Fußball:Ein Fifa-Schiedsrichter aus Syrien landet bei den oberpfälzer Amateuren

Hamdi Al Kadri

"Nein, nervös bin ich nicht": Hamdi Al-Kadri vor seinem ersten Einsatz als Schiedsrichter nach sechs Jahren.

(Foto: Sandra Mooshammer)

Hamdi Al-Kadri pfiff Spiele in 45 Ländern, dann mussten er und seine Familie wegen des Bürgerkriegs fliehen. Auf einem Fußballplatz in der Provinz beginnt er von vorne.

Von Sandra Mooshammer, Pilsach

Hamdi Al-Kadri wirkt angespannt, als er sich aufwärmt. Fünf Minuten joggt er auf der Stelle und lässt die Arme kreisen, seine schnellen Hüpfer hallen durch den Gang des Vereinsheims. "Nein, nervös bin ich nicht", versichert er und steckt sorgfältig die Karten für das Spiel ein, die gelbe in die vordere Hosentasche, die rote hinten. Als er die Trillerpfeife testet und alle zusammenzucken, schaut er kurz auf und grinst schelmisch. Er hat das alles ja auch schon tausendmal erlebt: Hamid Al-Kadri, 51 und aus Syrien, ist ehemaliger Fifa-Schiedsrichter. Jetzt steht er in der Nähe eines Fußballplatzes in der oberpfälzischen Provinz, den man erst erreicht, wenn man an zwei schwarz-weißen Ponys vorbei und unter einer Autobahnbrücke hindurch gelaufen ist, um die Begegnung zwischen Pilsach und Oberwiesenacker in der A-Klasse zu leiten. Es war ein weiter Weg für ihn.

1985 pfiff Al-Kadri sein erstes Spiel in seinem Heimatland Syrien, dann stieg er in zwölf Jahren bis zum Fifa-Schiedsrichter auf. Danach leitete er Spiele in 45 Ländern, stand mit dem Fähnchen an der Seitenlinie oder hielt Tafeln mit der Nachspielzeit in die Höhe, von Malaysia über Bahrain bis zur WM 2006 in Deutschland. Für den syrischen Fußballverband koordinierte und beobachtete er Schiedsrichter, war Geschäftsführer der Schiedsrichterkommission, er betreute syrische olympische und paralympische Teams und trat im Fernsehen als Experte auf.

Seine Kinder Leen und Ali begleiten ihn zum Spiel

Das Pfeifen, die Reisen, die Karriere: Mit dem Bürgerkrieg, der 2011 in Syrien ausbrach, wurde das alles unmöglich für Al-Kadri. Sechs Jahre lang leitete er kein Spiel, bevor er und seine Familie über Jordanien nach Deutschland kamen. Seine Frau und die beiden älteren Kinder flohen zuerst: mit Schleppern übers Mittelmeer, zu Fuß durch die Hitze in Griechenland. Mitte 2016 wurde der Familiennachzug genehmigt, am 23. August stieg Al-Kadri mit den zwei jüngeren Töchtern in Deutschland aus dem Flugzeug.

Eine Patin, die sich ehrenamtlich um die Familie kümmert, organisierte für ihn den Kontakt zum Fußballverein SV Postbauer, in dem er jetzt kostenlos Mitglied ist und Schiedsrichtertreffen der Gruppe Neumarkt besucht. Die Begegnung zwischen Pilsach und Oberwiesenacker ist die erste, die er in Deutschland pfeift, bei der WM 2006 hatte er als fünfter Offizieller unter anderem im Gruppenspiel der Italiener gegen die USA im Fritz-Walter-Stadion in Kaiserslautern vor 46 000 Zuschauern auf Abruf bereitgestanden. Höher als bis zur Kreisliga kann er nicht mehr aufsteigen: Er ist zu alt. A-Klassen-Spiele in der Oberpfalz werden Al-Kadris neuer Alltag sein.

