Fußball-EM:Englische Schmerzen, die nie aufhören

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Der englische Nationalspieler Dele Alli nach der Partie. (Foto: AP)
  • England geht gegen Russland durch einen Freistoß von Eric Dier in Führung.
  • Als es nach einem verdienten Erfolg der englischen Nationalmannschaft aussieht, köpft der russische Kapitän Vasili Berezutski in der 92. Minute den Ausgleich.
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Von Maik Rosner, Marseille

Viel war von den "50 years of hurt" die Rede gewesen, von den nun langen 50 Jahren des Schmerzes für die englische Nationalmannschaft. 1966 hatte sie ja letztmals einen Titel gewonnen, ihren einzigen gar, bei der WM und auch dank des legendären Wembley-Tores. Seither war sie nie wieder in ein Finale eingezogen. Nun, bei der EM in Frankreich, soll der Schmerz der Freude weichen. Doch weil Russlands Kapitän Wasili Beresuzki in der zweiten Minute der Nachspielzeit mit einem Kopfball noch das Tor zum 1:1 (0:0)-Endstand erzielte, endete die Auftaktpartie mit einer Fortsetzung der Schmerzen für England. Eric Diers Führungstor durch einen direkten Freistoß (73.) hatte nicht gereicht für den ersten Auftaktsieg der Three Lions bei einer EM überhaupt.

"Wir sind sehr enttäuscht", sagte Dier, "wir haben so toll gespielt, und dann solch ein spätes Gegentor. Das ist bitter." Wirklich trösten konnte er sich wohl kaum mit der Erkenntnis, "immerhin nicht verloren" zu haben. "Wir haben das ganze Spiel über gut gespielt, und dann kommt noch so ein Ding rein", klagte er. Mit mangelnder Erfahrung der jungen Mannschaft habe das aber nichts zu tun. "Wir hätten den Sieg verdient gehabt", sagte er, wegen seines sehenswerten Freistoßes auch zu Recht zum Man of the Match gewählt. "England hat das Spiel dominiert", erkannte auch Russlands Trainer Leonid Slutski.

England bestimmte das Geschehen

Es war ja in der Tat ein Spiel gewesen, bei dem die junge englische Mannschaft viel von dem gehalten hatte, was sich das Publikum von ihr versprochen hatte. Als einzige Mannschaft hatten die Three Lions ja alle Spiele der Qualifikation für die Endrunde gewonnen, was in England allerdings nur bedingt für Anerkennung gesorgt hatte. Doch weil auch die zurückliegenden drei Tests für das Turnier gegen die Türkei, Australien und Portugal mit Siegen abgeschlossen worden waren, gab es ja wirklich berechtigten Anlass zur Hoffnung auf eine Fortsetzung in Frankreich.

Danach sah es dann auch lange Zeit aus im Spiel gegen Russland. Die Engländer bestimmten klar das Geschehen, und nach einer halben Stunde hatten sie bereits 70 Prozent Ballbesitz und 7:1-Torschüsse angehäuft, darunter zwei gute Chancen von Adam Lallana. Eigentlich fehlte Roy Hodgsons Mannschaft nur ein Tor gegen die abwartenden und antiquiert spielenden Russen, die ihre liebe Mühe mit den wuseligen und flinken Offensivkräften hatten. Das galt auch für Roman Neustädter, den Profi des FC Schalke 04, der erst kurz vor dem Turnier, Ende Mai, die russische Staatsbürgerschaft erhalten und vor seinem EM-Debüt erst ein Länderspiel für das Heimatland seiner Mutter absolviert hatte. Im defensiven Mittelfeld sah er sich immer wieder aufs Neue den Angriffen der Engländer ausgesetzt. "Wenn man in der letzten Minute das 1:1 macht, ist die Freude riesengroß", sagte Neustädter später, "auf dem Platz sieht man, dass wir eine Einheit sind."

Hübsch anzusehen waren aber zunächst vor allem die Aktionen der Engländer, besonders die Dribblings von Lallana und Dele Alli auf der rechten Seite. Allein, es fehlte oft an der Genauigkeit, an der präzisen letzten Aktion in der "aufregendsten englischen Mannschaft seit 1966", wie sie Geoff Hurst, der Weltmeister und dreifache Torschütze von damals im Finale gegen Deutschland, genannt hatte. Für die Offensive lässt sich das wohl so behaupten, für die Defensive gilt das nicht unbedingt.

Rooney leistete wichtigen Beitrag

Das wurde auch im Spiel gegen die Russen deutlich. Zunächst leistete Joe Hart seinen Beitrag zur never ending story von den unglückseligen englischen Torhütern, als er seinem Innenverteidiger Chris Smalling mit einem völlig verunglückten Passversuch in die Hacken schoss. Später ließ die Abwehr Sergej Ignaschewitsch erstaunlich einfach zum Kopfball kommen, und in der zweiten Halbzeit hätte Dier mit einem verunglückten Kopfball sogar beinahe für ein Eigentor gesorgt. Wirklich aufregend oder gar überzeugend sah das nun nicht mehr aus, zumal Fedor Smolow mit einem Schlenzer zu einer weiteren hübschen Chance für die nun immer stärkeren Russen kam.

Erst spät fanden die Engländer wieder zurück in die Partie, und maßgeblich beteiligt war daran jener Spieler, über den vorab die meisten Debatten geführt worden waren. Wayne Rooneys Rechtsschuss, den Torwart Igor Akinfejew noch spektakulär an die Latte lenkte, schien die Engländer wieder wachgerüttelt zu haben. Nur zwei Minuten später schoss Dier einen direkten Freistoß zur Führung ins Tor. Schon zuvor hatte Rooney, der letzte Vertreter aus der Ära mit Gerrard, Beckham und Lampard, viel für das Spiel der Engländer getan. Selten so spektakulär wie bei seiner Schusschance kurz vor der Pause. Dafür wirkte er oft als wichtige Anspielstation, als ruhiger Aufbauspieler und zuweilen auch Balleroberer in höchster Not. Dabei hätten viele Fans und Beobachter in England den Kapitän am liebsten auf der Bank gesehen. Er leistete einen wichtigen Beitrag zur Führung. Doch zum ersten EM-Auftaktsieg einer englischen Nationalmannschaft reichte es nach seiner Auswechselung nicht.

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