Fußball in Brasilien:Das Geldvernichtungsstadion

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Das legendäre brasilianische Stadion Maracanã fristet eine traurige Gegenwart. Kein Fußball-Klub will es übernehmen. (Foto: AFP)
  • Zum dritten Mal jährt es sich, dass Deutschland gegen Argentinien die Fußball-WM gewann.
  • Der legendäre Ort, an dem dies geschah, fristet eine traurige Gegenwart: Maracanã ist eine Geldvernichtungsmaschine.
  • Zwei der großen Fußball-Klubs aus Rio wollen deswegen lieber eigene Stadien bauen.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Der kommende Dienstag ist ein besonderer Tag für das Maracanã. Um 21 Uhr findet in dem Stadion eines jener Ereignisse statt, die dort inzwischen Seltenheitswert haben: ein Fußballspiel. Fluminense gegen Botafogo. Das ist vielleicht nicht das wichtigste Derby von Rio de Janeiro. Aber immerhin ein Derby. Die Bewohner Rios, die Cariocas, sprechen vom "Clássico Vovô", dem Opa-Derby. Fluminense und Botafogo sind die ältesten Fußballteams der Stadt. Wenn es gut läuft, kommen am Dienstag vielleicht 30 000 Zuschauer. Dafür lohnt es sich, das Maracanã zu öffnen. Präziser gesagt, es ist dann für den Gastgeber Fluminense kein ganz so schlimmes Verlustgeschäft mehr.

Um erst einmal mit den guten Nachrichten anzufangen: Das Estádio Mário Filho, zu dem alle Maracanã sagen, ist grundsätzlich wieder benutzbar. Nachdem im Februar dieses Jahres schockierende Fotos um die Welt gegangen waren, die diesen berühmten Fußballtempel in einem beklagenswerten Zustand zeigten, hat sich etwas bewegt in Rio. Eine Richterin verdonnerte den alten Betreiber, den durch und durch korrupten Baukonzern Odebrecht, unter Androhung eines millionenschweren Bußgeldes dazu, sich zumindest um minimale Instandhaltungsarbeiten zu kümmern. Im Februar, ein halbes Jahr nach den Olympischen Sommerspielen, sah das Maracanã wie eine Ruine aus. Stromleitungen baumelten von der Decke herab, unter der Tribüne lag ein Berg von herausgerissenen Sitzschalen, einen Rasen suchte man vergeblich.

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Der Putz geht ab und alles bröckelt: Ein gutes halbes Jahr nach dem Ende der Spiele verkommen zahlreiche Sportanlagen. Besonders schlimm hat es das Maracanã erwischt.

Inzwischen ist das Spielfeld wieder überwiegend grün, es sieht jedenfalls nicht schlechter aus als der Centre Court von Wimbledon. Auch die meisten Sitze und Lampen sind wieder angeschraubt. Ende der guten Nachrichten.

Das Grundproblem, das zurückbleibt von den beiden Großereignissen der vergangenen Jahre, Fußball-WM 2014 und Olympia 2016, lässt sich nicht kosmetisch beheben, denn es liegt tiefer. Das moderne Maracanã ist eine Geldvernichtungsmaschine. Niemand will es betreiben - und fast niemand will darin spielen. Wenn sich nicht gerade die Opas zum Derby treffen, steht es leer.

Der kommende Donnerstag ist noch so ein besonderer Maracanã-Tag. Jedenfalls aus deutscher Sicht. An diesem 13. Juli jährt sich der WM-Sieg der DFB-Elf zum dritten Mal. Das große Finale gegen Argentinien, in dem es keine körperlichen Grenzen gab. Es war der Tag, an dem Joachim Löw alle Nörgler besiegte, Bastian Schweinsteiger alle Schmerzen, Philipp Lahm alle Fernseh-Gurus mit ihren Leitwolf-Debatten und der alte Miroslav Klose, der unscheinbare WM-Toptorjäger, war in seinem letzten Länderspiel endlich auch noch ein Weltstar geworden. Sie alle erlebten im Maracanã wohl den besten Moment ihrer Karriere.

Ein Stadion, das legendäre Geschichten erzählt

Seit der Sicherheitsdienst die streunenden Katzen und die Gelegenheitsdiebe verscheuchte, darf man das Stadion wieder besichtigen. Kabine B zum Beispiel, wo sich die Deutschen vor dem WM-Finale umgezogen haben. Dort läuft ein Video in Dauerschleife, in dem die deutsche Olympiaauswahl mehrmals am Tag das Endspiel gegen Brasilien verliert. Süße Rache. In der Eingangshalle haben sie eine Ausstellung aufgebaut, die von den besseren Tagen des Maracanã erzählt. Von all denen, die hier wie Jogis Löwen ihre Sternstunden erlebten. Von Rios Stadtheiligen Zico (Flamengo), Garrincha (Botafogo) und Roberto Dinamite (Vasco da Gama). Von Pelé natürlich, der im Maracanã sein tausendstes Tor schoss und vor den Augen von Queen Elizabeth II. übrigens auch sein neunhundertstes. Vom Uruguayer Alcides Ghiggia, der hier 1950 die WM entschied und damit knapp 200 000 Brasilianer zum Schweigen brachte. Was außer ihm wohl nur Sinatra und Papst Johannes Paul II. gelang. Und nicht zu vergessen: von Mario Götze, der an diesem Ort am 13. Juli 2014, in der Verlängerung, in der 113. Minute, zumindest für diesen einen Augenblick besser war als Messi. Dem Endspieltorschützen erging es seither aber auch nicht viel besser als dem Endspielstadion.

