Vor Männerfinale bei den US Open:Angriff aus dem Djokovic-Lager

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Greift nach dem Titel bei den US Open: Novak Djokovic. (Foto: REUTERS)
  • Roger Federer fehle der Respekt, erklärt Novak Djokovics Trainer Boris Becker, nachdem der Schweizer immer häufiger diesen Halbvolley-Return zeigt.
  • Bei diesem Finale geht es längst um mehr als nur um den Titel.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen bei den US Open.

Von Jürgen Schmieder, New York

In jedem handelsüblichen Western gibt es dieses Duell in der Mittagssonne. Die beiden Desperados, die einander den kompletten Film über gesucht haben, stehen sich nun endlich gegenüber. Will der Regisseur noch einen kleinen Witz einbauen, dann knallen beide auf dem Weg zur Main Street noch jeweils einen ab, der das Gefecht verhindern möchte. Dann stehen sie sich gegenüber, mit zusammengekniffenen Augen, vielleicht erinnern sie sich wie Charles Bronson und Henry Fonda in "Spiel mir das Lied vom Tod" daran, dass diese Begegnung unvermeidlich war und dass nun einer sterben muss.

Bei den US Open wird freilich zwar zum Glück niemand abgeknallt, er kann allerdings vom Platz geschossen werden - und irgendwie sind Marin Cilic und Stan Wawrinka zwei bedauernswerte Menschen gewesen am Halbfinalabend. Sie hatten doch tatsächlich versucht, sich diesen beiden Pistoleros in den Weg zu stellen, sie wurden dafür hart bestraft: Wawrinka verlor gegen seinen Landsmann mit 4:6, 3:6, 1:6, Cilic gar mit 0:6, 1:6, 2:6. Es war genau so schlimm für die beiden, wie es sich liest.

US Open
:Djokovic und Federer im Finale

Das Traumfinale der US Open ist perfekt: Novak Djokovic deklassiert Titelverteidiger Marin Cilic, Roger Federer zeigt seinem Landsmann Stan Wawrinka die Grenzen auf.

Roger Federer und Novak Djokovic sind derart locker durch das Turnier spaziert, dass diese Begegnung unvermeidlich gewesen ist. Nun treffen sie sich. Endlich. Nicht um zwölf Uhr, sondern am Nachmittag (frühestens 21 Uhr MESZ, live in Eurosport). Ihre Arena wird das Arthur-Ashe-Stadion in New York sein. Die beiden sind freilich keine Desperados, sie sind Gesetzeshüter, die sich nun darum duellieren werden, wer ein Jahr lang den Sheriffstern wird tragen dürfen. "Ich mag die Farbe, dieses Silber", hat Federer vor ein paar Tagen gesagt: "Ich hätte gern noch einen." Er hat die Trophäe schon fünf Mal gewonnen, zwischen 2004 und 2008 war er unantastbar, seit 2010 jedoch hatte er das Finale nicht mehr erreichen können. "Meiner Meinung nach ist das gar nicht so lange her", sagt Federer: "Ich hoffe, dass sich die Leute freuen, dass ich nach sechs Jahren mal wieder im Finale stehe."

Die beiden treffen schon zum 42. Mal aufeinander

Die Leute freuen sich. Und wie. Wenn die Menschen keinen Landsmann anfeuern müssen, dann halten sie gewöhnlich zum Außenseiter - außer bei den Partien von Federer. Und wenn sie wie im Achtelfinale einen Landsmann (John Isner) anfeuern dürften, dann halten dennoch 80 Prozent zu Federer. "Ich hatte mal ein Finale gegen Andre Agassi (2005, Anm.), da waren die Leute total für ihn", sagt Federer: "Es würde mich schon beflügeln und mir zusätzliche Energie geben, wenn mehr Leute auf meiner Seite wären."

Eine Floskel mit der Bitte um Unterstützung durch das Publikum, gewiss, und doch zeigt dieser Satz, dass es beim 42. Duell der beiden - bislang hat Federer 21 Mal gewonnen, Djokovic 20 Mal - um viel mehr geht als nur um den Titel bei den US Open. Die beiden haben den jeweils anderen in Partien aller drei Grand-Slam-Turniere besiegt, bei diesen bedeutenden Turnieren führt Djokovic mit 7:6. Seit neun Jahren - die erste Partie gewann Federer im Frühjahr 2006 in Monte Carlo - messen sich die beiden nun. Das Finale in Wimbledon in diesem Jahr gewann Djokovic, im Endspiel von Cincinnati vor wenigen Wochen dann siegte Federer und präsentierte sich in beeindruckender Form.

