Nationaltrainer-Suche in England:Harry, der schläfrige Bär

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Auf der Insel ist man sich einig: Tottenhams Trainer Harry Redknapp, der gerade ein dubioses Steuerverfahren überstanden hat, ist der perfekte Kandidat für den vakanten Job des englischen Nationalcoaches - obwohl er weder schreiben noch riechen kann.

Christian Zaschke, London

Der Mann, der aller Wahrscheinlichkeit nach Englands nächster Fußball-Nationaltrainer wird, kann nicht schreiben und nicht riechen. Schreiben hat Harry Redknapp nie gelernt, seinen Geruchssinn verlor er bei einem Autounfall im Jahr 1990 in Italien. Ein Freund zog ihn damals bewusstlos und benzinüberströmt aus dem Wrack. Als die Sanitäter die Unfallstelle erreichten, hielten sie Redknapp für tot und legten eine Decke über ihn. Doch der heute 64 Jahre alte Redknapp ist zäh, er überlebte. Außer dem fehlenden Geruchssinn erinnert ihn heute nur noch ein kleiner Tick im Gesicht an den furchtbaren Unfall.

Harry Redknapp hat allen Grund zum Jubeln: Sein Team ist Dritter der englischen Liga. (Foto: AFP)

Dieser Tick und seine bisweilen auf halbmast hängenden Augenlider sind dafür verantwortlich, dass Redknapp manchmal ein bisschen dämlich wirkt. Wenn er zum Beispiel vor einem Wäldchen aus Mikrofonen sitzt und darauf wartet, dass die Pressekonferenz beginnt: Dann sieht er aus wie ein schläfriger Bär, der sich fragt, wo zum Teufel er nochmal den Honig versteckt hat. Aber Harry Redknapp ist nicht dämlich. Er ist freundlich, witzig, herzlich und der derzeit beste englische Fußballtrainer.

Dass er nun der im Grunde einzige Kandidat für die Nachfolge des zurückgetretenen Fabio Capello ist, entspringt einer erstaunlichen Fügung. Am Mittwochmorgen wurde Redknapp vom Vorwurf der Steuerhinterziehung freigesprochen. Schon lange gilt er als Kandidat für den Posten des Nationaltrainers, doch solange die Steuersache nicht entschieden war, kam er nicht infrage. Am Mittwochabend trat Capello zurück. Es war ein bewegender Tag für Redknapp: Morgens war er als mutmaßlicher Steuersünder aufgewacht. Abends ging er als mutmaßlicher Nationaltrainer ins Bett.

Dass Redknapps Verfahren mit einem Freispruch enden würde, war alles andere als sicher. Dafür war die Geschichte zu dubios. Als Trainer des FC Portsmouth hatte er 2002 in Monaco ein Konto unter dem Namen seines Hundes eröffnet ("Rosie 46"). Auf dieses Konto hatte der damalige Chef des Klubs, Milan Mandaric, 189 500 Pfund eingezahlt. Zu klären war, ob es sich um eine Aufmerksamkeit des Bosses handelte, die steuerfrei war - oder unter anderem um Redknapps Anteil am Verkauf des Stürmers Peter Crouch. Einem Reporter hatte Redknapp erzählt, er habe einen Teil des Geldes als Provision für den Transfer erhalten. Vor Gericht erklärte er, er habe den Reporter belogen, um ihn loszuwerden.

Im Verfahren offenbarte Redknapp, dass er seine finanziellen Angelegenheiten nicht selber regele, weil er dazu nicht in der Lage sei. Ganz einfach deshalb, weil er nicht schreiben könne. Er habe nie einen Brief oder eine SMS geschrieben, er wisse nicht, was eine E-Mail ist. Er könne nicht mal den Spielberichtsbogen ausfüllen - was langjährige Begleiter bestätigen. Zudem habe er seine Steuern immer bezahlt, er habe es schlicht nicht nötig, Steuern zu hinterziehen. Redknapp und Mandaric wurden freigesprochen. Das Verfahren zog sich mehrere Jahre hin und hat den britischen Steuerzahler acht Millionen Pfund gekostet.

Die Koinzidenz von Freispruch und Rücktritt hat in England eine Welle der Begeisterung für Redknapp ausgelöst. Sämtliche Boulevardzeitungen fordern, er müsse Capellos Nachfolger werden, Nationalspieler wie Wayne Rooney und Rio Ferdinand sprachen sich über Twitter für den Coach aus. Kollegen aus dem In- und Ausland - darunter Sven-Göran Eriksson und Carlo Ancelotti - lobten Redknapps hervorragende Arbeit.

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Sämtliche Nationaltrainer seit dem WM Sieg 1966 sind früher oder später in Ungnade gefallen. Aber Redknapp, so die einhellige Meinung, könnte England zu neuen Erfolgen führen. Alles sieht also nach einer schnellen Einsetzung aus, wäre da nicht dieses Problem: Redknapp steht bis 2013 bei Tottenham Hotspur unter Vertrag und erlebt dort gerade die beste Zeit seiner Karriere.

Nach dem Rücktritt von Fabio Capello ist man in England eifrig auf Trainersuche. (Foto: AFP)

Ich fühle mich extrem geschmeichelt", sagte Redknapp am Freitag auf der Pressekonferenz des Klubs, "viele Menschen haben sehr nette Dinge über mich gesagt. Aber ich muss mich auf Tottenham konzentrieren." Der Klub ist Tabellendritter hinter den beiden Teams aus Manchester, und an diesem Samstag steht das Spiel gegen Newcastle United an. "Es wäre nicht fair dem Verein gegenüber, wenn ich jetzt an etwas anderes denken würde", sagte Redknapp.

Tottenham hat während der Steuerverfahrens immer zu Redknapp gestanden. Die Champions-League-Qualifikation ist so gut wie sicher, und vielleicht können die Spurs die Spitze noch angreifen. Sie spielen schönen, mitreißenden Fußball. Redknapp gilt nicht als großer Taktiker, aber als Trainer mit einem exzellenten Auge für die Gruppe. Er weiß, welche Spieler zusammenpassen, das hat er auf all seinen Stationen bewiesen, seit er seine Trainer-Laufbahn - nach einer unauffälligen Karriere als Profifußballer - 1983 in Bournemouth begann. Es gibt keinen Grund für ihn, Tottenham zu verlassen. Außer natürlich den, dass der Posten des Nationaltrainers sein Traumjob ist.

Der englische Verband wird in den kommenden Tagen an Redknapp herantreten. Er würde sich das durchaus anhören, sagte Redknapp am Freitag. Möglich ist, dass er den Posten lediglich für die EM ausfüllt. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass er sein Glück in Tottenham am Saisonende verlässt und den zwar begehrtesten, aber undankbarsten Job des Landes übernimmt.

© SZ vom 11.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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