Kurz bevor das Spiel beginnt, verstaut er in seiner Brusttasche die Notizkarte, auf der er später die Wechsel und Strafen vermerken wird. Die Trikotfarben der Mannschaften stehen auf der Karte, seine Kinder Leen, 18, und Ali, 17, haben ihm die arabische Übersetzung darunter geschrieben. Die beiden begleiten ihn als Dolmetscher, Al-Kadri selbst sagt bisher kaum mehr als "danke", "bitte" und "hallo" auf Deutsch. Auch einige Fußballbegriffe kennt er, Tor, Abseits, aber wenn er sie braucht, fallen sie ihm nicht immer ein. Dass er nach den Spielen selber den obligatorischen elektronischen Spielberichtsbogen ausfüllen könnte, ist utopisch. "Wenn es die wenigstens auf Englisch gäbe", meint er, "dann wäre das kein Problem, das habe ich bei der Fifa ja auch schon gemacht." Gibt es aber nicht. Bei dem ganzen bürokratischen Drumherum soll ihm ein Paten-System helfen, ein deutscher Schiedsrichter begleitet ihn zu den Spielen und unterstützt ihn.

BFV-Präsident Koch hat Al-Kadri eingeladen

Heute ist Oliver Johannes dabei, der Schiedsrichter-Obmann der Gruppe Neumarkt. Er erklärt Al-Kadris Kindern die üblichen Abläufe und die übersetzen es dann für ihren Vater. "Muss ja", sagt Leen, seine älteste Tochter, während sie ihn an den Ponys vorbei zum Spielfeld begleitet, "er versteht ja sonst nichts. Also helfen wir ihm." Die 18-Jährige ist kein Fußballfan, sie spielt zwar Fifa auf der Xbox, aber nur, weil kein anderes Spiel da ist. Trotzdem stellt sie sich an den Spielfeldrand und bleibt auch mit Ali da, als der Rest der Familie sich verabschiedet. "Ich will ja sehen, was mein Vater da macht."

Der ist in seiner Welt, seit er das Feld betreten und angepfiffen hat. Er bewegt sich locker über den Platz, seine Miene ist konzentriert, aber nicht mehr verkniffen. Bei einem Abstoß trödelt der Torwart, Al-Kadri pfeift scharf und winkt energisch mit den Händen. Auf dem Spielfeld muss er nicht reden, da stört es nicht, dass er noch kein Deutsch spricht. Als der Spieler mit der Nummer sieben im dunkelgrünen Trikot seinen Gegner hart am Oberschenkel erwischt, hilft ihm auch der glitschige Rasen nicht als Entschuldigung. Es gibt ein bisschen Geschrei, dann trabt Al-Kadri heran und zückt ruhig die gelbe Karte. Er stellt sich vor den Ball, notiert auf einem kleinen Papptäfelchen: 87. Minute. Niemand beschwert sich. Weil der Schiedsrichter keine Fehler macht.

"Die Kommunikation mit den Spielern hat gut gepasst, die Gesten sind ja in der ganzen Welt gleich", meint Al-Kadri nach dem Spiel. 0:0 ist es ausgegangen, es sei einfach zu leiten gewesen. "Nur die Fitness ist noch nicht so ganz da." Spieler und Trainer urteilen über ihn: professionell, souverän, klare Linie in den Entscheidungen. Bräuchten wir viel öfter. Aber so viele ehemalige Fifa-Schiedsrichter gibt es eben nicht in der A-Klasse.

Einen Monat lang hat Al-Kadri für das Spiel trainiert, zweimal am Tag war er Rad fahren oder joggen. Für sein Hobby würde er alles tun. "Es ist ja nicht nur ein Hobby. Da hängt mein Herz dran." Oft spricht er davon, auch in Deutschland wieder im Fußball arbeiten zu wollen. Al-Kadri, der mit seiner Familie in einer Flüchtlingsunterkunft lebt, sucht nach einer Arbeit. Er hat eine Einladung von Rainer Koch, dem Vorsitzenden des Bayerischen Fußballverbandes, bekommen, der möchte ihn kennenlernen. Die Familie erhofft sich viel davon.

Es ist schon stockfinster, als Al-Kadri mit seinen Kindern über den Parkplatz läuft, der Kies knirscht unter ihren Schuhen. Die Familie hat kein eigenes Auto, der stellvertretende Vorsitzende des SV Postbauer nimmt sie mit nach Hause. Hamdi Al-Kadri braucht ab jetzt wöchentlich einen Fahrer zu den Spielen, Unterstützung mit dem Spielbericht, jemanden, der für ihn übersetzt. Aber es gibt viele Leute, die ihm gerne helfen. Sie ermöglichen Al-Kadri ein kleines bisschen Glück: Er darf jetzt wieder pfeifen.

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