Es geht längst nicht mehr nur um Titel bei den beiden (Federer hat 17 Grand-Slam-Turniere gewonnen, Djokovic neun), es geht um Respekt - auch wenn Djokovic' Trainer Boris Becker sagt: "Es geht nun erst einmal darum, das dritte Grand-Slam-Turnier in diesem Jahr zu gewinnen. Dann kommen auch Respekt und Anerkennung, wenn er den anderen immer näher kommt. Aber erst einmal geht es nur um den Titel."

Vor allem Djokovic scheint aber mit seinem Platz in der Geschichte nicht so recht zufrieden zu sein. Natürlich lobt er seinen Gegner vor dem Finale ("Er spielt immer großartig. Er ist schneller geworden, er hat seine Defensive verbessert, er spielt aggressiver und variabler"), aber er hätte sich sicherlich auch gefreut, wenn Federer ein wenig mehr gesagt hätte als: "Novak ist ein großartiger Spieler." Djokovic hat in diesem Jahr alle Grand-Slam-Finals erreicht, er hat bislang zwei davon gewonnen - doch der präsentere Spieler bei diesen US Open, auch aufgrund der geschickten Vermarktung des Ausrüsters, das ist Roger Federer.

Er scheint derzeit ein bisschen zu verzweifeln an der Beliebtheit von Federer, der augenscheinlich jede Aktion von Djokovic zu kontern weiß. Da holt der Serbe nach einer Partie einen Fan von der Tribüne und tanzt mit ihm das Lied Gangnam Style - doch was macht Federer? Der rettet einen weinenden Jungen aus einer Schar von Autogrammjägern, umarmt ihn und signiert dessen Mütze. Kurz darauf wird Federer auf dem Broadway gesehen, wie er während einer Aufführung von Finding Neverland weint. Und danach wünscht er einem Pärchen viel Glück, das sich während seiner Partie auf eine Heirat verständigt hat. Wie soll man das übertreffen?

Boris Becker nennt sie "respektlos"

Dazu passt auch dieser Halbvolley-Return, diese Sneak Attack by Roger (SABR) - eine taktische Variante, die Federer weniger als fünf Mal pro Partie wählt und bei einem Aufschlag des Gegners mutig ans Netz stürmt. Natürlich ist das eine Flegelei, die den Gegner aus dem Rhythmus bringen soll - doch das Publikum liebt sie und raunt schon gespannt, wenn Federer beim Ballwurf des Kontrahenten ein paar Schritte nach vorne macht. Selbst ein amerikanischer Reporter, der gewöhnlich kritische Fragen stellt, sagt während einer Pressekonferenz: "Wir sind verrückt nach SABR!" Worauf Federer antwortet: "Na gut, dann mache ich das öfter."

Djokovic freilich hält nicht besonders viel von dieser raffinierten Attacke, sein Trainer Boris Becker - der früher selbst die harmlosere Variante pflegte, das altertümliche chip & charge - nannte sie gar "respektlos gegenüber den Kontrahenten". Ergänzend sagte er am Samstag, "in der Kabine wird darüber diskutiert. Bei jedem anderen Spieler würde es kritisiert werden, nur bei Federer traut sich niemand. Zu diesen Menschen gehöre ich nicht." Djokovic wollte lange nichts dazu sagen, er will ja nicht als Spielverderber gelten, vor dem Finale dann gab er doch zu, dass es ihn nervt: "Es hat ein paar Mal geklappt. Es ist ein aufregender Schlag für ihn - für den Spieler auf der anderen Seite des Netzes nicht so sehr. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen."

Natürlich mögen die Menschen in New York Novak Djokovic, doch sie lieben Roger Federer. In dieser Westernstadt des Männertennis bewegt sich der einstige Revolverheld Rafael Nadal langsam auf den Saloon zu, Andy Murray hockt gerade genervt auf den Stufen zum Eingang des Waffenschmieds. Federer ist 34 Jahre alt, er wird sich auch nicht mehr unendlich lange auf der Hauptstraße duellieren wollen. Djokovic ist 28, er kann einige Jahre spielen. Wer weiß: Vielleicht wird er sich in wenigen Jahren einen wie Federer wünschen, mit dem er sich in den größten Arenen der Welt zu packenden Fünf-Satz-Spielen treffen kann.

© SZ vom 13.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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