Frankreich im Finale der Rugby-WM:Zwergriesen im Glück

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In Frankreich ist Rugby viel mehr verwurzelt als Fußball, die Spieler gelten als kraftvolle Edelmänner und "nette Monster". Bereits zwei Mal bestritten die Franzosen ein WM-Finale, nur zum Titel reichte es bisher nie. Jetzt steht der Außenseiter gegen Neuseeland erneut im Endspiel - ein Erfolg, den manche aber als Beleidigung für den Wettbewerb sehen.

Annika Joeres

Der französische Nationaltrainer Marc Lièvremont sagt, seine Rugby-Spieler seien individuelle, rebellische Jungs, die noch in der Kabine heimlich rauchten und unaufhörlich meckerten.

Gegen Wales kamen die Franzosen bei der Rugby-WM nur mit Mühe und Glück weiter - jetzt wartet im Finale Neuseeland.  (Foto: AFP)

Dieses Aufrührerische mag es sein, was die Franzosen an ihrer Rugby-Mannschaft so lieben. Das Spiel der 15 haben sie schon immer mindestens so wichtig genommen wie den Fußball, und jetzt tun sie das erst recht: Fast die ganze Nation wird am Sonntag frühmorgens vor dem Fernseher sitzen und gebannt hinschauen, wenn die Blauen am anderen Ende der Erde im Endspiel der WM gegen Gastgeber Neuseeland kämpfen.

Frankreich ist in gewisser Weise der erfolgreichste Außenseiter der Rugby-Welt. Traditionell ist Rugby in den früheren Gebieten des britischen Commonwealths stark. Frankreich gehört nicht zum Commonwealth, trotzdem hat es das Spiel vom britischen Königreich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts übernommen; anders als Deutschland, wo Rugby ein kaum beachteter Randsport ist.

Heute gehören die Franzosen zum Establishment der Weltklasse, die WM-Finalteilnahme am Sonntag ist schon ihre dritte nach 1987 (9:29 gegen Neuseeland) und 1999 (12:38 gegen Australien). Allerdings bangen sie in Neuseeland gerade ein bisschen um ihren guten Ruf, denn viel Glanz und Raffinesse hat Frankreichs Rugby-Mannschaft bisher nicht ausgestrahlt bei der WM.

Allenfalls beim passabel herausgekämpften 19:12 im Viertelfinale gegen den Erzrivalen England konnten sie gefallen. In der Vorrunde setzte es ein 14:19 gegen das Inselvölkchen Tonga, nach dem Lièvremont sagte, er sei "brutal enttäuscht". Und der Halbfinal-Erfolg war ein 9:8-Duselsieg, den eine umstrittene rote Karte für Wales begünstigte.

Anschließend lästerten die Neuseeländer ausgiebig, viele Kommentatoren fanden den Finaleinzug der Franzosen eine "Beleidigung für den Wettbewerb" und "beschämend". Fürs Finale erhofft sich die Grande Nation nun eine Art moralischen Befreiungsschlag, ein würdiges Spiel gegen Neuseeland.

Traditionell wird das Spiel besonders im Südwesten Frankreichs gepflegt. Die erfolgreichsten Vereine kommen aus Bordeaux, Narbonne, Toulouse, Montferrand und Perpignan, wo jedes WM-Spiel mit Oliven, Pastis und Bier in den örtlichen Cafés gefeiert wird. In einigen südwestfranzösischen Landstrichen ist Rugby das wichtigste Kulturgut. Im Städtchen Gruissan bei Narbonne etwa regiert seit zehn Jahren der frühere Nationalspieler Didiers Codorniou als Bürgermeister mit hohen Mehrheiten.

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Neuseeland feiert: Im großen Duell der Erzrivalen gewinnt der Gastgeber das Halbfinale der Rugby-WM mit 20:6 gegen Australien. Ein Spiel voller Intensität, Emotionen und Disziplin. Auch wenn hier und da Blut fließt.

In Frankreich genießen Rugby-Spieler höchstes Vertrauen, und so hat der frühere Nationalspieler es auf Anhieb vom Feld ins Rathaus geschafft. Auch wenn er sich inzwischen mit seiner früheren Partei, den Sozialisten, überworfen hat, ist Codorniou der Star der Kommune.

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Bei der Rugby-WM in Neuseeland verblüffen die Spieler mit ihren wuchernden Bartkreationen - doch es sind nicht irgendwelche Bärte, meist muss es schon eine richtige Gartenhecke sein. Der Kanadier Adam Kleeberger ist so zum Hingucker des Turniers geworden. Aber selbst die Italiener beteiligen sich an der Rückkehr zur Gesichtswolle. Die schönsten Varianten im Überblick.

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Rugby ist in Frankreich sehr viel mehr verwurzelt als Fußball. Erst als die französische Elf 1998 die Weltmeisterschaft im eigenen Land gewann, brach das Fieber für den Sport aus. Und seit sich das Team mit Streiks, Indiskretionen und schlechten Leistungen bei der WM 2010 in Südafrika blamiert hat, haben die Rugby-Männer noch mehr Fans.

Die schweren Jungs strahlen von Magazintiteln und laden Soziologen zum Philosophieren über das neue Heldentum und der Suche nach starken Vorbildern ein. Der frühere Nationalspieler Sébastien Chabal ist der Prototyp des kraftvollen Edelmannes, den die französischen Medien mit Beschreibungen wie "ehrenhaft", "charakterlich stark" bedachten und den sie als "eigensinniges" und "nettes Monster" hochjubelten. Der Mann wirbt für Parfum, Krankenversicherungen, Autos, Bordeaux-Wein und Web-Poker. Chabals millionenschwere Verträge sollen ähnliche Dimensionen erreichen wie die der Fußballstars Franck Ribéry und Thierry Henry. Dabei ist Chabal, 1,92 Meter groß, mit dichtem Bart und wildem Langhaar ausgestattet, kein sehr beredter Mensch und stammelt in Interviews häufig nur kurze Sätze. In Frankreich gelten die zupackenden Muskelmänner vom Rugby eben als Vertreter ehrlicher Handarbeit und als Gentlemen.

Der Nachwuchs beginnt früh in Frankreichs Rugby-Vereinen, auch an Hochschulen gehören die Spielvereinigungen so selbstverständlich zum Campus wie Fußball. Mehr als 400.000 Mitglieder zählt der Rugby-Verband FFR - im deutschen Verband DRV spielen nur rund 12.000 Personen.

Die Zahlen des FFR sind in den vergangenen zehn Jahren rasant gestiegen. Zum Nutzen der Nationalmannschaft: Nach Statistiken des International Rugby Board haben die fünf Nationen mit den meisten Rugby-Amateuren - England, Australien, Südafrika, Neuseeland und Frankreich - seit 1987 die WM unter sich ausgemacht.

Nationaltrainer Marc Lièvremont stand 1999 schon als Spieler im Finale, beim 12:38 gegen Australien. "Wir haben vier Tage lang den Einzug gefeiert und dann eine Niederlage erlitten", sagt er. Diesmal soll die Überraschung gegen die All Blacks gelingen.

© SZ vom 19.10.2011/thob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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