schwanger wurde, er war 19. Geplant war das wohl nicht so, aber man steht zueinander. Er überweist pro Monat 15 000 Dollar.

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Neymar musste sich in Barcelona schnell unterordnen. Heute sagt er, das sei ihm leicht gefallen, Messi sei schließlich der größte Fußballer, den er je am Werk gesehen habe, er lerne jeden Tag von ihm. Doch aus seiner Entourage konnte man zu Beginn hören, Neymar habe sich zum Ziel gesetzt, binnen zweier Jahren den Besten abgelöst zu haben. Europa war hart, und Neymar war ein körperliches Leichtgewicht. Er fiel in den Anfängen oft hin, wenn ihn die gegnerischen Verteidiger anrempelten, simulierte, führte Schwalben in Serie vor. Er war zwar schnell, hatte alle Tricks für ein spektakuläres Spiel. Doch die brasilianischen Rhythmen waren nun einmal bedächtiger gewesen. Die erste Saison beendete Neymar mit 15 Toren, ein ganzes Stück unter der Erwartung.

Nun aber ist er gewachsen, auch förmlich: im Kraftraum. Im vorigen Jahr legte er fünf Kilogramm Körpergewicht zu. Seine Beine sind muskulöser, sein Oberkörper wirkt robuster. "Ney" fällt nicht mehr ständig hin, hält im Duell mit den Grobianen dagegen. Er verzichtet nun auch schon mal auf Kunststückchen, die er als ehemaliger Hallenspieler wunderbar beherrscht, die aber von der Taktik ablenken.

Leicht fällt ihm das nicht, er ist ja ein fußballerischer Anarchist. Doch der Segen eines funktionierenden Kollektivs leuchtet ihm ein. Seit Messi über rechts kommt und dort ganze Kohorten von Gegenspielern anlockt, hat Neymar links plötzlich viel mehr Platz als früher - Raum für diese fröhlichen Sturmläufe mit ausladenden Schritten und feinen Körpertäuschungen. Es sieht nach Tanz aus, leicht und frei. Und genau so ist es gedacht.

© SZ vom 12.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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