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Um die traurige Gegenwart des Maracanã zu begreifen, genügt ein Blick auf die Plakette, die neben dem Haupteingang hängt. Sie erinnert an die Eröffnungsfeier nach der jüngsten von mehreren "Modernisierungen" im Juni 2013. Dort steht gleich unter dem Namen der inzwischen abgesetzten Staatspräsidentin Dilma Rousseff jener von Sérgio Cabral, dem damaligen Gouverneur des Bundesstaates Rio de Janeiro. Cabral sitzt längst im Gefängnis. Kronzeugen der Firma Odebrecht sagten aus, der Konzern habe allein für den Maracanã-Bauauftrag Bestechungsgelder in Höhe von 7,3 Millionen Reais (knapp zwei Millionen Euro) an Cabral bezahlt. Der Umbau vor der Fußball-WM hatte rund 400 Millionen Euro gekostet, etwa das Doppelte der ursprünglich veranschlagten Summe. Was bei dieser Art der Modernisierung herauskam: die Umwandlung eines funktionierenden Stadions, eines Denkmals und Nationalheiligtums, in eine seelenlose Event-Arena, die nichts als Schulden anhäuft.

Der Konzern Odebrecht will das Maracanã schon seit geraumer Zeit loswerden, der Staat Rio ist aber pleite und kann es auch nicht betreiben, der letzte Zwischenmieter, das lokale Olympiakomitee, hat einfach alles stehen, liegen und verrotten lassen. Alle Privatinvestoren, die einen Kauf geprüft hatten, sind wieder abgesprungen. Für die vier Profiklubs von Rio gilt im Moment die Regel: Wer das Stadion für 90 Minuten mieten will, muss die Betriebskosten übernehmen. Die belaufen sich angeblich auf gut 180 000 Euro pro Spiel. Selbst das letzte wirklich große Derby im Maracanã, Flamengo gegen Fluminense, Fla gegen Flu, war für den Gastgeber ein Verlustgeschäft.

Beide Klubs sind deshalb einstweilen in deutlich kleinere Stadien am Stadtrand umgezogen. Und beide haben in der vergangenen Woche angekündigt, dass sie nun den Bau einer vereinseigenen Arena vorantreiben wollen. Wohlgemerkt: Unabhängig voneinander, es geht also um zwei neue Stadien - nur ein Jahr, nachdem Rio de Janeiro, die Olympiastadt, mit lauter neuen Sportarenen bepflanzt wurde, die jetzt leer stehen. Soviel zum olympischen Nachhaltigkeitsgedanken.

Andererseits könnte so immerhin der derzeit ungestört vor sich hinoxidierende Olympiapark in Barra da Tijuca wiederbelebt werden. Dort sollen die beiden neuen Stadien entstehen. Laut einem Bericht der Zeitung O Globo will Fluminense für seinen Neubau Teile der olympischen Handballhalle recyceln. Laut dem olympischen Nachhaltigkeitskonzept war eigentlich vorgesehen, diese sogenannte "Future Arena" in drei Schulen in sozialen Brennpunkten umzuwandeln. Der Plan ist laut Patricia Amorim, der Sportsekretärin der Stadt Rio, aber vom Tisch: "Wir haben kein Geld für neue Schulen, wir haben nicht einmal das Geld, um diese Olympia-Arena abzubauen", sagte sie. Was Fußball-WM und Olympia dieser Stadt tatsächlich hinterlassen haben: lauter Probleme. Und hier und da, bei der U-Bahn und in der Hafengegend, ein wenig Kollateralnutzen.

Vor dem Maracanã steht an einem Nachmittag im Juli ein Devotionalienhändler. Er versucht zu verscherbeln, was noch übrig ist von den jüngsten Mega-Events. Das WM-Maskottchen "Fuleco" in Kleinkindgröße für umgerechnet fünf Euro. Oder Kühlschrankmagneten, die das Maracanã zwischen dem leuchtenden Cristo Redentor, der monumentalen Christusstaue über der Stadt, und den Zuckerhutgondeln zeigen. Die drei Wahrzeichen Rios - und Brasiliens. Man guckt sich das kurz an und will es wieder zurücklegen. Da sagt der Mann: "Schenk ich dir."

© SZ vom 08.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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