Handball-WM: Heiner Brand:Tanz mit Zwischenton

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Bundestrainer Heiner Brand brennt noch für sein Team - aber er will, dass es auch für ihn brennt. In der WM-Hauptrunde geht es für die DHB-Auswahl um mehr als eine passable Platzierung bei diesem Turnier.

Christian Zaschke, Jönköping

Wenn Heiner Brand nach einem Spiel der deutschen Handballer seinen Bass anwirft und im Takt eines Schiffsdiesels die Partie analysiert, ist es unvorstellbar, welchen Tanz dieser Mann bisweilen an der Seitenlinie aufführt. Die Schrittfolge dieses Tanzes ist leicht, da er auf engem Raum stattfindet, sie besteht aus ein paar kurzen Tripplern.

Bartträger mit Trainergestik: Heiner Brand geht bei dieser WM gewohnt engagiert mit seiner Mannschaft mit. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Dazu federt Brand leicht in den Knien. Wichtig ist die Arbeit mit den Armen, Brand hebt sie zunächst gleichzeitig über Kopfhöhe, dann streckt er sie vor dem Körper aus, nach einer Phase des allgemeinen Fuchtelns folgt dann entweder das Schulterzucken mit seitlich leicht abgewinkelten Armen in Richtung Kampfgericht oder der kurze Bartstreichler.

Sollte dieser Tanz jemals Eingang in die internationalen Diskotheken finden (oder gar ins Repertoire der Standard-Tänze aufgenommen werden), so hieße er selbstverständlich "Brand". Er ist vielleicht als Paartanz eher ungeeignet, aber der Brand ist ein Tanz voller Leben, voller Leidenschaft, man kann sogar soweit gehen zu sagen, es ist ein Tanz der Liebe. Der Liebe für das seltsame Spiel namens Handball.

In der Vorrunde dieser WM wurde der Brand von seinem Erfinder und Namenspatron (und bisher einzigem Meister) sehr häufig zur Aufführung gebracht, was daran lag, dass die deutsche Nationalmannschaft ihren Trainer sehr in Wallung brachte. Sie spielte so ganz anders als abgesprochen, sie reihte leichte Fehler an dumme Fehler, und einmal, im Spiel gegen Frankreich, ließ sie sich einfach hängen.

Da ist Brand aufgesprungen und hat den Tanz so rasant interpretiert wie nie. Er ist jetzt 58 Jahre alt, er hat sich einen schwingenden, fast schlurfenden, sehr gemütlich wirkenden Seemannsgang angewöhnt, sein Bass wird jedes Jahr noch ein bisschen tiefer, sein Vortrag immer noch ein bisschen schiffsdieseliger, aber sein Tanz, der wird immer schneller, immer lebendiger, immer mitreißender.

Das liegt daran, dass Brand mit seiner Mannschaft arbeiten muss wie seit den Anfängen seiner Zeit als Bundestrainer nicht mehr. 1997 übernahm er den Posten, der deutsche Handball lag am Boden. Ganz allmählich baute Brand eine Mannschaft auf, und als endlich, nach vielen Jahren und Enttäuschungen, bei der EM in Slowenien 2004 der erste Titel folgte, stand Brand in der Nacht von Ljubljana und sagte gerührt:"So stelle ich mir Mannschaftssport in seiner Idealform vor. Die Mannschaft hat sich selbst übernommen. Im Grunde braucht sie mich nicht mehr."

Natürlich brauchte sie ihn, was Brand meinte war: Die Mannschaft machte genau, was er wollte, ohne dass er ein Wort sagen musste. Dumm nur, dass diese Mannschaft wenig später, nach den Olympischen Spielen im gleichen Jahr, größtenteils zurücktrat.

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Bei dieser WM schätzen die sogenannten Kampfgerichte den Brand (als Tanz) bisher gering, wann immer der Bundestrainer aufspringt und die Aufführung beginnt, erhebt sich einer der arthritisch wirkenden Kampfrichter von seinem Kampfgerichtsstuhl hinter dem Kampfgerichtstischchen und droht mit einem Strafzettelgesicht eine Verwarnung an. Einmal brüllte Brand einen der drohenden Kampfrichter an: "Man wird doch noch miteinander reden dürfen!" Denn das ist der tiefere Sinn von Brands Tänzen: Er versucht, mit der Mannschaft zu kommunizieren, er will sie mal antreiben und aufwecken, mal beruhigen und beschwichtigen, er spricht ihr Mut zu, er fordert sie.

Auch für einen ordentlichen Anpfiff ist sich der Bundestrainer nicht zu schade. Zu spüren bekam das beispielsweise Michael Kraus. (Foto: REUTERS)

Brand lebt mit dieser Mannschaft, und wer ihn in Schweden hat tanzen sehen, der hat eine Antwort erhalten auf die Frage, ob Brand noch motiviert ist nach all den Jahren. Ob er noch das Feuer hat, und ob er gewillt ist, weiterhin mit einer Mannschaft zu arbeiten, die manchmal selbst dann nicht das tut, was er will, wenn er es ihr sagt, erklärt, erläutert, darlegt, aufmalt, schriftlich gibt und eben vortanzt.

Nur nach dem Spiel gegen Frankreich, als die Mannschaft sich hatte hängen lassen, war erstmals ein Hauch von Resignation an ihm zu spüren. Es gab keine äußeren Zeichen, es war nicht so, dass die Enden des buschigen Schnäuzers plötzlich ankerkettenschwer zum Boden zeigten. Es war ein Zwischenton, der sich in den Bass geschlichen hatte, dessen Klang zu bedeuten schien: Wenn ihr nicht wollt, dann habe ich damit kein Problem; aber dann macht ihr das künftig ohne mich.

Ob er an Rücktritt gedacht hat, falls die Mannschaft sich nicht gegen Tunesien so engagiert gezeigt und die Hauptrunde erreicht hätte? "Da war hier einfach nicht die Zeit", sagt Brand, "aber ich habe mir in den letzten Wochen und Monaten natürlich viele Gedanken gemacht." Er legt eine Pause ein. Dann sagt er: "Es wäre sicherlich schwer vorstellbar, noch einmal ganz von vorn anzufangen." Ganz von vorn - das hieße, dass sich die Mannschaft nicht für die Olympischen Spiele 2012 qualifizieren würde. Um die Qualifikationsrunde zu erreichen, muss sie in Schweden mindestens Siebter werden, anschließend gibt es noch eine kleine Chance bei der nächsten EM.

Von den Hauptrundenspielen gegen Island an diesem Samstag (18.30 Uhr, live im ZDF) und gegen Ungarn sowie Norwegen muss sie mindestens zwei gewinnen, um das Spiel um Platz sieben zu erreichen. Anders als bei der enttäuschenden EM im vergangenen Jahr steht also diesmal wirklich etwas auf dem Spiel, unter Umständen sogar die Zukunft des Brands, als Trainer und als Tanz.

Für die Nationalmannschaft bedeutet das: Sie muss einerseits erreichen, dass der Bundestrainer in Schweden weniger tanzt, und andererseits verhindern, dass er bald gar nicht mehr tanzt. Denn das wäre aus sportlicher und aus ästhetischer Sicht fatal.

© SZ vom 22.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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