Hamburg und Bremen:Dramatische Form der Talentmissachtung

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Einst in Bremen verschmäht, heute Nationalspieler: Karim Bellarabi (Foto: AP)

Bellarabi, Kruse, Mustafi, Hahn, Brandt und Öztunali: Die Liste der Talente, die beim HSV und Werder Bremen weggeschickt wurden, ist vielsagend lang - und offenbart, dass die Gründe für die Krisen im Norden nicht nur am fehlenden Geld liegen.

Ein Kommentar von Christof Kneer

Marco Bode stammt aus Osterode am Harz. Er spielte Fußball beim VfR Osterode 08, er spielte dort seine ganze Jugendzeit, und anders als die heutigen Talente schaffte er es nie, von einer dieser Elite-Fußballschulen übernommen zu werden. Zu Bodes Entschuldigung ließe sich möglicherweise anführen, dass die Elite-Fußballschulen damals noch nicht erfunden waren.

In anderer Hinsicht war Bode aber damals schon sehr modern, er war schon einer jener globalisierten Weltstars, die ihre Vereine so oft wechseln wie ihre rosa- roten Fußballschuhe. Obwohl Bode seine Karriere schon mit 32 beendete, gelang es ihm, für vier verschiedene Mannschaften aufzulaufen. Marco Bode spielte für: Werder Bremen Amateure, Werder Bremen Profis, Deutschland U-21-Auswahl, Deutschland A-Nationalmannschaft.

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Die 50+1-Regel ist gut gemeint, aber sie funktioniert in diesem modernen Fußballgeschäft nicht. Wer finanzielle Mittel zur Verfügung stellt, will eben Einfluss nehmen. Das gilt inzwischen sogar bei Werder Bremen, wo Sparfuchs Willi Lemke deshalb abdanken muss.

Ein Kommentar von Boris Herrmann

Es ehrt den Globetrotter, dass er sich immer noch an zwei seiner zahlreichen Mannschaften erinnert. Bode, 45, wird demnächst das Amt des Aufsichtsratschefs bei Werder Bremen Profis und Werder Bremen Amateure übernehmen, und vor dem Gastspiel der Profis beim FC Bayern hat er jetzt die ersten dienstlichen Sätze gesagt. Er wolle "dazu beitragen", sagte Bode, "dass wir Schritt für Schritt aus der Krise rauskommen". Im Übrigen, so der Globetrotter weiter, habe sich "Werders Krise schon seit Jahren entwickelt".

Was ist grün und stinkt nach Fisch?: Diesen schönen Schmähgesang ertrugen die Bremer einst mit hanseatischer Würde, sie hatten ihn sich verdient. Inzwischen riecht Werder nach nichts mehr. Die Bremer spielen weitgehend geruchs- und geschmacksneutral Fußball, und es hilft ihnen gar nichts, dass der alte Rivale HSV auf Tabellenplatz 17 in den Spieltag startet.

Werder startet auf Platz 18. Die Bremer sind das große Thema dieser Woche gewesen, sie wollen künftig wieder mehr von jenem Geld ausgeben, das sie nicht mehr haben. Bode soll diesen Prozess moderieren, vermutlich mit der Erfahrung des Weitgereisten, der es vom Harz nach Bremen nach Deutschland und wieder zurück nach Bremen geschafft hat. Das zweite Thema der Woche war Bodes andere frühere Mannschaft, die deutsche Nationalelf - und wer genau hinsieht, merkt: Die beiden Themen sind voneinander nicht zu trennen.

Vielleicht hat es die Bundesligapause gebraucht, um ein bisschen mehr von den Krisen im Norden zu verstehen. Bei den Länderspielen wurden ja immer wieder Spieler eingeblendet, die Werder und den HSV sehr bereichern würden - wenn sie nur dort spielten.

Karim Bellarabi: aufgewachsen in Bremen, sechs Jahre in der Werder-Jugend aktiv, später beim Bremer Vorortklub Oberneuland; heute: Leverkusen. Max Kruse: aufgewachsen vor den Toren Hamburgs, vom HSV übersehen, von Werder geholt und später weggeschickt; heute: Mönchengladbach. Shkodran Mustafi: drei Jahre HSV-Jugend, dann aus der Stadt gelassen; heute: Weltmeister in Valencia. Ähnliche Geschichten gäbe es von André Hahn, Martin Harnik und Eric Choupo-Moting zu erzählen oder von den 18-jährigen Julian Brandt und Levin Öztunali. Brandt ist gebürtiger Bremer, Öztunali ist der Enkel von Uwe Seeler. Sie spielen: in Leverkusen.

Es mag im Einzelfall Erklärungen gegeben haben für diese dramatische Form der Talentmissachtung, aber in der Summe ergibt sich ein Bild von zwei Vereinen, die Talenten über Jahre kein Milieu zur Weiterentwicklung zur Verfügung gestellt haben. Die Krisenklubs aus dem Norden haben ihre Sünden inzwischen erkannt und gebeichtet, sie wollen es nun besser machen: mit neuen Sportdirektoren, mit neuen Jugendleitern und sogar mit Aufsichtsratschefs aus Osterode.

© SZ vom 18.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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